Ehrung
Presseclub zeichnet Text über Regensburger Jugendamt aus

08.07.2017 | Stand 13.09.2023, 0:57 Uhr
−Foto: Foto: ce

Das gab es im Regensburger Presseclub noch nie: Neben einem Autor wurde quasi auch ein ganzes Amt der Stadt Regensburg ausgezeichnet.

REGENSBURG Preiswürdig erschien der 15-köpfigen Jury, der auch der Redaktionsleiter des Regensburger Wochenblattes, Dr. Christian Eckl, angehörte, neben zahlreichen hochkarätigen Print- und Hörfunk-Beiträgen, TV-Filmen und crossmedialen Projekten dieser Text: „Wege der Hoffnung“. Geschrieben ist er vom freien Autor Andreas Wenderoth, der sich eine schwierige Recherche vornahm: In dutzenden Jugendämtern wurde Wenderoth vorstellig, um eine Reportage schreiben zu können „über die schwierigste Entscheidung, die man fällen kann: Ob man einer Familie das Kind entzieht oder nicht“, sagte der Reporter am Freitagabend bei der Preisverleihung im Presseclub. Viele Jugendämter meldeten sich nicht einmal, wohl aber die Regensburger. Das war auch der Grund, warum Vertreter des Jugendamtes am Freitag mit bei der Verleihung waren. Übergeben hat den Preis Presseclub-Präsident Manfred Sauerer und die Witwe des Stifters Eberhard Woll, die Laudatio hielt Münchens Ex-Oberbürgermeister Christian Ude. Einen Sonderpreis gab es für seine Verdienste um Aufklärung von NS-Gräuel für BR-Reporter Thomas Muggenthaler. Wir dokumentieren Ausschnitte der Laudationes.

Christian Ude zu Andreas Wenderoth: Überall hat wohl kein Amt solche Angst vor Medienresonanz wie das Jugendamt: Wenn es interveniert, wird ihm schnell Zerstörung einer Familie, Enteignung der Eltern, auf jeden Fall Verletzung von Grundrechten vorgeworfen, wenn es aber ein Kind bei seinen Eltern belässt, wird es für jede spätere Entgleisung, jede spätere Straftat, jedes spätere Unglück verantwortlich gemacht, als habe es das alles leichtfertig billigend in Kauf genommen. Der Preisträger hat es kurz und bündig auf den Punkt gebracht: "Wenn sie helfen, bekommen sie Dresche, sollten sie es versäumen, erst recht."

Andreas Wenderoth ist schon für den Vorsatz zu loben, nicht den Ankläger zu spielen, nachdem ein Kind in den Brunnen gefallen ist, sondern realistiach, einfühlsam und differenziert die Situation der Kinder, der Eltern und eben auch der Mitarbeiter des Jugendamts zu schildern und aufzuzeigen, wie schwierig es ist, in solchen Situationen Schicksale entscheiden zu müssen, so oder so. Zu einem gewissen Anteil gilt die Auszeichnung aber auch dem Regensburger Jugendamt, das anders als die meisten anderen bereit war, tiefe Einblicke in Einzelfälle und Gewissensnöte zu gestatten. Das müsste jetzt ein Ansporn für weitere Jugendämter sein, nicht taten- und hilflos das nächste Unglück abzuwarten, das von publizistischen Schnellrichtern für eine Verurteilung behördlicher "Unmenschen" oder "Versager" genutzt werden kann, sondern zur rechten Zeit Entscheidungszwänge und Entscheidungsnöte, unvermeidbare Ungewissheiten und Zukunftsrisiken zu offenbaren.

Bei der preisgekrönten Arbeit im SZ-Magazin besticht die Unvoreingenommenheit des Autors, seine Bereitschaft zu langwierigen und gründlichen Recherchen, sein Verzicht auf voreilige und selbstgerechte Urteile und die Auswahl von zwei Fällen mit gegensätzlichem Charakter, sodass er nie der Versuchung verfällt, einfach pro oder contra "Inobhutnahme" (ein wahrhaft schreckliches Wort) zu plädieren.

Zur Fairness kommt noch stilistische Könnerschaft hinzu: mit knappsten Formulierungen gelingt es Andreas Wenderoth, die Wahrnehmungen und Sichtweisen überforderter Eltern, strapazierter Behördenleiter und oft überforderter Familienhelfer zu vermitteln. Hätten wir es mit einem Film zu tun, würden wir ihm einen wunderbaren Umgang mit der subjektiven Kameraführung bescheinigen. Ihm gelingt dieser mehrfache Perspektivenwechsel mit prägnanten Formulierungen, die offensichtlich das Fazit lamnger Gespräche sind. Vollkommen richtig ist auch sein einziges Plädoyer, zu dem er sich dann doch durchringt, nicht pro oder contra "Inobhutnahme", sondern pro gerichtliche Auflagen zur rechten Zeit, also bevor ein Kind in den Brunnen gefallen ist. Es ist wie bei anderen Fehlentwicklungen, die die öffentliche Hand nach privatem Versagen abwenden soll, etwa im Jugendstrafrecht: Je schneller die staatliche Intervention erfolgt, desto besser kann sie dosiert werden und desto wirksamer ist sie.

Der heutige Eberhard-Woll-Preis zeigt auch eine Chance für die mehrfach bedrängten Printmedien auf: Wenn sie mit Qualitätsjournalismus den Themen auf den Grund gehen, Langzeitbeobachtungen anstellen und sowohl das Problembewusstsein als auch die Urteilskraft ihrer Leser stärken, können sie nicht durch die Schnelligkeit und den Bilderreichtum und die Schein-Teilhabe durch shitstorm-Einladungen im Netz überflüssig gemacht werden.“

Presseclub-Präsident Manfred Sauerer zu Andreas Wenderoth: „Der Beitrag von Andreas Wenderoth hält uns eindrucksvoll vor Augen, welch unschätzbare Arbeit in Jugendämtern geleistet wird“, sagte der PresseClub-Vorsitzende und MZ-Chefredakteur Manfred Sauerer. „Und er macht ohne Effekthascherei deutlich, dass mitten unter uns Menschen leben, die ihre Kinder lieben und es trotzdem nicht schaffen, deren Wohl jederzeit zu garantieren.“

Andreas Wenderoth über seine eigene Arbeit:

Die Recherche für seine Geschichte ist ihm stark in Erinnerung geblieben. „Es war eine schwierige Geburt“, sagt er. Wenderoths Anfragen stießen in deutschen Jugendämtern auf wenig Kooperationsbereitschaft. Er kassierte um die 40 Absagen. „Ich wollte schon aufgeben, als sich plötzlich beim Jugendamt Regensburg die Türen ganz weit geöffnet haben.“ Seine Geschichte sei deshalb auch ein Lehrstück über das manchmal schwierige Verhältnis von Journalisten und Ämtern, sagt er.

Manfred Sauerer zu Thomas Muggenthaler: „Muggenthaler hat durch hartnäckige und leidenschaftliche Recherchen unseren Blick auf einen weiteren Aspekt der grausamen Nazi-Herrschaft gerichtet. Dass polnische Zwangsarbeiter gehängt wurden, nur weil sie ein Verhältnis mit deutschen Mädchen hatten, wäre uns sonst wohl verborgen geblieben“, sagt Presseclub-Vorsitzender Manfred Sauerer. „Ferner brach damit eine Wand des Schweigens in der einen oder anderen Gemeinde, die den damaligen Augenzeugen zunehmend zu schaffen machte.“

Regensburg