Versuchter Totschlag in der Asylbewerberunterkunft
"Einsperren und den Schlüssel wegwerfen?"

09.07.2017 | Stand 29.07.2023, 15:28 Uhr
−Foto: n/a

Dass sich der etwa 37-jährige afghanische Asylbewerber mit seiner Messerattacke auf einen Mitbewohner (20) der Asylantenunterkunft in Geisenhausen des versuchten Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung im schuldunfähigen Zustand schuldig gemacht hatte, zog nur Verteidiger Dr. Thomas Krimmel in Zweifel, der von einem so genannten Notwehrexzess ausging. Wesentlich kontroverser wurde dagegen diskutiert, ob es Sinn mache, den psychisch schwer kranken Analphabeten, mit dem ohne Dolmetscher keinerlei sprachliche Verständigung und damit auch keine  Therapie möglich sei, in einer Forensik unterzubringen.

LANDSHUT/GEISENHAUSEN Wie zum Prozessauftakt berichtet, war der Afghane, der als Beruf Hirte angab und sein Geburtsdatum nur vom Hörensagen wusste, am 12. Juni letzten Jahres in der Gemeinschaftsküche der Geisenhausener Unterkunft urplötzlich mit einem Küchenmesser auf den 20-jährigen Mitbewohner Hazrat O. losgegangen, der mit einer Drehung noch ausweichen konnte und deshalb „nur” ins Gesicht gestochen wurde, das seitdem durch eine ca. zehn Zentimeter lange Narbe entstellt ist.

Obwohl das Messer abbrach, stach der Hirte weiter zu und versetzte seinem Opfer auch noch Faustschläge und Fußtritte, bis ihn schließlich Mitbewohner überwältigen und schließlich der alarmierten Polizeistreife übergeben konnten. Die Staatsanwaltschaft war zunächst von einem Heimtückemord, begangen allerdings im Zustand der Schuldunfähigkeit ausgegangen; denn der Asylbewerber wurde bereits in der U-Haft in der Landshuter JVA auffällig, so dass die vorläufige Unterbringung im Bezirkskrankenhaus angeordnet wurde. Dort stellten die Psychiater bei dem 37-Jährigen eine seit Jahren andauernde Persönlichkeitsänderung auf dem Boden einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine organische Personlichkeitsstörung fest. Einen Eindruck, wie schwer die psychische Krankheit des Hirten ist, konnte man beim ersten Prozess-Versuch im Mai dieses Jahres verschaffen: Der Asylbewerber, wurde immer unruhiger, machte einen zunehmend ängstlicheren Eindruck, zitterte am ganzen Körper und fuhr sich ständig mit den Händen über den Kopf und durch die Haare. Wie er dann dem anwesenden Psychiater Dr. Martin Flesch berichtete, hörte er „Stimmen im Befehlston, einzeln und als Chor, die in Gestalt von Personen sogar auf seinem Kopf Platz nähmen und drohten, ihn zu erstechen oder zu erwürgen.” Das Sicherungsverfahren wurde ausgesetzt und bei der Neuauflage blieb der Platz neben Verteidiger Dr. Krimmel leer:

Die Psychiater bescheinigten dem 37-Jährige eine nach wie vor bestehende Verhandlungsunfähigkeit. Gutachter Dr. Flesch berichtete, dass der 37-Jährige schon seit einigen Jahren in der Unterkunft auffällig geworden und deshalb unter Betreuung gestellt worden sei. Bei ihm liege ein vielschichtiges Störungsbild vor. Aus seinem Leben habe er berichtet, dass er in seiner Heimat wie sein Vater als Nomade gelebt und als Hirte gearbeitet habe. Bis er dann angeblich im Krieg von den Amerikanern als Kollaborateur verfolgt worden und mit seinem Vieh in die Berge geflohen sei. Dort hätten dann die Taliban von ihm Schutzgelder erpresst und er habe miterlebt, wie zwei seiner Schwestern von den Taliban verbrannt worden seien. Deshalb habe er sich 2006 entschlossen, das Land zu verlassen

Bei zwei Versuchen, nach England zu gelangen, sei er jeweils zurückgewiesen worden, schließlich sei er bei der dritten Flucht in Deutschland gelandet. Seitdem leide er immer wieder an Alpträumen, insbesondere dass seine Frau und seine beiden Kinder „abgeschlachtet” bzw. erschossen würden. Die Messerattacke habe sich der Hirte damit erklärt, dass er wieder einmal „Kopfschmerzen” gehabt und deshalb aggressiv geworden sei. Laut Gutachter lasse sich die psychische Krankheit des 37-Jährigen unter dem Begriff der „schweren anderen seelischen Abartigkeit” subsummieren, zur Tatzeit sei er schuldunfähig gewesen und aktuell stelle er nach wie vor eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.

Für Staatsanwalt Klaus Kurtz gab es keine Zweifel, dass bei dem 37-Jährigen ein „zügelloser Gewaltausbruch” vorgelegen habe und die Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Forensik vorlägen. Verteidiger Dr. Thomas Krimmel stellte dagegen in den Raum, dass auch ein so genannter Putativnotwehrexzess vorgelegen haben könne, weil sich der 37-Jährige möglicherweise – warum auch immer – angegriffen gefühlt habe.

Er, wie zuvor auch Rechtsanwalt Hubertus Werner, der das als Nebenkläger auftretende Opfer vertrat, sahen zwar die formellen Voraussetzungen für die Unterbringung als gegeben an, allerdings sei die im speziellen Fall problematisch. Sie diene zwar zunächst dem Schutz der Allgemeinheit vor einem gefährlichen Täter, allerdings auch dessen therapeutischen Behandlung, um ihn möglichst zu heilen. Im speziellen Fall sei dies aber wegen der Sprachbarrieren nicht möglich, so Dr. Krimmel, es sei denn, man würde seinem Mandanten permanent einen Dolmetscher zur Seite stellen.

Die Unterbringung dürfe nicht nach dem Motto „Einsperren und Schlüssel wegwerfen” zum Verwahrvollzug degradiert, der Beschuldigte „auf alle Ewigkeit” weggeschlossen werden. Deshalb sei eine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus die bessere Lösung. Die Kammer ordnete dennoch die Unterbringung an. Was die Tat anbelange, so Vorsitzender Richter Markus Kring, sei man von einem versuchten Totschlag und gefährlicher Körperverletzung ausgegangen, weil der Beschuldigte offenbar gar nicht in der Lage gewesen sei, die Wehrlosigkeit seines Opfers zu realisieren.

Was die Unterbringungs-Anordnung angehe, sehe die Kammer zwar ebenfalls die von der Verteidigung und der Nebenklage ins Spiel gebrachte Problematik, allerdings sei es strafrechtlich vorrangig, die Allgemeinheit vor einem überaus gefährlichen psychisch Kranken zu schützen. Auf einem anderen Blatt stehe das Vollzugsproblem. Derzeit sei noch nicht absehbar, wie sich die laufende Behandlung auswirke und es sei auch nicht Sache der Strafkammer, auf den Behandlungsverlauf einzuwirken. Letztlich, so Kring, sei es eine politische Frage, in welchem Umfang die Gesellschaft bereit sei, Menschen aus Krisenländern aufzunehmen und die Folgen - Aufwand und Kosten einer verfassungsrechtlich vorgeprägten Entscheidung - zu tragen bzw. unter den Gesichtspunkten wie Kostendruck und Sparzwang Grenzen zu setzen.

Landshut