„Der Igel stirbt aus“, lautet die Warnung, als eine Frau mit aufgeregter Stimme in der Wochenblatt-Redaktion anruft. Mit Nachdruck sagt die Frau aus dem Raum Traunstein: „Wenn wir nichts unternehmen und der Mensch einfach so weitermacht, gibt es den Igel in acht Jahren nicht mehr.“
Sie selbst opfere ihre gesamte Freizeit, um schwache Igel aufzupäppeln. Das allein reiche aber nicht. „Es muss mehr für den Schutz des Igels getan werden. Sonst ist es bald zu spät.“
Der Igel, vom Aussterben bedroht? Das sorgt zunächst für Skepsis, gehört der Igel doch quasi zum „festen Repertoire“ der deutschen Natur. Die Recherche zeigt jedoch: Vom Aussterben bedroht ist der Igel zwar noch nicht, wirklich gut steht es um ihn aber auch nicht. Seit 2017 steht er auch in Bayern auf der sogenannten Vorwarnliste, die Teil der Roten Liste für gefährdete Tierarten ist. Denn der Igel-Bestand ist rückläufig.
Insektenschwund bedeutet weniger Nahrung für Igel
Kathy Mühlebach-Sturm, Vorsitzende des Bunds Naturschutz Landshut, weiß: „Die Nahrungssuche wird immer schwieriger für den Igel.“ Denn auch wenn bei den Tiere auch anderes auf dem Speiseplan steht, sind sie in erster Linie Insektenfresser. „Deshalb stellt der Artenschwund auch für den Igel eine Gefährdung dar“, so Mühlebach-Sturm. „Wir erleben gerade das sechste große Artensterben in den letzten drei Millionen Jahren. Diesmal ist es menschengemacht. In der Masse sind zuletzt 75 Prozent der Insekten verschwunden. Und das wirkt sich dann auf die Tierarten aus, die sich von Insekten ernähren.“
Schwalben, Fledermäuse oder eben auch der Igel, nennt Kathy Mühlebach-Sturm nur einige Beispiele der Tiere, die wegen der schwindenden Anzahl an verfügbaren Insekten in ihrem Bestand sinken. Viele der betroffenen Arten kenne man im Einzelnen nicht einmal. „Und diese Tiere sind ja gegebenenfalls wieder Nahrung anderer Arten“, sagt Kathy Mühlebach-Sturm. „Das geht dann immer so weiter und am Ende gibt es immer mehr Löcher im System.“
Doch auch der zunehmende Umbau der Natur durch den Menschen macht dem Igel zu schaffen. Lisa Pucknus ist eine von mehreren Igelexperten, die über den Bund Naturschutz bei Fragen rund um den Igel weiterhelfen. Auch sie sagt: „Dem Igel geht es nicht unbedingt gut.“
Die Tiere leben in lichten Wäldern, Grasländern und Kulturlandschaften. „Sie sind näher an den Menschen gerückt“, erklärt Lisa Pucknus. Aber auch da sehe es mittlerweile mau aus mit dem Lebensraum: „Es hat ja fast kein Mensch mehr einen gescheiten Garten“, sagt sie. Jeder wolle seine Außenflächen „schön“ machen, was meist in reinen Steingärten ende. „Auch Laubhaufen, in denen der Igel seinen Winterschlaf machen könnte, oder Äpfel werden meist nicht mehr liegengelassen.“
Straßenüberquerungen bergen für Igel große Gefahr
Wegen der immer schwieriger werdenden Bedingungen müssen Igel weiter wandern, um Nahrung, einen Platz zum Überwintern oder auch einen Partner zu finden. „Dann müssen sie über Straßen, was eine große Gefahr für sie bedeutet“, weiß Lisa Pucknus. Auch Mähroboter, die meist abends zugange sind, wenn auch der dämmerungsaktive Igel unterwegs ist, oder Hunde stellten den Igel in Gärten vor Herausforderungen.
Weil sich die Nahrungssuche immer schwieriger gestaltet, können sich viele Tiere nicht mehr den nötigen Speck anfressen, um über den Winter zu kommen, erklärt Lisa Pucknus. Deshalb gibt es Menschen wie sie, die sich privat um verletzte oder schwache Igel kümmern.
„Wer tagsüber einen Igel sieht, kann davon ausgehen, dass etwas nicht stimmt“, erklärt die Expertin. Denn eigentlich ist der Igel nur in der Dämmerung und nachts unterwegs. „Auch wenn ein Igel bei Temperaturen zwischen null und fünf Grad noch herumläuft, ist das nicht normal. Denn da müssten sie sich eigentlich schon etwas für den Winterschlaf gesucht haben.“ Die Männchen begeben sich als erste in die Winterruhe, erklärt Pucknus. Die Weibchen seien wegen der Jungen manchmal etwas länger aktiv.
Aufpäppler können oft keine Tiere mehr aufnehmen
Dass ein Igel Hilfe braucht, merke man zum Beispiel, wenn ihm Stacheln fehlen, er viele Zecken hat oder hustet. „Und natürlich wenn er sichtbar verletzt ist“, so die Expertin. Zunächst könne man sich an einen Tierarzt wenden oder auch an den Bund Naturschutz, der wiederum an igelkundige Personen vermittelt. Aber: „Viele Aufpäppler sind mittlerweile überlastet und können keine weiteren Tiere aufnehmen“, betont Lisa Pucknus.
Das stoße nicht immer auf Verständnis. „Die Leute sind teilweise sehr fordernd“, so ihre Erfahrung. „Wenn es heißt, man kann den gefundenen Igel nicht mehr aufnehmen, gab es schon Anrufer, die meinten, die Aufpäppler seien ja verpflichtet, den Igel zu nehmen.“ Teils hätten diese aber bereits 20 bis 30 Tiere bei sich zur Pflege. „Da kommt man nicht mal mehr aus einem Zimmer raus, weil alles voller Kisten steht.“ Dass die Kapazitäten irgendwann einmal erreicht sind, werde von einigen aber nicht akzeptiert.
„Die Aufpäppler machen das ehrenamtlich. Das sind Privatpersonen, die das freiwillig, meist noch neben der Arbeit machen“, betont Pucknus. „Manche Finder wollen sich selbst nicht um den Igel kümmern, unterstellen den Aufpäpplern aber dann, sie seien schuld, wenn der Igel stirbt“, moniert sie.
Die Pflege einer solchen Vielzahl an Igeln sei nicht nur ein massiver zeitlicher, sondern auch finanzieller Aufwand für die Aufpäppler, betont Pucknus. Denn der Tierarzt übernehme nur die Grundversorgung von Wildtieren kostenlos. Den Rest müssen die Aufpäppler selbst stemmen. Lisa Pucknus würde sich deshalb wünschen, dass Finder eines Igels aufgeschlossen sind und mehr Eigeninitiative zeigen. „Einen Igel zu finden, heißt nämlich nicht gleich, ihn gerettet zu haben“, sagt sie. Wegen der hohen Belastung durch die schiere Vielzahl an Tieren sowie der teils geringen Wertschätzung gebe es aber immer weniger Aufpäppler. Für Lisa Pucknus eine besorgniserregende Entwicklung – auch für den Igel. „Dann könnte es schon sein, dass der Igel früher oder später wirklich vom Aussterben bedroht ist.“
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