Grill im Schlafzimmer
Freisingerin (40) wollte sich und ihren Sohn töten

09.07.2017 | Stand 29.07.2023, 16:38 Uhr
−Foto: n/a

„Ich wollte ihm das seelische Leid, dass er ohne seine Mutter, die Selbstmord begangen hat, weiterleben muss, ersparen.” So schilderte die Freisingerin Claudia H. (40) vor dem Landshuter Landgericht den gescheiterten Versuch, ihren Sohn bei einem Suizidversuch „mitzunehmen”.

FREISING_25LANDSHUT Die von Staatsanwalt Achim Kinsky vertretene Anklage wirft der zuletzt bei einem Privatsender tätigen Sendeleiterin versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor, wobei Vorsitzender Richter Markus Kring zum Prozessauftakt hinwies, dass ebenso ein Rücktritt vom Tötungsversuch, allerdings auch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes unter dem Gesichtspunkt der Heimtücke möglich sei.

Laut Anklage und eigenem Geständnis hatte die 40-Jährige am 9. Januar dieses Jahres gegen 21 Uhr im Schlafzimmer des von ihr und ihrem Noch-Ehemann bewohnten Eigenheim einen Holzkohlengrill angezündet, den Türrahmen und das Belüftungsrohr mit einem Klebeband abgedichtet und dann ihren bereits schlafenden Sohn aus seinem Zimmer geholt und sich mit ihm ins Bett gelegt. Sie habe sich und den Sohn töten wollen. Durch die Rauchentwicklung des Grills sollte ihr schlafender Sohn durch das austretende Kohlenmonoxid vergiftet werden, was - wie sie gewusst und beabsichtigt habe - seinen schnellen, innerhalb wenigen Sekunden eintretenden und schmerzlosen Tod zur Folge haben sollte.

Der Sohn sei nach dem Umbetten, durch das er kurzzeitig wach geworden sei, zwar wieder eingeschlafen, dann aber gegen 3 Uhr nachts überraschend wieder aufgewacht und habe geklagt, dass er es im Zimmer wegen der Hitze und des Rauches nicht aushalten würde. Die Sendeleiterin habe ihn dann zurück in sein Zimmer gebracht.

Dort sei er dann von seinem Vater gegen 15 Uhr in lebensbedrohlicher Situation aufgefunden wurden, sei nicht ansprechbar gewesen und habe auch auf Schütteln nicht reagiert. Kurze Zeit später habe er einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten und musste reanimiert werden. In einer Münchner Spezialklinik seien später eine Kohlenmonoxidvergiftung und eine akute hypoxische respiratorische Insuffizienz diagnostiziert worden. Der Bub habe gerettet werden können.

Vor dem Schwurgericht schilderte die 40-Jährige mit meist tränenerstickter Stimme eine problemlose Kindheit und Jugend. Nach dem Abitur sei sie dann über ihre Tätigkeit bei einer Münchner Parteizentrale bei einem Privatsender gelandet und habe dort Karriere gemacht. 2004 habe sie ihren in der IT-Branche tätigen späteren Ehemann kennengelernt, 2007 habe man geheiratet und dann ein eigenes Haus gebaut, der Sohn sei 2009 geboren worden.

Ab 2012 habe es dann - nach dem Tod des Schwiegervaters - in der Ehe gekriselt, so die Sendeleiterin: Ihr Mann habe sich in sein „Hobby” als Rettungssanitäter geflüchtet, sei viel unterwegs gewesen. Darunter habe auch sein Verhältnis zu seinem Sohn gelitten: „Er war außen vor.” Im Januar 2014 habe sie dann gemerkt, dass in der Ehe etwas nicht stimme, ihr Mann eine andere Frau habe. Das habe er ihr dann im Mai bestätigt: „Da bin ich am nächsten Tag mit dem Sohn ausgezogen, zu meinen Eltern. Ich kam mir vor wie in einem schlechten Film.”

Sie selbst habe dann eine später wieder abgebrochene Psychotherapie begonnen und im Juli habe man noch einmal einen Versöhnungsversuch gestartet, sogar eine Eheberatung aufgesucht. Letztlich habe sich ihr Ehemann aber im September wieder der anderen Frau zugewandt.

Trotzdem sei sie dann Anfang Dezember zurück ins ehemals gemeinsame Haus gezogen: „Ich wollte mir in Ruhe eine Wohnung suchen.” Besonders schlecht sei es ihr dann an Weihnachten und Silvester gegangen, als sie mit ihren Sohn allein gewesen sei: „Da wollte ich schon nicht mehr.” Und so habe sie im Internet über Suizidmöglichkeiten recherchiert...

An jenem 9. Januar sei dann ihre Mutter zu Besuch gewesen, habe mit dem Noch-Ehemann, der im Dachgeschoss hauste, ein Gespräch geführt, das sie an der Tür mitgehört habe. Dabei seien Vorwürfe gefallen, dass sie sich nur noch um den Sohn, aber nicht um ihren Mann kümmere. „Von da an habe ich alles nur noch schwarz gesehen, äußerlich habe ich funktioniert, innerlich aber war klar: Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr.” Nach dem Abschied der Mutter habe sie dann aus der Garage den Grill geholt...

Ihr Sohn, so die 40-Jährige, habe die Spannungen mitbekommen. Ihn habe sie „mitnehmen” wollen, „weil ich mir gedacht habe, wenn ich nicht mehr da bin und er erfährt, dass sich Selbstmord begangen habe, leidet er sein Leben lang darunter. Diese seelische Belastung wolle ich ihm ersparen und bin zu dem Schluss gekommen, die bessere Alternative sei, ihn mitzunehmen.” Auf Vorhalt von Vorsitzendem Richter Markus Kring, dass dieser Schluss nicht nachvollziehbar sei, räumte sie ein: „Es war keine rationale Überlegung.”

Den in der Anklage festgestellten Tatablauf bestätigte sie weitgehend. Mit Gewalt, so beteuerte sie, hätte sie ihren Sohn nicht töten können. Deshalb habe sie ihn, nachdem er in der Nacht aufgewacht sei, in sein Zimmer zurück gebracht. Sie selbst habe sich im Schlafzimmer, wo der Grill noch geglimmt habe, mit Selbstmordabsicht ins Bett gelegt. Als sie dann am frühen Nachmittag wach geworden sei, habe sie „total benebelt” nach dem Sohn geschaut und sei der Meinung gewesen, er schlafe „normal”.

Der vom Drama sichtlich noch psychisch gezeichnete Vater schilderte, dass er bei seiner Rückkehr am Nachmittag des 10. Januar intensiven Brandgeruch wahrgenommen und dann das ganze Haus abgesucht habe. Dabei sei er auf seine Frau gestoßen, die habe nur „zögerlich und verlangsamt etwas vom Holzkohlegrill daher gefaselt und gesagt, dass er Sohn schläft”. Die Situation sei ihm „spanisch” vorgekommen und beim Blick in das Kinderzimmer habe er bemerkt, dass der Fünfjährige ganz blass war und nur noch flach atmete. Er habe die Rettungskräfte informiert und den Sohn reanimiert, sei schließlich zusammengebrochen.

Der Sohn sei in der Münchner Klink drei Tage lang künstlich beatmet und nach einer Woche ohne bleibenden Schaden entlassen worden. Er wisse in der Zwischenzeit, dass seine Mutter im Gefängnis sitze: „Aber nicht, dass sie ihn töten wollte.”

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt, dann soll es auch das Urteil geben. 

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