Ex-Profi Ollert ist fast taub
Simon muss beim Fußball auf die Augen hören

19.02.2021 | Stand 19.03.2021, 14:17 Uhr

Ziel für den SSV Pfeffenhausen und Simon Ollert ist der Kreisliga-Klassenerhalt. Foto: Sonova

Ex-Profi Simon Ollert wird Spielertrainer beim Kreisligisten SSV Pfeffenhausen. Der 24-Jährige ist nahezu taub und muss beim Kicken Hörgeräte tragen. Trotzdem muss Ollert auf dem Fußballplatz überwiegend auf die Augen „hören“.

Von Tobias Grießer

Pfeffenhausen. Da hat der SSV Pfeffenhausen aber ein gewaltigen Coup gelandet. Beim Kreisligisten wird Ex-Profi Simon Ollert – nach Station in Unterhaching, Ingolstadt, Memmingen oder im österreichischen Saalfelden – ab sofort (neben Coach Jürgen Stadler) als Spielertrainer fungieren. Das Besondere: Der 24-Jährige ist von Geburt an auf beiden massiv schwerhörig und war damit nach dem ehemaligen Mainzer Stefan Markolf der zweite hörbehinderte deutsche Fußballprofi.



Wochenblatt: Nach sieben Jahren Profifußball entscheiden Sie sich jetzt für einen – großen – Schritt zurück und heuern beim Kreisliga-Team des SSV Pfeffenhausen an. Wie kommt‘s dazu?

Simon Ollert:
Ich hab in meinen Profijahren viel erlebt, Höhen und Tiefen, und leider hatte ich auch immer mal wieder die ein oder andere Verletzung, die mich ausgebremst hat. Letztes Jahr dann in Saalfelden hab ich mir im ersten Saisonspiel das Kahnbein im Handgelenk gebrochen und bin wieder wochenlang ausgefallen. Als ich dann wieder fit war, durfte ich bei den Juniors ran, um Spielpraxis zu sammeln. Da war ich dann mit 23 einer der ältesten Spieler auf dem Platz und hatte nur 17-/18-jährige Mitspieler. Trotzdem haben wir vorne mitgespielt und ich hab mich auch in der Rolle des Spielertrainers gesehen. Das hat gut funktioniert und hat mir auch enorm Spaß gemacht. Zudem hab ich mir auch meine Gedanken gemacht, wo ich mich in fünf Jahren sehe. Und ich sehe mich nicht als einen Spieler, der irgendwo in der 3. Liga oder Regionalliga herumpendelt und auf Profifußballer macht. Wenn dann mach ich‘s ganz oder gar nicht. Deswegen hab ich mir gesagt, dass ich meine neue Karriere als Trainer starten möchte.



Wieso dann Pfeffenhausen?

Ich bin gerade bei MO5ES auf Minijob als Trainer angestellt. Wir wollen da Kinder und Jugendliche auf dem Weg zum Profifußball begleiten. Mein Freund Richard Konstantin, der MO5ES gegründet hat, hat mich auch gleich gefragt, ob ich nicht auch bei Pfeffenhausen Spielertrainer machen möchte. So ging das dann alles ziemlich schnell über die Bühne, weil mich die Verantwortlichen voll überzeugt haben.


Wie lange reift diese Überlegung schon bei Ihnen und wann kam dann die endgültige Entscheidung?

Ich habe bei meiner ersten schweren Knieverletzung 2018 schon mit dem Gedanken gespielt als Trainer anzufangen. Damals fand ich es aber noch zu früh, außerdem hat es bei mir noch sehr gekitzelt, es nochmal höherklassig oder im Ausland zu probieren. Die endgültige Entscheidung kam dann vor Weihnachten.


Wenn man mit 24 Jahren – im besten Fußballer-Alter – dem Profi-Geschehen den Rücken kehrt, sehen Sie Ihren großen Traum als geplatzt an? Oder eher als etwas, das viele, viele andere Kicker nie erreichen?

Nein, auf keinen Fall, ich habe mit 17 Jahren meinen ersten Profivertrag unterschrieben, viele neue Menschen kennengelernt, verschiedene Trainertypen kennengelernt. Ich hab mein Bestes gegeben, manchmal hat mein Körper gestreikt, Corona kam dazwischen. Da bin ich realistisch genug zu sagen, dass es Zeit ist, einen neuen Weg einzuschlagen. Aber mit einem reinen und glücklichen Gewissen. Ich hab den Traum leben dürfen, den viele Kinder träumen und dafür bin ich unglaublich dankbar! Meine Erfahrungen sind zum größten Teil negativ aufgrund mehrerer Ereignisse. Aber genau das sehe ich jetzt als positiv, weil ich es den Spielern weitergeben kann.


Ist es richtig, dass Sie nebenbei auch studieren?

Ja genau, ich studiere Life Coaching per Fernstudium an der Hochschule für Gesundheit und Sport am Campus Berlin. Das ist eine Mischung aus Psychologie und Sportwissenschaften. Also etwas, was mich beides schon immer interessiert. Ich bin im siebten Semester und dementsprechend in der Endphase des Studiums. Ich hoffe, dass ich demnächst meine Bachelorarbeit abgeben kann.


War es für Sie als Gehörloser schwieriger, Ihren Weg zu gehen oder hat Sie das nur zusätzlich angespornt?

Einerseits war es schwieriger, weil ich immer alles drei- oder viermal mehr beweisen musste als andere. Zudem waren viele bei mir immer mit Vorurteilen behaftet. Andererseits hat mich das immer angespornt, gerade deswegen alles zu geben und meinen Traum zu leben. In meinen Augen ist jeder Mensch gleich, nur mit anderen Voraussetzungen. Wir können nur dann alle das Unmögliche erreichen, wenn wir auch das Unmögliche wagen.



Befürchten Sie Schwierigkeiten auf oder neben dem Platz – oder ist das Handicap zu kompensieren?

Auf dem Platz gibt es immer Schwierigkeiten, und die Hörgeräte nehmen nur Lautstärke wahr, alles andere nicht. Bedeutet: Ich bin auf dem Platz von meiner Intuition, meinem Gefühl und in erster Linie von meinen Augen abhängig. Ich muss mehr schauen, sehe aber dafür auch mehr, und das gibt mir auf dem Platz auch manchmal einen Vorteil.


Sie haben den ersten inklusiven Fußballverein IFC Munich United gegründet. Wie kam es dazu und um welche Art von Verein handelt sich da?

Viele schwerhörige Kinder und Jugendliche haben den Traum Fußballprofi zu werden, aber Stand heute werden sie nicht weit kommen. Weil viele Trainer keine Erfahrung damit haben oder eine Abwehrhaltung gegenüber schwerhörigen Spielern, weil sie ja nichts hören. Das regt mich auf, weil diese genauso gut Fußball spielen können und ihr fehlendes Gehör mit ihren Augen ausgleichen. Man muss halt als Trainer ein bisschen mehr machen als sonst, mehr aber auch nicht. Daher habe ich diesen Verein ins Leben gerufen, um langfristig eine Möglichkeit zu bieten, für Spieler mit und ohne Einschränkung – oder aber auch ganz egal welcher sexueller Neigung sie nachgehen. Beim IFC Munich United geht es um das Miteinander und nur um den Fußball als Gemeinschaftszweck. Natürlich so erfolgreich wie möglich. Aufgrund von Corona musste ich das Projekt aber leider in den Tiefschlaf befördern, weil niemand in dieser Zeit gerne sponsert. Daher fehlen uns die nötigen Gelder, um weiterzumachen. Ich bin aber davon überzeugt, dass ich es irgendwann wieder aufwecken kann. Bis dahin sammele ich meine Erfahrungen weiter.



Wie sieht es eigentlich mit der Vorbereitung auf die Rückrunde aus? Hatten Sie schon Kontakt zum neuen Team?

Ja, wir sind bereits als Team seit zwei Wochen im Online-Training. Die Mannschaft hat von mir einen Trainingsplan bekommen, den sie selbstständig bewältigt, und ich versuche, ein professionelles Training auf die Amateure anzupassen. Das bedeutet: Bei mir soll sich die Mannschaft so fühlen, wie bei einer Profimannschaft, nur eben nicht so häufige Belastung, weil die Faktoren Familie und Arbeit dazukommen. Ich muss der Mannschaft auch einen riesiges Kompliment aussprechen, weil ich weiß, dass es als Fußballer schwierig ist, ohne Ball zu trainieren. Trotzdem geben die Männer Gas und sind innerhalb von zwei Wochen gemeinsam schon mehr als 400 Kilometer gelaufen. Trotz der fehlenden Perspektive seitens des Verbandes werden wir uns bestens vorbereiten, egal was kommt!


Als welchen Trainertypen würden Sie sich selbst beschreiben?

Ich habe als Trainer klare Vorstellungen davon, wie ich spielen lassen möchte und versuche immer auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen einzugehen. Gerade im Amateurbereich ist das noch wichtiger als im Profifußball, und das vergisst man gerne mal. Trotz alldem ist mir der Spaß und die Liebe zum Spiel am wichtigsten, nur dann kann man erfolgreich Fußball spielen. Ich möchte auch meine Erfahrungen als gehörloser Spieler mit in die Taktik einfließen lassen. Die wichtigsten Merkmale für mich sind: Disziplin, Freude, Ehrgeiz, Wille und Gemeinschaft.