Landshut
Landrat zu Corona-Lockerungen: Leichtigkeit, aber kein Leichtsinn

02.04.2022 | Stand 23.09.2023, 2:08 Uhr

Leichtigkeit, aber kein Leichtsinn: Landrat Peter Dreier betont, dass das Coronavirus trotz der aktuellen Lockerungen nicht einfach verschwunden ist. −Foto: Landratsamt Landshut

Von Corinna Mühlehner und Veronika Bayer

Landshuts Landrat Peter Dreier mahnt im Interview trotz Corona-Lockerungen zu weiterer Vorsicht.

Herr Landrat, wie stehen Sie generell zu den Lockerungen, auch in Hinblick auf die hohen Inzidenzzahlen?
Landrat Peter Dreier:Das zähe Ringen um die künftige Ausrichtung der Corona-Politik beweist ja eindrucksvoll – wir befinden uns an einem Scheideweg in der Pandemie. In meinen Augen braucht es deshalb eine klare Entscheidung, wohin die Corona-Politik gehen soll: Sehen wir SARS-CoV2 als endemisch an, wie Influenza, Noroviren und viele andere, jahrhundertelang bekannte Krankheitsbilder auch, und lernen, mit dem Virus zu leben. Oder wir halten am „Team Vorsicht“ fest, behalten Test- und Quarantänepflichten bei und vertagen den Lockerungskurs auf einen späteren Zeitpunkt. Fest steht: Wir brauchen einen klaren, verlässlichen Kurs. „Team Augenmaß“ ist in dieser Lage kein praktikabler Mittelweg.

Der 2. April kann also nicht als ein Ende der Pandemie gelten?

Dreier: In meinen Augen nicht. Denn auch wenn die Corona-Maßnahmen gelockert werden, können wir nicht einfach in den Alltag vor Corona zurückkehren. Denn nach wie vor merken wir in den Krankenhäusern die enorme Belastung durch die Corona-Pandemie – vielleicht nicht mehr primär aufgrund der Belegung der Intensivbetten durch Corona-Patienten. Es ist vor allem auch die Personalknappheit durch Krankheit und Quarantäne, die die Krankenhäuser stark belastet und unsere Versorgung gefährden. Und diese Gefahr haben wir noch lange nicht überwunden. Aber ich habe es schon öfter gesagt: Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben – und dazu gehört auch weiterhin eine gewisse Rücksicht aufeinander.

Viele Menschen sind sicherlich auch misstrauisch, ob im Herbst nicht schon die nächsten Maßnahmen kommen.

Dreier:Wir leben in einer Zeit, in der sich quasi über Nacht unsere Welt komplett verändern kann – das hat uns vor zwei Jahren Corona gezeigt und vor rund einem Monat der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Jetzt eine Prognose zum Herbst zu stellen: Ich glaube, das wagt momentan keiner.

In welchen Bereichen erwarten Sie durch die Lockerungen weitere – oder endlich – positive Auswirkungen?

Dreier:Ich hoffe, dass sich der immense Druck innerhalb unserer Gesellschaft, die immer tiefer gehende Spaltung, durch die Corona-Lockerungen etwas bessert und die Menschen wieder Vertrauen in ihre Mitmenschen und unsere gesellschaftliche Ordnung fassen. Die Welle der Solidarität zu den Menschen in der Ukraine hat mir etwas Hoffnung gegeben, dass die Menschen doch zusammenhalten können, wenn es darauf ankommt und ihre persönlichen Interessen hinten anstellen.

War mangelndes Verständnis seitens der Bürger in der Pandemie auch oft ein Thema?

Dreier:Ja, auch das mussten wir erfahren – das Verständnis der Bevölkerung, dass auch wir von Quarantänemaßnahmen betroffen sind, dass gerade für uns als Verwaltung die Pandemie Welle um Welle zu einem Kraftakt geworden ist und deshalb nicht alles wie gewohnt weiterlaufen kann, geht leider gegen Null. Und da muss ich für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirklich eine Lanze brechen.

Insgesamt: Kam unser Landkreis gut durch die Pandemie?

Dreier:Insgesamt zwar ja – wir dürfen aber nicht die Einzelschicksale vergessen. Jeder Verlust schmerzt. Manche haben ihren Arbeitsplatz verloren und mussten sich neu orientieren, die psychischen Erkrankungen haben zugenommen, viele Menschen haben die Perspektive verloren und müssen jetzt erst wieder ihren Weg finden. Und wir dürfen natürlich auch die Todesopfer dieser Pandemie nicht vergessen. Denn es sind auch in der Region Landshut über 400 Personen an oder mit dem Corona-Virus verstorben. Jeder von Ihnen war entweder Oma oder Opa, Vater oder Mutter, Onkel oder Tante, Schwester oder Bruder, Freund oder Bekannter. Manche Familien haben mehrere Familienmitglieder innerhalb kurzer Zeit an das Virus verloren.

Stark gebeutelt wurde auch die Wirtschaft. Dennoch sind viele Geschäftsideen erst durch die Pandemie entstanden. Werden sich diese neuen Unternehmenszweige halten können?

Dreier:Leider kann ich hier keine pauschale Aussage treffen – denn leider hat so mancher Betrieb die Corona-Wellen nicht überstanden. Aber ich bin froh, dass unsere Wirtschaft insgesamt gesehen doch gut durch die Zeit gekommen ist. Aber die nächste Herausforderung wartet ja schon – wir haben es ja schon mit dem anhaltenden Materialmangel gespürt. Mit dem Krieg in der Ukraine ist noch einmal deutlich geworden, dass die Globalisierung der Märkte einerseits eine enorme Chance darstellt, andererseits auch eine große Gefahr, weil man sich sehr von Importen aus dem Ausland abhängig macht: Die Schutzmasken waren ja ein passendes Beispiel, aber auch der Chipmangel oder explodierende Holz- und Energiepreise haben mir zu denken gegeben.

In manchen Bereichen gab es in den vergangenen beiden Jahren aber auch ziemliche Entwicklungsschübe.

Dreier:Ich denke, die Digitalisierung hat wirklich einen enormen Schub durch die Corona-Pandemie erfahren: Impfzertifikate werden per QR-Code und App nachgewiesen, Videokonferenzen sind alltäglich geworden, sogar das wochenlange Home-Schooling konnte so durchgeführt werden. Auch wenn in meinen Augen kein digitales Format der Welt das persönliche Gespräch ersetzen kann – es hat durchaus viele Vorteile. Doch die Pandemie hat uns zweifellos auch gezeigt, dass es viele Bereiche gibt, in denen wir Schwachstellen haben, die nicht durch Digitalisierung abgefedert werden können, beispielsweise eben in der Pflege.

Auch bei den Gepflogenheiten hat sich einiges verändert: Werden uns Masken auch in Zukunft begleiten? Und wird es irgendwann wieder einen Händedruck geben?

Dreier:Ich denke, dass uns die Masken vor allem in den Wintermonaten erhalten bleiben werden. Denn sie haben ja nicht nur die Corona-Pandemie etwas eingebremst, sondern schützen die Mitmenschen auch vor anderen Infektionskrankheiten. Grundsätzlich fände ich es gut, wenn die Maske in einigen Bereichen bleiben würde: Bei Arzt und Apotheken oder im Öffentlichen Personennahverkehr. Wenn die Menschen bei ihrer neu erlernten Handhygiene bleiben, könnte sicherlich auch der Händedruck ein Comeback feiern.

Gibt es etwas, auf das Sie sich persönlich besonders freuen und das nun bald wieder möglich ist?

Dreier:Ich freue mich auf die vielen Begegnungen, die in den letzten Jahren zu kurz gekommen sind. Und ich freue mich auf eine kühle Maß Bier in einem Bierzelt – vorausgesetzt, die Entwicklung der Pandemie lässt es zu, dass es wieder Volksfeste gibt – wenn auch mit Hygieneauflagen.

Möchten Sie den Menschen nach den letzten zwei Jahren zum 2. April etwas mit auf den Weg geben?

Dreier:Die letzten beiden Jahre haben uns viel abverlangt – und wir haben uns alle etwas Leichtigkeit und Freude mehr als verdient. Doch auch wenn wir uns alle nach dem Ende der Pandemie sehnen: Auch nach dem 2. April wird das Virus nicht spurlos verschwunden sein. Deshalb bitte ich Sie alle weiter um Umsicht und Nachsicht und Verantwortungsgefühl ihren Mitmenschen gegenüber. Hygieneregeln, regelmäßig testen, impfen lassen: Mit diesen Punkten können wir viel erreichen, damit im Herbst hoffentlich kein böses Erwachen folgt.