CSD in Landshut
Queer in Niederbayern: „Die Leute gucken schon seltsam“

01.09.2022 | Stand 25.10.2023, 10:49 Uhr

Herbert Lohmeyer ist Vorsitzender des Vereins Queer in Niederbayern. −Foto: Mühlehner

Von Corinna Mühlehner

Sexuelle Orientierung kann mehr sein als Heterosexualität, geschlechtliche Identität mehr als Mann und Frau. Für viele ist das selbstverständlich. Doch oft wir denen die „queer“ sind, sich also jenseits des in der Gesellschaft etablierten Denkschemas definieren, auch mit Abneigung, Hass oder gar Gewalt begegnet.



Eine Organisation, die queeren Menschen zeigen will, dass sie nicht allein sind, ist der Queer in Niederbayern e.V., der im Juni 2019 in Landshut entstanden ist. Ein Verein, der eine Anlaufstelle für queere Menschen ist – etwas, das gerade im ländlichen Raum wichtig ist.

„Wenn man verliebt ist, ist das sehr wohl normal“

Vereinsvorsitzender Herbert Lohmeyer weiß: Sich beispielsweise als homosexuell zu outen, ist mit vielen Ängsten verbunden. „Viele fürchten Konsequenzen. Ob sie zum Beispiel ihre Arbeit verlieren. Wir müssen das endlich aus den Köpfen rauskriegen, dass alles abseits von heterosexuell ,nicht normal‘ sei. Wenn man verliebt ist, ist das sehr wohl normal“, betont er.

Der Verein Queer in Niederbayern sollte ursprünglich gegründet werden, um einen Christopher Street Day (CSD) in Landshut auszurichten. Bei diesen Umzügen, die mittlerweile in vielen Städten weltweit stattfinden, demonstrieren queere Menschen für ihre Rechte. Schnell war aber klar: Niederbayern braucht mehr, braucht eine Anlaufstelle. Es war die Geburtsstunde des Queer in Niederbayern e.V. „Wir hatten 55 Gründungsmitglieder“, erzählt Lohmeyer. Mittlerweile hat der Verein über 200 Mitglieder.

2000 Menschen im Demozug

Wenn Herbert Lohmeyer über den CSD spricht, leuchten seine Augen. „Wir haben 2019 aus dem Stand den drittgrößten CSD in Deutschland aus dem Boden gestampft“, blickt Lohmeyer nicht ohne Stolz zurück. Der Zuspruch war enorm: Rund 2000 Menschen waren im Demozug dabei.

„Man merkt schon, dass der CSD eine Art ,safe space‘ für queere Menschen ist“, sagt er und meint damit einen „sicheren Hafen“. Auf der Parade habe er einmal ein schwules Pärchen gefragt, ob sie sich auch an normalen Tagen so in der Altstadt küssen würden. „Die Antwort: ,Natürlich nicht!‘“, erinnert sich Lohmeyer. Denn: „Die Leute gucken schon seltsam oder kommen mit blöden Sprüchen.“

Er persönlich sei wegen seiner Orientierung noch nie diskriminiert worden. Er war früher mit einer Frau verheiratet, hat einen Sohn. „Ich bin nach der Trennung nach Vilsheim gezogen. Für die Vilsheimer war nicht schlimm, dass ich mit meinem damaligen Partner – einem Mann – und meinem Sohn im Wirtshaus gesessen bin. Da war es viel schlimmer, dass ich einen SPD-Ortsverein gegründet habe“, erzählt Herbert Lohmeyer schmunzelnd.

„Schulen sind generell ein schlimmer Ort“

Aber es gebe auch andere Fälle. In Regensburg habe er einmal ein schwules Pärchen verteidigt, dass sich vor einer Bäckerei geküsst hatte und dann von einer Frau verbal attackiert worden sei. Auch Schulen spricht Herbert Lohmeyer an. „Schulen sind generell ein schlimmer Ort. Die Masse outet sich in der Schulzeit nicht. Tun sie es, werden sie nicht selten gemobbt.“

Diskriminierung queerer Menschen sei im Alltag weit verbreitet. „Das geht schon damit los, dass der Schiri auf dem Fußballplatz als ,schwul‘ oder ,Schwuchtel‘ bezeichnet wird, wenn er was pfeift, was den Zuschauern nicht gefällt. Die meisten denken sich nichts dabei, weil sie nicht entsprechend sensibilisiert werden.“

In den jetzigen Zeiten sei es leichter, mit diesen Dingen an die Öffentlichkeit zu gehen, sagt Lohmeyer. In Landshut habe er aber nur wenige offen homosexuelle Pärchen gesehen. „Ich weiß, dass viele wegziehen“, so Herbert Lohmeyer. „In die Großstadt, wo sie in der Anonymität untergehen, weil sich da niemand interessiert.“ Zugleich gebe es aber viele positive Beispiele: „Eines unserer Mitglieder hat sich in der Katholischen Landjugend geoutet – und das war dort für niemanden ein Problem.“

Dass queeren Menschen gar Gewalt angedroht wird, davon habe er gehört, aber noch keine Fälle im Umfeld erlebt. Doch sei die Dunkelziffer hoch: „Viele wollen das nicht an die große Glocke hängen.“ Wichtig sei, dass die Polizei entsprechend sensibilisiert werde. „Es sollte Sachbearbeiter geben, die solche Fälle nicht abtun und damit Hasskriminalität gegen queere Menschen nicht in all den anderen Fällen untergeht. Es ist wichtig, dass queere Menschen ernst genommen werden.“

Ziel: Ergänzung des Artikels 3 im Grundgesetz

Grundsätzlich dürfe aber schon festgestellt werden, dass die Akzeptanz in den letzten Jahren zunehme, betont Herbert Lohmeyer. Es sei viel gesetzlich passiert, mit der Lebenspartnerschaft und später der Ehe für alle. „Aber es ist noch lange nicht alles gut.“ Vor allem müsse Artikel 3 im Grundgesetz um die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität ergänzt werden. „Es gibt noch viel zu tun“, sagt Herbert Lohmeyer.

Auch heuer organisiert der Queer in Niederbayern e.V. in mehreren Städten einen Christopher Street Day. Die nächsten Termine: CSD in Straubing am Samstag, 10. September, auf dem Ludwigsplatz mit Demozug durch die Stadt, Beginn: 15 Uhr; 4. CSD in Landshut am Samstag, 24. September, auf der Mühleninsel, Demozug gegen 13/13.30 Uhr.