Spektakuläre Reise
Landshuter radelte bis nach Istanbul – und begegnete dabei Braunbären

09.10.2022 | Stand 22.09.2023, 4:54 Uhr

In den Karpaten boten sich Rojan-Paul Stockner herrliche Ausblicke. Fotos: Stockner

Von Corinna Mühlehner



Landshut/Istanbul. Sein Fahrrad steht wieder in seinem Zimmer. Wenn Rojan-Paul Stockner es sieht, denkt er oft „Bald geht‘s nach Istanbul“. Dann fällt ihm wieder ein: Er war schon da. Im August hat sich der 18-Jährige seinen Kindheitstraum erfüllt: Er ist von Landshut zu einer 2.500 Kilometer langen Reise nach Istanbul aufgebrochen – mit dem Rad. Eine Reise, die ihn nicht nur entlang idyllischer Flüsse und über steile Gebirge geführt, sondern auch Auge in Auge mit einem Braunbären gebracht hat.

Am 5. August hat Rojans Abenteuer begonnen. „Wir sind oft mit dem Auto in die Türkei gefahren“, erzählt der 18-Jährige, dessen Mutter aus Roßbach (Lkr. Rottal-Inn) und dessen Vater aus dem östlichen Teil der Türkei stammen. „Mit Acht hab ich dann beschlossen: Die Strecke fahre ich einmal mit dem Rad.“

Bei seiner Ankunft wurde er von seiner Familie bejubelt



26 Tage war er unterwegs. Bei der Ankunft in Istanbul am 30. August wurde Rojan von seiner Familie in Empfang genommen, die separat mit dem Auto angereist waren. Auch andere Verwandte aus der Türkei feierten den Abschluss seiner Reise mit ihm. „Ich hab das noch gar nicht richtig realisiert, dass ich das wirklich gemacht habe“, sagt Rojan zurück in Deutschland im Gespräch mit unserer Zeitung. „Das waren einfach so viele Eindrücke, eine richtige Überreizung. Da kommt man geistig kaum hinterher“, so der 18-Jährige.

Geplant war eine Route über 2.200 Kilometer durch Deutschland, Österreich, Ungarn, Rumänien, Slowenien und schließlich die Türkei – am Ende wurden es 2.500. „Ich bin viele Umwege gefahren“, erklärt Rojan. Etwa, um weniger befahrene Straßen zu wählen. Eine der größten Gefahren sei nämlich der Verkehr gewesen. „Die Lkws fahren schon nah an einem vorbei“, erzählt er. „Manchmal war es echt knapp. Ich habe tausend Schutzengel gehabt“, sagt Rojan.

Viele hätten ihm aber zugewunken und zum Gruß gehupt – auch weil Rojan immer gut drauf gewesen sei und beim Fahren gern gesungen habe. Sicherlich auch ein Grund, warum der 18-Jährige viele schöne Begegnungen hatte. „Die Menschen waren sehr herzlich“, sagt er, „haben mich zum Essen und Trinken eingeladen und wollten etwas über meine Reise wissen.“ Allerdings sei die Kommunikation nicht immer einfach gewesen. „Ich war meistens in kleinen Dörfern unterwegs, wo niemand wirklich Englisch konnte. Aber mit Händen und Füßen haben wir uns irgendwie verständigt.“

Weniger gut auf ihn zu sprechen waren dagegen die Hunde in besagten Dörfern. „Die Hofhunde haben halt das Ziel, ihr Revier zu beschützen“, so Rojan. Während weder Spaziergänger noch Fahrzeuge das vierbeinige Sicherheitspersonal aus der Ruhe gebracht hätten, konnte Rojan auf seinem Fahrrad nicht punkten: „Sobald ich vorbeigefahren bin, sind mir die Hunde bellend nachgelaufen. Da kam dann wie im Film einer nach dem anderen aus dem Hof und hat sich an mich drangehängt.“

Am Straßenrand saß plötzlich ein Braunbär

Fünf bis sechs Hunde habe er da hinter sich gehabt, die aber schnell abgelassen hätten. „Anfangs war ich schockiert, aber das ist mir dann mehrmals am Tag passiert und ich hab mich dran gewöhnt.“

Eine tierische Begegnung, die dagegen einmalig war, hatte der Landshuter in den Karpaten. Rojans Eltern, die am selben Tag wie er mit dem Auto in die Türkei gestartet waren, hatten ihm Fotos aus dem Gebirge geschickt – von Braunbären, die am Straßenrand herumlungerten. „Da dachte ich mir: Toll, jetzt sind es keine Hunde mehr, sondern Braunbären“, erinnert sich Rojan.

Bei den Karpaten angekommen, ging es an den 30 Kilometer langen, steilen Aufstieg – allein auf der Bergstraße, umgeben von dichtem Nebel. „Als ich die ersten Warnschilder von Bären mit weit aufgerissenem Maul gesehen habe, hab ich mir gedacht: ,Oh Gott, was mache ich hier?!‘“, erzählt Rojan.

Die Bären ließen sich zunächst nicht blicken. „Auf dem letzten Stück des Abstiegs haben mir dann schon Autos aufgeblendet“, erinnert sich der Landshuter. Plötzlich sei ein Braunbär vor ihm gestanden. „Ich hab auf einmal keine Angst mehr gehabt. Ich war wie in Trance und bin sogar abgestiegen“, erzählt der 18-Jährige. Der Bär sei ganz entspannt gewesen. „Ich glaube, einmal war ich sogar fünf Meter nah dran“, so der Landshuter, der aber stets den nötigen Respekt vor dem Tier gewahrt habe.

Temperaturen von fünf bis 48 Grad

„Dann sind Leute mit dem Auto gekommen, um den Bären zu füttern“, erzählt Rojan. Ein Mann sei ausgestiegen und dem Bären wohl zu nahe gekommen. „Der ist dann auf ihn zugerannt und wir sind alle schnell abgehauen“, sagt Rojan und lacht.

Gefährlich, aber auch anstrengend war seine Reise. Temperaturen von fünf bis 48 Grad habe er erlebt, dazu Platzregen, pralle Sonne, Hagel und Gewitter – alles auf dem Rad. Aber: „Körperlich hatte ich absolut keine Beschwerden“, sagt der 18-Jährige. Dabei hätten sogar erfahrene Sportler ihn vor Muskelkater und Schmerzen gewarnt. Rojan dagegen habe sogar täglich trainiert und für die Schule gelernt.

„Aber psychisch war es eine Herausforderung“, betont er. Jeden Tag aufzustehen und sich zu motivieren, lange Strecken zu fahren, in einem unbekannten Land auf schlechten Straßen und ins Ungewisse – das habe an den Nerven gezehrt. Da hätte ihm die große Unterstützung in den sozialen Medien viel geholfen. „Ich hab manchmal um die hundert Nachrichten täglich bekommen“, sagt Rojan, der viel gefilmt und im Internet geteilt hat. Im Frühjahr wolle er auf Youtube eine kleine Serie und einen Film über die Reise veröffentlichen.

Und fast hätte es noch mehr Material gegeben: „Kurz vor Istanbul hab ich zu meiner Mutter gesagt: ,Mama, ich glaub, ich fahr weiter, mir macht das so viel Spaß‘“, erzählt Rojan. Wegen seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten hat er sich dagegen entschieden – vorerst. „Als Nächstes will ich von Istanbul nach Kâhta in der Osttürkei radeln, wo sich meine Eltern kennengelernt haben“, verrät Rojan.

Nächstes Ziel: Mount Everest

Mit denen ging es im Auto auch zurück nach Deutschland. Da schwelgte Rojan in Erinnerungen. „Wir waren auf vielen Strecken unterwegs, die ich zuvor mit dem Rad gefahren bin.“ In der Zukunft geht es dann in die Berge: Neben dem Ararat, dem höchsten Berg auf dem Gebiet der Türkei, hat sich Rojan wohl das höchste Ziel gesetzt: den Mount Everest. Passend für den Herausforderungen liebenden Landshuter. Und frei nach seinem Motto: „Wenn‘s bergauf geht, geht‘s auch mit meiner Stimmung bergauf.“

Wer Eindrücke von Rojans Abenteuer aus erster Hand bekommen will, kann das am Sonntag, 9. Oktober, ab 15 Uhr im Kleinen Theater in der Bauhofstraße 1, Landshut. Dort wird er Bilder und Videos seiner Reise zeigen.