Übergriff
Staatsversagen vor dem Einkaufszentrum – ein Afghane hatte Ablehnungsbescheid

17.01.2018 | Stand 13.09.2023, 6:24 Uhr
−Foto: Foto: Eckl

In den Arcaden kam es zu einem Angriff auf einen Polizisten – die Täter sind unter Jugendamtsaufsicht. Doch wie gehen die Jugendämter mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eigentlich um? 

REGENSBURG Von einem Wochenende, wie es die Regensburger Polizei schon lange nicht mehr erlebt hat, sprach ein Sprecher der Behörde gegenüber dem Wochenblatt: Viermal wurden Polizeibeamte von Tätern angegriffen. Eine lapidare Ruhestörung eskalierte, weil ein 33-Jähriger auf einen Polizisten losging. Doch der gravierendste Fall von allen beschäftigte jetzt sogar den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann – der Fall des Polizisten, der nach einer Personenkontrolle von einem 17-jährigen Afghanen zu Boden gebracht und getreten wurde; ein weiterer angeblich 17-jähriger Afghane trat sogar auf den Kopf des 26-jährigen Polizisten ein, der sich mit einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus befindet. Ein Haftrichter verfügte, dass einer der beiden Täter in Untersuchungshaft sitzt, der andere wurde freigelassen.

Das Wochenblatt recherchierte die Hintergründe des Falls: Wer sind die beiden Täter? Beide sind sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die von den Jugendämtern versorgt werden müssen. Der Staat stellt also die Aufsichtsperson, ersetzt die Erziehungsberechtigten. Kam es in den Regensburg Arcaden also zu einem Staatsversagen? Ein Sprecher des Landratsamtes, das die beiden Jugendlichen versorgt, räumt ein: „Beide sind vom Kreisjugendamt vollstationär in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen – einer in einer Jugendwohngruppe im Stadtgebiet Regensburg, einer in einer Jugendwohngruppe im Landkreis Regensburg – untergebracht.“ Einen Unterschied zum Bericht der Polizei gibt es: Zum Tatzeitpunkt war einer der beiden mutmaßlichen Täter 17, der andere war nach Angaben des Landratsamtes 18 Jahre alt.

Minderjährige dürfen bis 24 Uhr ausgehen

Nach Informationen des Wochenblatts liegt bei einem der beiden Täter, die den Polizisten attackierten, seit April 2017 ein Ablehnungsbescheid vor. Vollzogen werden hätte eine Abschiebung aber zunächst ohnehin nicht werden können, weil man bei minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen erst im Herkunftsland die Erziehungsberechtigten finden muss. Offenbar haben beide Afghanen aber geklagt, was für eine eine Abschiebung ohnehin aufschiebende Wirkung hat.

Für die Jugendlichen „gelten altersentsprechend angemessene Ausgangszeiten, welche durch den Vormund und die Gruppen festgelegt werden“, so der Sprecher des Landratsamtes. In der Regel müssen unter 18-Jährige am Wochenende vor Mitternacht zurück in der Einrichtung sein. „Unter der Woche sind die Ausgangszeiten entsprechend kürzer“, so der Sprecher.

Soweit Straftaten vorliegen, etwa bei Drogendelikten, obliegt die Ahndung den Strafverfolgungsbehörden. „Ansonsten werden Sanktionen in enger Zusammenarbeit mit den jeweils involvierten Fachkräften wie zum Beispiel Vormund, Einrichtung, Jugendhilfe im Strafverfahren und dem Kreisjugendamt selbst – zum Beispiel eine Suchtberatung, regelmäßige Drogentests im Auftrag des Kreisjugendamtes – festgelegt. In den Einrichtungen ist geschultes Fachpersonal angestellt, das die Jugendlichen betreut und auch erzieherisch einwirkt, heißt es weiter vom Landratsamt.

Auch in der Stadt gilt, dass über 16-Jährige unter der Woche bis 22 Uhr und am Wochenende bis 24 Uhr ausgehen dürfen. „Wenn sie nicht pünktlich zurückkommen, werden sie von den diensthabenden Betreuern auf den Handys angerufen“, so die Stadtsprecherin. „Alle unbegleiteten Minderjährigen haben Handys und die Nummern sind in der Einrichtung hinterlegt, um abzuklären, wieso sie noch nicht zurück sind.“ Der Regensburger Polizeipräsident wollte sich auf Anfrage des Wochenblatts nicht zu dem Fall äußern, sein Sprecher teilte aber mit, „dass er sich nach Bekanntwerden der Einsätze fortlaufend über den Zustand der Kollegen informiert und er war insgesamt sehr betroffen“. Polizeigewerkschafter zeigten sich angesichts der Vorfälle jedenfalls tief besorgt.

Der Regensburger Rechtsreferent Dr. Wolfgang Schörnig attestiert unserer Gesellschaft ein Problem: „Dass auf Einsatzkräfte eingeprügelt wird, die helfen wollen, ist früher in dieser Form nicht vorgekommen. Aber ich habe den Eindruck, dass unsere Gesellschaft ganz generell viel aggressiver geworden ist“, sagt der oberste Stadt-Jurist. Unangenehm wird das auch oft für den Kommunalen Ordnungsdienst. „Unsere Mitarbeiter sollen sich im Zweifel zurückziehen und die Polizei rufen“, so Schörnig. Betrunkene Gruppen von Junggesellen-Abschieden anzusprechen, sei eben gefährlich. Die Einführung des Schnellrichter-Verfahrens, nachdem Delikte wie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in wenigen Wochen vor einem Amtsrichter landen, sei laut Schörnig in 2016 zwar nur sechsmal angewandt worden. „Das hat aber der Moral gut getan, weil dann schnell etwas geschieht.“

Am Montag äußerte sich übrigens auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann zu den Vorfällen – und verwechselte peinlicherweise die Arcaden mit einem Asylbewerberheim. Doch im Tenor war Herrmann deutlich: „Ich halte ein solches Verhalten für völlig unerträglich“, so Herrmann.

Regensburg