Offener Brief von Landrat Heinrich Trapp
„Es gibt kein Patentrezept gegen das Corona-Virus“

13.03.2020 | Stand 03.08.2023, 5:17 Uhr
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Dingolfings Landrat Heinrich Trapp hat am Freitag einen offenen Brief an die Bürgerinnen und Bürger veröffentlicht. Darin ruft er zu Besonnenheit und Zusammenhalt auf, aber auch dazu, Vorsicht walten zu lassen. Trapp: „Die Lage ist ernst!“

Dingolfing-Landau. Hier der offenen Brief von Heinrich Trapp im Wortlaut:

„Verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger,

nach 102 Jahren werden wir in unserer Heimat wieder mit einer Krankheit konfrontiert, die sich von einer lokalen Epidemie in China zu einer weltweiten Pandemie ausgeweitet hat. Auch in Deutschland steuern wir auf einen nationalen Ausnahmezustand zu.

Die Lage ist also ernst. Angst ist verständlich, Vorsicht und Vorkehrungen sind notwendig. Hysterie ist kontraproduktiv, besonnenes Handeln hilft Gefahren und Schäden zu begrenzen. Das Virus trifft auf eine Bevölkerung, die keinerlei körpereigene Abwehrmittel hat. Impfungen oder Arzneimittel zur Vorbeugung oder Heilung gibt es (noch) nicht.

Wer sich mit dem Virus infiziert hat, merkt dies erst nach ein paar Tagen. In der Zwischenzeit kann der Infizierte weitere Kontaktpersonen angesteckt haben, und jede der weitere Kontaktpersonen kann das Virus weiter streuen Das Virus kann auch von Menschen weiter verbreitet werden, die sich nicht krank fühlen.

Zur Ehrlichkeit gehört die Einsicht, dass es kein Patentrezept gegen das Corona-Virus gibt. Nach Aussagen des Direktors des Robert-Koch-Instituts werden sich bis 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, das sind ca. 60 Millionen Menschen, mit dem Virus infizieren.

Die Strategie in Deutschland zielt darauf ab, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, da bei einer schnellen oder explosionsartigen Ausbreitung die Krankenhausversorgung zusammenbrechen würde. Krebs- oder OP-Patienten wären in akuter Gefahr. Für das Klinikpersonal gilt eine besondere Fürsorge- und Schutzpflicht.

Im Landkreis Dingolfing-Landau wissen wir zurzeit von sechs Infizierten, die als minderschwere Fälle nicht im Krankenhaus, sondern in häuslicher Quarantäne sind. Die Zahl der getesteten Kontaktpersonen liegt bei hundert. Über die Zahl der Infizierten gibt es nur Spekulationen. Die Zahl dürfte dreistellig sein.

Für das Testen erkrankter Menschen mit erhöhtem Risiko sind allein die Kassenärzte bzw. deren Vertretung, die Kassenärztliche Vereinigung (KV), zuständig. Um Verdachtsfälle nicht in den Praxen behandeln zu müssen, betreiben sie Testautos, Drive-Ins oder zentrale Einrichtungen. Als Landkreis fordern und unterstützen wir einen Drive-in-Test im Landkreis.

Das Krankenhaus testet nicht. Die dortige Sichtungsstelle hat die Aufgabe das Krankenhaus einsatzbereit zu halten. Das Gesundheitsamt (zwei Ärzte, ein medizinischer Mitarbeiter) ist damit ausgelastet, die Kontaktpersonen zu den positiv Getesteten zu ermitteln und zu begleiten und Kontakt zu den Einsatzstellen zu halten.

Für später zu erwartende schwere Fälle richtet das Donau-Isar-Klinikum an zwei Standorten Isolierstationen ein.

Bei der letzten großen Pandemie (Spanische Grippe von 1918 bis 1922) kamen mehr als 50 Millionen Menschen ums Leben. Das Virus traf damals auf eine Bevölkerung, die im letzten Kriegsjahr hungerte und mangelernährt war – und deshalb damit ein stark geschwächtes Immunsystem hatte.

Die Voraussetzungen sind jetzt anders. Die Menschen heute sind gut ernährt und verfügen über mehr Abwehrkräfte, so dass das Corona-Virus in der großen Mehrheit aller Infektionen „nur“ zu grippeähnlichen Symptomen führt. Wer das überstanden hat, dürfte für längere Zeit immunisiert sein. Eine weitere Ansteckung ist dann unwahrscheinlich.

Wir gehen davon aus, dass es jeden „erwischen“ kann und man nur eine Zeitlang durch Vorsicht der Infektion „ausweichen“ kann.

Ich bitte Sie dringend, Infizierte nicht zu stigmatisieren. Sie sind keine Aussätzigen, sondern gehören zur Familie, sind unsere Nachbarn oder Kollegen. Wir müssen – leider – davon ausgehen, dass es jede Familie treffen kann.

Unsere große Sorge gilt den hochbetagten Menschen und Risikopatienten, deren Immunsystem bereits angegriffen ist. Um sie zu schützen sind viele der Einschränkungen verordnet.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

in dieser ernsten Lage hilft nur schonungslose Offenheit, keine Schönfärberei und keine falschen Versprechungen. Wir stehen vor Herausforderungen, die das öffentliche Leben teilweise lahmlegen und die unseren persönlichen Alltag verändern werden.

Der Staat kann eine gewisse Lenkungsfunktion wahrnehmen, ein Gegenmittel hat er nicht. Das hat keiner. Weltweit niemand. Wir sollten uns aber auch bewusst sein, dass wir in Deutschland mehr Chancen haben, als in anderen Ländern, diese Herausforderungen zu bewältigen.

Die großen Medizinkonzerne haben in den vergangenen Jahren aus „Kostengründen“ die Produktion von Medizinprodukten und Arzneien (vor allem Antibiotika) nach Asien verlegt. Dies kann wegen Liefersperren dazu führen, dass die Vorräte hier in den nächsten Monaten zur Neige gehen. Unsere Regierung wird große Anstrengungen darauf verwenden müssen, diese Nachteile abzuwenden.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

wir sollten nicht mit dem Schicksal hadern und uns in Schimpfen und Jammern ergehen. Was auf uns zukommt, ist komplex und auch noch nicht überschaubar. Leicht wird es nicht. Aber wir müssen und wir werden das „hinkriegen.“ Wir werden die Corona-Pandemie überwinden und wieder zu einem normalen Leben zurückkehren.

Ich versichere Ihnen, dass ich als Landrat mit meinen Mitarbeitern, den Stab- und Hilfskräften als Menschenmögliche tun werde, um das öffentliche Leben am Laufen zu halten. Allein gestern war ich von 8.30 bis 20 Uhr in Lagebesprechungen und Konferenzen (u.a. Krisenstab, Bürgermeister, Krankenhäuser) und habe dabei mit den Verantwortlichen Vorkehrungen getroffen, wie bei einer möglichen Eskalation den Erkrankten geholfen werden kann.

Sie erwarten zu Recht, dass Krankenhäuser, soziale Einrichtungen, Post und Bahn, Arztpraxen, Bäckereien, Apotheken, Geschäfte und die öffentliche Verwaltung etc. auch unter erschwerten Bedingungen funktionieren. Der Kontakt zu Menschen gehört auch in diesen Krisenzeiten zur Normalität. Auch wer sich monatelang zu Hause abriegelt, ist nicht auf der „sicheren Seite“ solange man keine Grundimmunisierung herstellen kann.

Ich bitte Sie, im Rahmen Ihrer Möglichkeiten dabei mitzuwirken und jenen Menschen mit Respekt zu begegnen, die beruflich oder ehrenamtlich für das Funktionieren der gesellschaftlichen Notwendigkeiten und vor allem des Gesundheitswesens sorgen.

Dingolfing, 13. März 2020

Ihr

Heinrich Trapp

Landrat

Dingolfing-Landau