TTIP
Marianne Schieder hat einen "kritischem Blick" auf die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen

08.07.2017 | Stand 02.08.2023, 0:12 Uhr
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Alfred Damm, ÖDP-Kreisvorstand, hat sich in einem offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten Marianne Schieder und Karl Holmeier gewandt. Er wollte wissen, "ob sie über die Details der geplanten Freihandelsabkommen TISA und TTIP informiert sind und ob sie diesen zustimmen werden".

SCHWANDORF Die SPD-Abgeordnete Marianne Schieder aus Wernberg-Köblitz hat ihm bereits geantowortet

Wir dokumentieren das Schreiben im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Damm, sehr geehrte Damen und Herren,

Ihren Offenen Brief vom 2. September, habe ich mit Interesse gelesen. Nachstehend möchte ich zunächst auf die komplizierte Struktur der Zuständigkeiten bei den Verhandlungen zu TTIP darlegen, bevor ich auf die inhaltlichen Fragen eingehe.

Die Verhandlungen über TTIP werden auf europäischer Seite von der EU-Kommission, genauer der Generaldirektion Handel, geführt. EU-Handelskommissar Karel De Gucht ist der für die TTIP-Verhandlungen politisch verantwortliche EU-Kommissar. Die Mitgliedstaaten der EU haben der EU-Kommission am 14. Juni 2013 ein Mandat zur Führung der Verhandlungen mit den USA erteilt, an dessen Vorgaben sie gebunden ist. An den Beratungen für den Mandatsentwurf war die Bundesregierung – wie auch jeder andere EU-Mitgliedsstaat – intensiv beteiligt.

Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten können grundsätzlich nicht direkt an den Verhandlungen teilnehmen. Die EU-Kommission führt die Verhandlungen über den Handelspolitischen Ausschuss, in dem Deutschland und die anderen EU-Staaten gemeinsam die europäischen Positionen entwickeln, die die EU-Kommission bei ihren Verhandlungen mit den US-Partnern vertritt. Die Bundesregierung ist dort durch das Bundesministerium fürWirtschaft und Energie vertreten.

Die EU-Kommission ist dazu angehalten, die Mitgliedsstaaten durch regelmäßige Berichterstattung im Handelspolitischen Ausschuss über den Verfahrensstand zu informieren und in die Ermittlung der Verhandlungsposition einzubinden. Sie führt ihre Verhandlungen immer unter Berücksichtigung der Interessen der Mitgliedsstaaten. Alle Dokumente, die die EU-Kommission der Bundesregierung im Rahmen der TTIPVerhandlungen übermittelt, wie etwa Positionspapiere und Berichte zu den Verhandlungsrunden, werden an den Bundestag weitergeleitet. Zudem werden fortlaufend alle Bericht über die Sitzungen des Handelspolitischen Ausschusses in Brüssel, der sich mit den Verhandlungen über TTIP befasst, an den Deutschen Bundestag übermittelt. Die Bundesregierung beantwortet Fragen der Abgeordneten und entsendet Experten zu den Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages.

Aufgrund der hohen politischen Bedeutung von TTIP werden die an den Bundestag übermittelten Dokumente auch dem Bundesrat übermittelt. Auch das Europäische Parlament wird von der EU-Kommission regelmäßig informiert. Es muss dem ausgehandelten Vertrag zustimmen, bevor der Rat der Europäischen Union einen Beschluss über den Abschluss des Abkommens treffen kann. Die Bundesregierung geht davon aus, dass es sich bei TTIP um ein sogenanntes Gemischtes Abkommen handeln wird, bei dem den Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten Vertragsparteien sind. Es würde deshalb sowohl einer Ratifizierung auf europäischer Ebene als auch durch die Mitgliedsstaaten bedürfen.

Im Falle eines Gemischen Abkommens geht die Verabschiedung mit einem Verfahren der Ratifizierung des Abkommens durch die Mitgliedsstaaten einher. Hier greifen die jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften In Deutschland müssten Bundestag und Bundesrat zustimmen. In jedem Fall muss das Europäische Parlament dem Vertrag zustimmen. Auf europäischer Ebene erlässt der Rat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einen Beschluss über die eigentliche Verabschiedung des Abkommens, mit dem es als ratifiziert gilt. Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass der SPD die Transparenz des Entscheidungsprozesses ein wichtiges Anliegen ist.Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel setzt sich beispielsweise für eine Veröffentlichung des Verhandlungsmandats ein. Wir möchten auch eine breite demokratische Legitimation des Abkommens erreichen und somit, dass (wie oben beschrieben) die Parlamente der 28 EU-Mitgliedsstaaten über TTIP abstimmen werden. Bundesjustizminister Heiko Maas hat dies erst vor kurzem wieder betont.

Grundsätzlich verfolgt die SPD-Bundestagsfraktion die Verhandlung über das TTIP schon seit längerer Zeit mit kritischem Blick: Ein transatlantisches Handelsabkommen eröffnet die Chance, dass mit Europa und den USA die zwei größten Handelsräume weltweit Maßstäbe setzen. Das TTIP bietet viele Chancen und ist grundsätzlich zu begrüßen. Beide Seiten erhoffen sich vomWegfall der Handelsschranken, von der Streichung von Zöllen und von der Überwindung bürokratischer Hemmnisse Tausende von neuen Arbeitsverhältnissen und Erfolgschancen auch für kleinere und mittlere Unternehmen.

Klar ist jedoch für uns: Generell darf der Besitzstand über die europäische Gesetzgebung nicht angetastet werden. Eine Marktöffnung und ein erweiterter Wettbewerb dürfen nicht zu Lasten der Verbrauchersicherheit und der Arbeitsbedingungen gehen.

1. Eine Harmonisierung oder gegenseitige Anerkennung der Standards unter TTIP darf nicht zu einer Herabsetzung oder Umgehung der Standards innerhalb der uns gesetzten Rechte der Europäischen Union führen. Fundamentale Sicherheitsanforderungen dürfen wegen finanziellen Interessen nicht in Frage gestellt werden.

2. Im Lebensmittelbereich und im Verbraucherschutz gilt in der EU das Vorsorgeprinzip und das muss auch so bleiben.Weiterhin muss ausgeschlossen sein, dass Fleisch von hormonbehandelten, geklonten oder genetisch veränderten Tieren aus den USA auf europäischen Tellern landen.

3. Die SPD-Bundestagsfraktion ist sich durchaus bewusst, dass im Hinblick auf Datenschutz-Standards grundlegende Unterschiede zwischen der EU und den USA bestehen. Das Eigentum personenbezogener Daten in der EU stellt ein indiskutables Grundrecht dar. Gerade deswegen ist die zügige Verabschiedung der neuen Datenschutzverordnung zur Reform der EU-Gesetzgebung geboten.

4. Die Daseinsvorsorge hat einen hohen Stellenwert in der EU. Gerade deswegen darf sie durch TTIP nicht bedroht werden.

5. Die Öffnung des Dienstleistungsbereichs darf den Arbeitsbedingungen nicht entgegenwirken. Ein Unterlaufen der Arbeitsschutzklauseln aufgrund von wirtschaftlichen Interessen muss verhindert werden. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort muss auch hier gelten.

6. Zurzeit wird ein erheblicher politischer Druck für eine zügige Verhandlung und einen schnellen Vertragsabschluss ausgeübt. Hier ist klar Vorsicht geboten. Es kann nicht sein, dass vorschnell ein unfertiges Abkommen unterzeichnet wird. Detailfragen dürfen nicht undemokratisch nachverhandelt werden.Wie im Straßenverkehr gilt auch hier: Sicherheit vor Schnelligkeit!

7. Besonders kritisch verfolgt die SPD-Bundestagsfraktion den sogenannten Investor- Staat-Streitbeilegungsmechanismus, welches dem Investor ermöglichen würde, die EU oder Mitgliedsstaaten jenseits vom normalen juristischen Verfahren vor internationalen Schiedsgerichten direkt auf Entschädigungen für entgangene Gewinne zu verklagen. Ein Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus ist aus Sicht der Sozialdemokraten deshalb abzulehnen.

Das TTIP ist nicht der Schlüssel für die Lösung der wirtschaftlichen Probleme in der EU! Klar ist jedoch: Die SPD setzt sich für die Stärkung von Arbeitnehmerrechten und die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze ein. Die EU-Kommission, welche verhandlungsführend ist, weiß worauf es den sozialdemokratischen Europaabgeordneten ankommt. Sie muss beweisen, dass sie Willens ist, dies auch umzusetzen. Ansonsten werden wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dem Abkommen nicht zustimmen. Diese inhaltlichen Positionen gelten natürlich in gleicherWeise für TiSA. Gerne verweise ich Sie hier zusätzlich auf Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage "Inhalte und Zielsetzungen des plurilateralen Dienstleistungsabkommens TiSA" der Fraktion Die Linke (18/1913 vom 26.06.14), die umfangreiche Informationen bietet.

Seien Sie sich gewiss: Die SPD-Bundestagsfraktion, wie auch ich persönlich, nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst.Wir werden weiterhin die Entwicklungen der Verhandlung über ein transatlantisches Freihandelsabkommen mit kritischem Blickbegleiten.

Mit freundlichen Grüßen Marianne Schieder, MdB

Schwandorf