Viele offene Fragen
Kammer sei unterbesetzt, Gutachter sei befangen – ein Antrag nach dem anderen im Prozess gegen einen 21-Jährigen

20.11.2019 | Stand 02.08.2023, 19:06 Uhr
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In einem aktuellen Prozess am Landgericht Regensburg stellen zwei Anwälte einen Antrag nach dem anderen. Die Staatsanwaltschaft wirft einem 21-Jährigen vor, am 11. Mai dieses Jahres seine Ex-Freundin in Nittendorf aufgesucht, mit einem Messer bedroht und vergewaltigt zu haben. Am Mittwoch, 20. November, wurde der Prozess vor dem Landgericht Regensburg fortgeführt.

REGENSBURG Zu Beginn des zweiten Verhandlungstages erklärte Richter Georg Kimmerl, dass die Kammer, entgegen des Antrags des Anwalts Julian Wunderlich, ordnungsgemäß besetzt sei und kein dritter Richter hinzugezogen werden müsse. Die Begründung war, dass die Hauptverhandlung mit sechs Zeugen und vier Tagen durchschnittlich ist und die Kammer schon viele ähnlich gelagerte Sexualdelikte verhandelt habe, sodass keine besonderen Schwierigkeiten gegeben seien.

Aufgrund einiger Diskrepanzen am ersten Verhandlungstag hatte Kimmerl außerdem Kontakt zur Dolmetscherin aufgenommen, die bei der Begutachtung durch den Sachverständigen in der JVA dabei gewesen sein soll. Diese erklärte aber, dass sie bei der Begrüßung zwischen dem Angeklagten und dem Sachverständigen noch nicht anwesend gewesen sei, da sie sich verspätet hatte. Bei diesem ersten Besuch in der JVA soll der Gutachter laut Aussage des Angeklagten diesen mit einer vorgefertigten Meinung begrüßt haben. Deshalb stellte der weitere Anwalt des Angeklagten, Hubertus Werner, den Antrag, den Gutachter für befangen zu erklären. Die Nebenklagevertreterin nahm dazu Stellung und sagte, dass sie den Sachverständigen „nicht für so dumm“ halte, dass dieser „ernsthaft so etwas gesagt hätte“. Daraufhin konterte später Werner, dass er wiederum den Sachverständigen „nicht für so dumm“ halte, dass dieser die Prozessbeteiligten mit Unwahrheiten bedienen würde.

Ein weiterer offener Punkt war und bleibt die Frage, wie lange der Gutachter beim Angeklagten in der JVA gewesen war. Er selbst behauptete, er sei drei Stunden dort gewesen. Dies bestätigte die JVA dem Richter auch. Anwalt Werner jedoch bekam von einer JVA-Beamtin die Information, dass der Gutachter nur eine Stunde in der JVA gewesen sei, und bemängelte, dass eine Stunde keinesfalls ausreiche. Auch der Richter erklärt: Falls dem so gewesen sei, dann hätte man es mit einem ganz anderen Sachverhalt zu tun.

Nach einer Unterbrechung der Verhandlung nahm der Sachverständige zu den Vorwürfen, insbesondere zu denen in der Stellungnahme des Anwalts Werner, selbst Stellung. Er führte an, dass es keinerlei Verständnis- oder Kommunikationsprobleme zwischen ihm und dem Angeklagten gegeben habe, dass der Angeklagte im Gegenteil „sehr ausführlich, sehr flüssig und sehr informationsreich“ seine Biografie wiedergegeben und auf die Fragen des Gutachters meist direkt geantwortet habe. Die Dolmetscherin habe somit im Laufe der Begutachtung eher eine passive Rolle eingenommen.

Bei der Begutachtung sollte auch eine Sexualanamnese erfolgen. Anwalt Werner bezweifelte aber, dass eine solche stattgefunden hat, und war der Meinung, dass es nicht ausreichend sei, den Angeklagten „nur zu fragen, ob er heterosexuell sei und wann er das erste Mal Geschlechtsverkehr hatte“. Diese Aussage ergänzend „prophezeite“ Werner dem Richter, „dass er in diesem Prozess noch einige Überraschungen erleben werde“ und dass der Sachverständige „indiskutabel“ sei.

Nach einer weiteren halbstündigen Unterbrechung, in der sich die Kammer zurückgezogen hatte, teilte Richter Kimmerl schließlich den Beschluss mit, dass das Gericht den Antrag Werners ablehnt. Der Antrag sei unbegründet, da es keine Gründe gäbe, den Sachverständigen für befangen zu erklären. Die JVA habe dem Richter bestätigt, dass der Sachverständige drei Stunden in der JVA gewesen war – und selbst wenn ein Gutachten nicht die Mindestanforderungen erfülle oder keine vollständige Sexualanamnese erfolgt sei, sei dies kein Grund einen Sachverständigen wegen Befangenheit abzulehnen.

Daraufhin wollte Anwalt Wunderlich „einen weiteren Antrag hinten dranhängen“, den Kimmerl zunächst nicht annehmen wollte. Schließlich gestattete er Wunderlich dennoch seinen Antrag. Dieser trug vor, dass es eventuell eine Verlobung zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten gegeben habe, was den Sachverhalt erneut ändern würde. Der Staatsanwalt und die Nebenklagevertreterin sahen diesen Antrag allerdings als eindeutig unbegründet und der Staatsanwalt erklärte, dass eine Verlobung ohnehin aus medizinischer Sicht überhaupt keine Rolle spielen würde.

Der Prozess wird am Donnerstag, 21. November, fortgeführt.

Regensburg