Im Seniorenheim:
Künstler Prof. Reipka mit 77 Jahren verstorben

08.07.2017 | Stand 13.09.2023, 3:30 Uhr
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Am Silvesterabend ist der namhafte Künstler in einem Pfarrkirchner Seniorenheim verstorben.

PFARRKIRCHEN Hunderttausende Fahrgäste der Münchner U-Bahn sahen täglich sein Werk: Das 24 Meter lange Fries von Jürgen Reipka erstreckt sich an der südlichen Wandseite über den Tunneleingängen des Bahnhofs „Münchner Freiheit“. Das Kunstwerk im öffentlichen Raum ist das sichtbarste Zeichen des Schaffens des langjährigen Professors und ehemaligen Präsidenten der Münchner Akademie der Bildenden Künste. Reipka ist am Silvesterabend in einem Seniorenwohnheim in Pfarrkirchen im Alter von 77 Jahren verstorben.

Das von Reipka entworfene Wandfries lockerte den ansonsten sehr sachlich gestalteten Bahnhof auf, der am 19. Oktober 1971 eröffnet wurde. Von Mai 2008 bis Ende 2009 wurde der Bahnhof Münchner Freiheit saniert und bekam ein neues Gesicht. Nicht nur im öffentlichen Raum, auch inmitten des bayerischen Machtapparates sind Reipkas Werke zu sehen. Eine seiner typischen Monotypien hängt in unmittelbarer Zimmer-Nachbarschaft zum Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei. Dort ist es  mit bedeutenden Werken des 20. Jahrhunderts wie etwa Karl-Schmidt-Rottluffs expressionistische „Wasserträgerin“ (1919) und Theodor Werners abstrakte „Komposition VIII“ (1963) aufgereiht.

Nach Studium an der Kunstschule in Bremen bei Johannes Schreiter war Reipka von 1963 bis 1968 Meisterschüler von Josef Obernberger an der Akademie der Bildenden Künste in München. Zunächst widmet er sich in seinen Bildern abstrahierten Pflanzenformen, die in den 60er und 70er-Jahren in konkrete Kunst übergegangen. Eine weitere Schaffensphase galt der gestischen Malerei, ab Mitte der 80er Jahre kombinierte Reipka die konkrete Vorgehensweise mit der gestischen Malerei. In seinen Kompositionen arbeitete der Farbmusiker, der Jazz von Miles Davis besonders mag, den Formkontrast heraus: Gerade Linien im Widerspruch zu den Schmierereien.

In seiner typischen Manier komponierte Reipka seine Bilder: Zunächst ließ er mit einem in Farbe getränkten Pinsel Tropfspuren in Form von Spritzern, Klecksen und Linien über den Malgrund auf die Vorderseite der Leinwand fallen. Mit Hilfe von kammartigen Schabern schaffte er zusätzliche Strukturen und Transparenzen. Diese Reihungen und Schichten waren, wie er selbst sagte, „wichtigsten Prinzipien“. Seine Bilder – Monotypien, Gouachen oder Glasmalereien – leben von dieser Spannung der geometrischen Balken und der farblichen Präsenz.

Als sich die Wege von hoher Politik und Kunstbetrieb kreuzten, war der 1936 in Hannover geborene Künstler jedoch unbequem. Ab 1973 hatte er die Professur für Malerei an der Münchner Kunstakademie übernommen. Von 1976 bis 1979 war er deren Präsident. Gegen den Widerstand des Akademie-Kollegiums drückte der damalige bayerische Kultusminister Hans Maier die Berufung eines Malerei-Professors durch, der auf der Liste weit hinten stand. „Nächstesmal den Portier?“, betitelte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ am 15.1.1979 eine Geschichte über die Affäre. Der Bewerber habe „auch bei wohlwollender Prüfung nie eine Rolle gespielt", so Reipka damals. Er warf dem Minister "gravierende Verletzung der Hochschulautonomie" vor, ließ sich diese Einmischung nicht gefallen und trat als Präsident zurück.

Rund 45 Jahren lebte und arbeitete Jürgen Reipka in München und auf seinem Anwesen in Postmünster-Neuhofen im niederbayerischen Rottal. Viel Platz für seine Arbeiten und eine freie Landschaft waren seine Beweggründe für das Leben im ländlichen Raum. Mit den Einheimischen, die Künstler – noch dazu aus der Großstadt - genau beäugen, hatte er anfangs wenig Kontakt. „Heute gehöre ich dazu“, sagte er später. Den Respekt hatte er sich im Kreise der Nachbarn auch am Stammtisch erworben. In der Kreisstadt Pfarrkirchen war der Kunstprofessor ein seltenes Unikat im Straßenbild. Der Mann mit der roten Kappe und seinem roten Hemd fiel auf, wenn er in einem Cafe saß.

Seit 2005 führt sein künstlerischer Weg weg von der reduzierten Farbigkeit. Im Mittelpunkt stand der Regenbogen, vom dem seine Bilder „handeln“. In seiner Gemeinde hat er – obwohl dem evangelischen Glauben angehörend – für das katholische Pfarrheim ein Kreuz gestaltet. Ohne Vorgaben durfte er ans Werk gehen. Der vertikale Balken, etwa 1,50 Meter lang, mit einer schwarzen Linie symbolisiert als „festen Orientierungspunkt“ den Weg zu Gott nach oben. Die weiße Linie steht für die Lanze des Longinus, der Jesus am Kreuz in die Seite sticht, um seinen Tod festzustellen. Der farbige Querbalken – mit den elf Farbtönen des Regenbogen -  etwa 1,20 Meter lang, steht für die gesamten Phänomene des Lebens. Die spitz zulaufenden Dreiecke der Balken zeigen laut Reipka das Auge Gottes.

Der Regenbogen war der Fixpunkt in den letzten Schaffensjahren von Reipka, der auf eine frühkindliche Erfahrung zurückzuführen ist. Im Alter von acht Jahren wollte er zu dem Naturphänomen laufen und es anfassen. Der Regenbogen wich immer zurück und war unfassbar. „Man kann nicht alles im Leben haben“, zog Reipka die für ihn mystische Erfahrung: „Der Regenbogen ist die Brücke von Gott zu den Menschen.“

Seit 1964 fanden über 400 Ausstellungsbeteiligungen und Einzelausstellungen statt; Arbeiten Reipkas befinden sich in etlichen Sammlungen, darunter die Bayerische Staatsgemäldesammlung, die Staatliche Sammlung in Stuttgart sowie die Staatliche Graphische Sammlung München. Er war Mitglied des Künstlerbundes, der „Neuen Gruppe“ München und des Präsidiums der Ausstellungsleitung Haus der Kunst in München. Seine Schaffenskraft hat sich Jürgen Reipka lange erhalten: Noch vor wenigen Jahren hat er nach eigenen Angaben rund 180 Zeichnungen mit den Farben des Regenbogen geschaffen. 

In den letzten Jahren ging es gesundheitlich bergab. Nach einem Schlaganfall vor drei Jahren zog Reipka in ein Seniorenwohnheim in Pfarrkirchen. Dort starb er, wie sein Kurator Dr. Volker Ziegert mitteilte, am Silvesterabend 2013.

Im Bild: Prof. Jürgen Reipka (1936-2013) vor einer seiner „Tacui“-Monotypien. 

Rottal-Inn