Unfassbar
Ex-Baumer-Verlobter vor Gericht: Domspatzen-Lehrerin als Schöffin abgesetzt

10.07.2017 | Stand 13.09.2023, 0:27 Uhr
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Prozessauftakt vor dem Regensburger Landgericht: Der 32-jährige Ex-Verlobte der wohl ermordeten Maria Baumer steht vor Gericht – allerdings wegen sexuellem Missbrauch.

REGENSBURG Der Angeklagte wirkt ruhig, als er zusammen mit seinen beiden Anwälten den Gerichtssaal betritt – auf den Zuschauerrängen sitzen viele, die F. kennen. Aus der Schulzeit bei den Domspatzen beispielsweise, zahlreiche auch offizielle Vertreter der Domspatzen sind gekommen, sie fürchten wohl, dass der Prozess wiederum ein schlechtes Licht auf die ohnehin gebeutelte Schule werfen könnte. Aber auch Bekannte und Familienangehörige der Maria Baumer, deren sterbliche Überreste im September 2013 von Pilzesammlern in einem Waldstück bei Bernhardswald gefunden wurden.

F. sieht noch immer aus, als könnte er kein Wässerchen trüben. Nun wissen geübte Gerichtsreporter natürlich, dass der Schein oft trügt. Selten aber überschattete ein anderes, noch schlimmeres Verbrechen als der vorgeworfene sexuelle Missbrauch einen Prozess wie diesen – denn natürlich fragten sich viele auf den Zuschauerrängen, ob der unscheinbare Krankenpfleger gerade wegen des mutmaßlichen sexuellen Missbrauch des zunächst 13-jährigen Domspatzen ein Problem mit seiner damaligen Verlobten bekommen hat. Ist das ein Motiv, das die Staatsanwaltschaft nun in anderen Straftaten festklopfen will? Staatsanwältin Dr. Christine Müller, eine harte, aber auch sehr geschickte Vertreterin der Staatsanwaltschaft, wird sich beim Prozess in dieser Richtung keine Blöße geben. F.s Rechtsanwalt Michael Haizmann, ein ebenso erfahrener wie ausgebuffter Strafverteidiger, wird jeden Verdacht sofort aufgreifen und im Keim ersticken.

Haizmann begann den Prozess bereits vor der Verlesung der Anklageschrift mit einem Befangenheitsantrag gegen eine Jugendschöffin, da diese selbst Lehrerin bei den Domspatzen war. Sie hatte F. in der 5., 6. und 11. Klasse als Mathelehrerin – auch einige geladene Zeugen hat sie unterrichtet. Die Lehrerin hatte selbst per eMail Bedenken angemeldet bezüglich eines Prozesses gegen F., doch offenbar hatte man ihren Bedenken keine Bedeutung beigemessen – ein eigentlich unfassbarer Vorgang. Bereits bei der Ablehnung der Schöffin brachte Haizmann den Missbrauchsskandal bei den Domspatzen ins Spiel: „In einer Erklärung des Rechtsanwalts Ulrich Weber ist zwar die Rede davon, dass sich die meisten Fälle des sexuellen Missbrauchs auf die 70er Jahre bezogen, aber es gab auch Fälle, die weit in die 90er Jahre hineinreichten“, sagte Haizmann. Sogar ein Opfer sexuellen Missbrauchs, der als Zeuge vernommen werden soll, wurde von der Schöffin unterrichtet – unfassbar, dass das Gericht unter Vorsitz von Richter Carl Pfeifer es sehenden Auges soweit kommen ließ, die Domspatzen-Lehrerin auf der Richterbank Platz nehmen zu lassen.

Doch Staatsanwältin Christine Müller parierte den Antrag sofort: „Ich habe das schon in der Presse gelesen, es habe irgendwie ein sexuell aufgeladenes Klima bei den Domspatzen geherrscht. Da muss ich gleich entschieden entgegen treten. Man kann nicht von einzelnen Lehrern auf den ganzen Lehrkörper schließen“, sagte Müller. „Ein vernünftiger Angeklagter wird nicht davon ausgehen, dass es eine Rolle spielt, was Sie hier vortragen“, so Müller weiter. Sie lehnte – zusammen mit den beiden Nebenklagevertreter, die die mutmaßlichen Opfer vertreten – den Befangenheitsantrag ab. Doch am Ende entschied das Gericht für Haizmanns Antrag, die Lehrerin als Schöffin wurde ausgetauscht.

Vor Gericht steht Christian F. nicht etwa wegen des Tötungsdelikts, im Mordfall Baumer ermitteln die Staatsanwälte nämlich noch. Vielmehr wirft man F. vor, als zunächst 21-Jährigen einen damals 13-jährigen Jungen sexuell missbraucht zu haben. Pikant: Selbst in der gemeinsamen Wohnung, die F. mit seiner Verlobten Maria Baumer bewohnte, soll es im November 2010 zu einem sexuellen Übergriff gekommen sein. Komisch ist allerdings, dass das mögliche Opfer damals schon 17 oder 18 Jahre alt war und trotz der von der Staatsanwaltschaft als Missbrauch eingestuften Taten den Kontakt zu F. aber nie abbrach. Hatten die beiden eine Beziehung? Ist F. bisexuell? Dem Vernehmen nach wird es beim Prozess auch darum gehen, ob bei den Domspatzen ein sexuell aufgeheiztes Klima herrschte, in dem die älteren Schüler die Jüngeren verführten. Die Verteidigung wird mit Sicherheit das Thema Missbrauchskandal bei den Domspatzen einführen, um die vorgeworfenen Taten in ein anderes Licht zu tauchen.


Aufgekommen ist die Sache überhaupt erst, weil die Polizei bei ihren Ermittlungen auf F.s Festplatte mehrere Videos gefunden hatte, die auch unter 14-Jährige bei sexuellen Handlungen zeigten. Die Anklage erwähnt auch, dass F. eine sexuelle Handlung gefilmt und fotografiert haben soll, die ihn mit dem minderjährigen Domspatzen zeigte.


Verteidiger kündigt ein Rechtsgespräch an Merkwürdig erscheint auch ein weiterer Fall, den ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft: So soll er als Krankenpfleger im BKH eine labile Patientin kennengelernt und ihr Vertrauen erlangt haben. Im April 2014 soll er das Beruhigungsmittel Tavor in den Tee der jungen Frau gemischt und sie so sexuell gefügig gemacht haben. Die Anklage spricht von regelrechtem Stalking: 535 Mal soll er per SMS, WhatsApp und Facebook Kontakt mit der Frau aufgenommen haben, sie antwortete lediglich 33 Mal. 

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