Scharfe Worte auf Info-Veranstaltung zum Thema Ärztemangel
Sozialistisches Teilsystem im Kapitalismus"

06.07.2017 | Stand 27.07.2023, 0:29 Uhr

Immer weniger Hausärzte in ländlichen Regionen, die Konzentration von Medizinern in Ärztehäusern und Ausfälle durch Schwangerschaft: Der Arbeitskreis „Ärztemangel” im Landkreis Traunstein ging der aktuellen Situation auf den Grund.

LANDKREIS TRAUNSTEIN Die Landflucht ist eines der prägendsten Merkmale moderner Gesellschaften im 21. Jahrhundert. Sogar der Zukunftsrat der bayerischen Staatsregierung hat in seinem Bericht 2011 gefordert, dass gezielt Ballungszentren (auf Kosten des ländlichen Raums) gefördert werden sollen. Darunter würde auch die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen wie dem Landkreis Traunstein leiden. Eine Grundversorgung für alle Bürger könnte dann in vollem Umfang nicht mehr gewährleistet werden.

Dieses Konfliktpotenzial hat der Kreisverband der Jungen Union Traunstein bereits vor einem Jahr erkannt und einen Arbeitskreis „Ärztemangel“ gegründet, der sich mit geeigneten Gegenmaßnahmen beschäftigen soll. Im Rahmen einer Informationsveranstaltung wies Dr. Christine Ahlheim, die Vorsitzende des gesundheitspolitischen Arbeitskreises Traunstein, darauf hin, dass nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in den nächsten Jahren mehr als 40.000 Haus- und Fachärzte in den Ruhestand gehen werden. Aus deisem Grund sei das Thema entsprechend brisant.

Robert Schneck von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) erklärte mit Blick auf die Ärzteversorgung in Bayern, dass die heutige Situation auf der 1993 vom damaligen Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer aufgestellten Bedarfsplanung basiere, mit der bundesweit eine flächendeckende Gesundheitsversorgung gewährleistet werden sollte. Nach einer kurzen Übergangsfrist sind seither in überversorgten Gebieten, zu denen auch der Landkreis Traunstein gehört, Praxisneugründungen nicht mehr möglich. Erlaubt sei nur die Übernahme vorhandener Praxen nach Gewinn einer Ausschreibung.  Das Problem sei jedoch, so Schneck, dass die Zahlenbasis von 1989 nicht mehr den aktuellen Gegebenheiten entspreche. Daher wurde eine neue Bedarfsplanung auf Basis aktuellerer Zahlen initiiert, die zum Jahreswechsel in Kraft treten soll, jedoch noch nicht abschließend beraten ist.

Dr. Bernhard Kofler aus Rosenheim, ehrenamtlicher KVB-Gebietsvertreter für Südostoberbayern, wies anschließend auf weitere Einflussfaktoren im Gesundheitsbereich hin. So sei eine deutlich steigende Frauenquote mit allen Nebeneffekten wie schwangerschaftsbedingten Berufspausen erkennbar. Die mangelnde Attraktivität des Hauarztberufs mit der Pflicht zu Bereitschaftsdienst, potenziellen Regressforderungen der Krankenkassen oder hoher bürokratischer Belastung führe dazu, dass mancher junge Arzt eher eine Karriere in einer Klinik anstrebe als eine Praxis zu übernehmen. Eine Unterversorgung des Landkreises Traunstein sei aktuell nicht zu erwarten, obwohl auch hier einzelne Praxen in ländlichen Regionen keinen Nachfolger mehr finden.

Wichtig sei daher, die Bedarfsplanung zu reformieren, da diese bislang nur die Verteilung der Ärzte auf der Makroebene – also zwischen den Landkreisen – regele. Die fehlende Regelung  innerhalb kleinerer Planungseinheiten führe dazu, dass sich zu viele Ärztezentren bilden und eine flächendeckende Versorgung in kleineren Gemeinden künftig nicht mehr sichergestellt ist. Der zunehmende Kostendruck auch auf Hausärzte führe zu solchen Konzentrationsprozessen. „Das deutsche Gesundheitssystem ist ein sozialistisches Teilsystem in unserem Kapitalismus. Eine Umstellung auf vollständigen Wettbewerb könnte jedoch zu Unterversorgung führen und ist daher nicht wünschenswert“, so Kofler.

Einen Diskussionspunkt bildete auch die Honorierung der Ärzte. Beklagt wurde, dass die ursprünglichen Hausarztverträge, die eine Niederlassung zeitweise deutlich attraktiver gemacht hatten, auf Betreiben der Kassen nicht mehr aktuell seien. Dr. Christine Ahlheim warf die Frage auf, warum die KVB nicht dafür sorge, die Einkommensunterschiede etwa zwischen Orthopäden und Hausärzten anzupassen und damit eine Niederlassung als Hausarzt auch finanziell interessanter zu machen.

Berchtesgadener Land