„Brückenbauer“
Heimatvertriebene setzen auf Versöhnung statt Vergeltung

22.09.2020 | Stand 13.09.2023, 6:58 Uhr
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„Die Heimat hinter sich lassen“ – diese Formulierung wird heute oft leichtfertig genutzt. Heimat, die könne man überall finden. Aber: Es ist ein großer Unterschied, ob man die Heimat freiwillig verlässt oder gezwungen wird zu gehen. Das erlebt auch die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene. Die CSU-Landtagsabgeordnete Sylvia Stierstorfer aus Pfatter im Landkreis Regensburg nimmt sich dieses Themas an.

Pfatter/München. Flucht und Vertreibung – das sind Themen, die sind für die meisten Menschen weit weg. Doch ein Blick in den Stammbaum kann Aufschluss geben über die eigene Vergangenheit, oftmals kommen dann Familiengeschichten zutage, über die lange geschwiegen wurde. Familiengeschichten, die in Vergessenheit geraten, wenn man sie nicht weiterträgt. Denn: Die Zeitzeugen werden mit jedem Jahr, das vergeht, weniger. Es wird der Tag kommen, an dem der letzte Mensch stirbt, der den Zweiten Weltkrieg und die Folgen erlebt hat.

Nicht jede Fluchtgeschichte ist gleich – viele Menschen haben auf der Flucht Schreckliches erlebt. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder gingen verloren oder starben. Auch die Bevölkerung in Deutschland nahm die „Flüchtlinge“ nicht immer mit offenen Armen auf. Die Integration selbst war dann einfacher, als es heutzutage oft ist: „Damals kamen Menschen, die die deutsche Sprache konnten“, sagt Stierstorfer. Die Eingliederung sei deshalb um einiges einfacher gewesen. Viele Vertriebenen wollten Deutschland auch etwas zurückgeben, sie engagierten sich in Vereinen, waren fleißig – und wurden so schnell ein Teil Deutschlands. In der „Charta der Heimatvertriebenen“ haben am 5. August 1950, also vor 70 Jahren, die Heimatvertriebenen „im Bewusstsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen“ bewusst auf Rache und Vergeltung verzichtet, um ein freies und geeintes Europa herbeizuführen – für Stierstorfer ein wichtiger Beitrag zur europäischen Integration. Eingliederung und Mitarbeit sei den Menschen damals wichtig gewesen, so Stierstorfer.

Trotzdem haben viele die Heimat, die sie verlassen mussten, nicht vergessen. „Die Vertriebenen sind die Brückenbauer – Brückenbauer von der alten Heimat in die neue Heimat“, sagt Stierstorfer. Die Menschen haben sich eingelebt in der neuen Heimat, „aber man vergisst die alte Heimat nicht“. So sei es auch kein Wunder gewesen, dass der ein oder andere nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Chance genutzt hat, noch einmal den früheren Wohnort zu besuchen. Andere wiederum verzichteten auf diese Reisen in die alte Heimat, um die Orte so in Erinnerung zu behalten, wie sie sie verlassen hatten.

Sylvia Stierstorfer berichtet mit viel Leidenschaft über ihre Aufgabe als Beauftragte der Staatsregierung – gerade erst war sie bei der Jubiläumsveranstaltung zu „70 Jahre Schlesische Landsmannschaft“ dabei. Viele Termine fallen im Laufe des Jahres an , das Thema Flucht und Vertreibung soll nicht in Vergessenheit geraten. „Was damals passiert ist, ist ein Teil der deutschen Geschichte“ sagt Stierstorfer, es „ist die Basis, auf der Deutschland aufgebaut worden ist“. Es gelte, die Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ebenso müsse man gemeinsam mit den Vertriebenenverbänden das kulturelle Erbe bewahren. Um die Erinnerung an diesen Teil der deutschen Geschichte wach zu halten, wurde im Mai ein Dringlichkeitsantrag im Landtag befürwortet. In den Schulen soll auf eine „intensive Behandlung der Nachkriegszeit“ hingewirkt werden. Projekttage, Vorträge, Podiumsdiskussionen, Zeitzeugengespräche oder auch Schülerwettbewerbe sollen dazu beitragen, die Themen Flucht und Vertreibung sowie Aussöhnung der Völker nach 1945 den Schülerinnen und Schülern näher zu bringen.

Weitere Infos gibt‘s auch im Internet unter www.aussiedler-und-vertriebenenbeauftragte.bayern.de.

Regensburg