Corona-Krise
Vom Wunsch- zum Problemhund: Schattenseiten des Tierbooms

05.08.2021 | Stand 28.10.2021, 13:30 Uhr

Der Drang nach einem Haustier kannte bei manchen Menschen während der Pandemie offenbar keine Grenzen. Tierheime sind immer wieder mit skurrilen Erwartungen konfrontiert worden.- Foto: Insa Kohler/dpa

Spielkamerad, Begleiter, Familienmitglied - in der Corona-Krise haben sich viele Menschen den Wunsch nach einem eigenen Hund erfüllt. Doch wie lange hält die Tierliebe?

Emma weiß schon ziemlich genau, was sich gehört. Der erst zwölf Wochen alte Australian-Cattle-Dog-Welpe entspannt brav auf einer Decke, während die anderen Kandidaten mit ihren Besitzern bei der Welpenstunde im Hanauer Hundezentrum Deutschland eintrudeln.

Für Emmas Besitzer Sven Weigand ist es wichtig, dass die Hündin früh lernt, sich auf ihn einzustellen und mit unterschiedlichen Menschen und Situationen zurechtzukommen.

Später soll Emma als Therapiehund in seiner künftigen Praxis für Psychotherapie «mitarbeiten» - und eine souveräne Alltagsbegleiterin werden. «Es hinzubekommen, dass ein Hund erstens auf mich hört und zweitens auch versteht, was ich von ihm möchte, ist ein langer Prozess, aber wenn man von Anfang an dabei ist und in die richtige Richtung agiert, sollte das kein Problem sein», sagt Weigand. Einen Hund anzuschaffen, ist für ihn eine Entscheidung fürs Leben.

Großer Run auf Hundeschulen

Wie viele andere Anbieter erlebt auch das Hundezentrum Deutschland zurzeit einen regelrechten Ansturm. Vor allem Welpen- und Junghunde-Trainings seien nach der monatelangen Schließzeit gefragt wie nie, im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten hätten sich die Anfragen verfünffacht, sagt Trainer Marco Giesel.

Ähnlich ist die Lage etwa bei der Hundeschule Martin Rütter Dogs Hanau - Neukundentermine sind dort erst wieder ab Oktober möglich, wie man über eine Mailbox-Ansage erfährt. Beim Hundezentrum Deutschland bieten sieben Trainer Erziehungshilfen für die Vierbeiner. Wer sich die Anreise sparen will, kann sich auch über Online-Kurse Beratung holen - von den Grundkommandos wie Sitz und Platz bis zur Anleitung, wie das Tier mit dem Alleinebleiben klarkommen kann, ohne zuhause gleich das Mobiliar zu zerlegen.

Gerade jetzt, wo für viele Menschen die Rückkehr vom Homeoffice ins Büro ansteht, kann das nötig sein. Leider hätten sich zu wenig Hundebesitzer vorab darüber Gedanken gemacht, wie es nach der Pandemie für ihre Tiere weitergeht, sagt Giesel. Auch hätten sich in Corona-Zeiten viele Menschen ohne Erfahrung für einen Hund entschieden und zu wenig darauf geachtet, ob er zu ihren Lebensumständen passt.

Krise produzierte viele Problemhunde

Statt eines kuschligen Golden Retriever wurde dann im Extremfall ein großer Herdenschutzhund angeschafft - der Aufgaben und reichlich Platz braucht und beileibe nichts für Anfänger ist, wie Giesel sagt - und das manchmal noch aus dem illegalen Welpenhandel, den die Corona-Krise noch stärker zum Blühen brachte. So habe die Krise teils «katastrophale Problemhunde» hervorgebracht, sagt Giesel.

Beim Deutschen Tierschutzbund stellt man sich zum Beginn der Urlaubszeit bereits auf eine Abgabewelle ein. Wenn jetzt das Leben wieder überall gelockert wird und der Strandurlaub im Süden lockt, dürfte es mit der Tierliebe mancher Neu-Herrchen oder -Frauchen wieder vorbei sein, wie Verbandssprecherin Hester Pommerening sagt. «Wir sind uns ziemlich sicher, dass vor allem viele Tiere abgegeben werden, die ohne weitere Beratung ziemlich blauäugig angeschafft wurden.» Das betreffe nicht nur Hunde - auch Katzen und Kleintiere, die übers Internet und den Zoo-Fachhandel in Privathaushalte gekommen sind, dürften nun in großer Zahl in die Tierheime wandern oder ausgesetzt werden. «Es gibt bereits einzelne Tierheime mit Abgabestopp», sagt Pommerening.

Tiere aussuchen wie im Supermarkt?

Dabei schien der Drang nach einem Haustier bei manchen Menschen während der Pandemie keine Grenzen zu kennen: Die Tierheime seien immer wieder mit skurrilen Erwartungen der Interessenten konfrontiert worden, die offenbar davon ausgingen, dass sie sich Tiere nur aussuchen und wie im Supermarkt einzupacken brauchen - oder auch mal nur für einige Monate ausleihen und nach dem Ende ihrer Homeoffice-Zeit zurückbringen könnten.

«Teils kamen auf vier bis fünf Welpen 1000 Anfragen», berichtet Pommerening. Einige Leute, die leer ausgingen, wurden sogar ausfallend - manche Mitarbeiter erlebten Beschimpfungen oder Bestechungsversuche, ja selbst Handgreiflichkeiten und Morddrohungen gab es, weil Menschen nicht einsehen wollten, dass ihnen kein Hund bereitgestellt wird.

Sachkundenachweis für Ersthundehalter

Doch inzwischen hat sich der Wind gedreht: Bei Tiere in Not Odenwald beispielsweise häufen sich bereits Anfragen von Hundebesitzern, die ihre Vierbeiner unterbringen wollen, wie Sigrid Faust-Schmidt aus dem Vorstand des Vereins berichtet. Sie ist auch Mitarbeiterin des Landestierschutzverbandes Hessen. Noch immer machten sich zu viele Menschen zu spät klar, was an dem Haustier-Glück alles dranhängt, sagt sie: Spaziergänge bei Wind und Wetter, mögliche Schwierigkeiten, das Tier während der Ferien unterzubringen und in manchen Fällen auch ein Problemverhalten. Faust-Schmidt plädiert deshalb für einen Sachkundenachweis gerade für Ersthundehalter. Wichtig sei zudem ein offener und ehrlicher Informationsaustausch über das Tier und die Gegebenheiten beim Hundehalter bei der Vermittlung.

Trotz der Schwierigkeiten: der monatelange Lockdown mit Homeoffice und Homeschooling kam vielen Tieren auch zugute. Denn er verschaffte Menschen, die sich vielleicht schon länger ein Haustier gewünscht und sich mit Bedacht dafür entschieden haben, die nötige Zeit, um ihren neuen Schützlingen eine ausgiebige Eingewöhnung zu ermöglichen. Wenn die gelinge und Tiere einen guten Platz für immer finden, sei das auch schön zu sehen, heißt es bei den Tierschützern.