Er ist noch längst nicht gewählt, beherrscht aber schon die Gespräche im Brüsseler Nato-Hauptquartier: Neun Monate vor den US-Wahlen hat Ex-Präsident Donald Trump bei einem Wahlkampfauftritt den Beistandspakt in Frage gestellt, nach dem sich die Nato-Mitglieder im Angriffsfall unterstützen. Trump attackiere damit die Seele der Allianz, heißt es im Bündnis.
In aller Schärfe reagierte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf Trumps Äußerungen: „Jede Andeutung, dass Verbündete sich nicht verteidigen, untergräbt unsere gesamte Sicherheit“, kritisierte der sonst zurückhaltende Norweger. In Artikel fünf des Nordatlantikpakts von April 1949 ist festgeschrieben: „Die Vertragsparteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als Angriff gegen sie alle gilt.“
Der Republikaner Trump jedoch erweckte bei seiner Wahlkampfrede in der Kleinstadt Conway in South Carolina den Eindruck, er fühle sich an den 75 Jahre alten Beistandspakt nicht gebunden - zumindest dann nicht, wenn andere Nato-Staaten ihre „Rechnungen“ nicht bezahlten.
Trump und die Nato: „Ich werde Sie nicht beschützen“
„Nein, ich werde Sie nicht beschützen“, sagte Trump über ein Gespräch mit dem Präsidenten eines „großen“ Mitgliedslandes, das er in seiner ersten Amtszeit geführt haben will. Er werde die Russen sogar ermutigen zu tun, „was zum Teufel sie wollen“, prahlte Trump. Als „entsetzlich und gefährlich“ verurteilte US-Präsident Joe Biden die Aussagen seines Widersachers.
Nicht wenige in der Nato sprechen von einem Déjà-vu: Als 45. Präsident der Vereinigten Staaten hatte Trump bis 2021 den Verbündeten immer wieder vorgeworfen, sie ließen sich auf Kosten der USA beschützen. Nun aber führe Russland einen Angriffskrieg mitten in Europa, und ein Trump 2.0 könnte verheerende Folgen haben, warnen andere.
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In der Allianz besteht durchaus die Sorge, Russland könnte die Verbündeten im Baltikum oder Polen angreifen, sollten die USA als Schutzmacht ausfallen. Zwar hatte Kreml-Chef Wladimir Putin solche Pläne vergangene Woche in einem Interview mit dem US-Moderator Tucker Carlson bestritten, aber im Bündnis gilt Putin längst als notorischer Lügner.
Trump-Aussagen zur Nato schockieren deutsche Politik
Trumps Aussagen stoßen in Deutschland auf scharfe Kritik. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte am Montag bei einem Besuch in Zypern in der Hauptstadt Nikosia: „Diese Äußerungen sind verantwortungslos und spielen sogar Russland in die Hände.“ Daran könne niemand im Bündnis ein Interesse haben. Mehrere Außenpolitiker äußeren sich alarmiert. Die Bundesregierung machte deutlich, dass sie weiter auf ein funktionierendes Bündnis baut.
Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sagte in Berlin, die Äußerungen Trumps habe man „natürlich zur Kenntnis genommen“. Sie betonte zugleich: „Die Bundesregierung setzt in ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik ganz klar auf das transatlantische Bündnis und die transatlantische Wertegemeinschaft und sieht ihre Sicherheit in der Nato gewährleistet.“
Steinmeier sagte in einer Pressekonferenz mit Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis, in den USA sei Wahlkampf: „Manches ist provokativ. Aber auch wenn es provokativ ist, heißt es nicht, dass wir es nicht ernst nehmen sollten.“ Zugleich appellierte er an die Europäer, nicht so zu tun, als sei die Wahl in den USA schon entschieden.
Wiederwahl von Trump „eine Katastrophe“ für Europa?
Trumps Aussagen belasten auch das zweitägige Treffen der Nato-Verteidigungsminister ab Mittwoch in Brüssel, bei dem es eigentlich um weitere Unterstützung für die Ukraine geht. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte schon Ende November gewarnt, ein Wiedereinzugs Trumps ins Weiße Haus wäre „eine Katastrophe“ für Europa.
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Vor allem Deutschland hatte Trump in der Vergangenheit immer wieder im Visier. Als Präsident trieb er „säumige“ Nato-Mitglieder wiederholt an, mehr für ihre Verteidigung zu tun. In gewisser Weise hatte der Republikaner sogar einen Punkt. Denn unter Trump 1.0 hielt sich die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nie an die Zusage, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben.
Dabei hatte die Nato diese Zielmarke bereits bei einem Gipfel in Wales im Herbst 2014 vereinbart, nur Monate nach der russischen Annexion der Krim.
Scholz will Zwei-Prozent-Vorgabe dauerhaft einhalten
Ein verbindliches Minimum sind die zwei Prozent jedoch erst seit dem Nato-Gipfel in Litauen im vergangenen Juli. Dieses Jahr will Deutschland die Vorgabe erstmals seit dem Kalten Krieg einhalten, laut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sogar dauerhaft.
„Viele Verbündete haben dieses Ziel aber immer noch nicht erreicht“, mahnt ein Nato-Diplomat. Nur elf der 31 Mitgliedsländer dürften 2024 auf die zwei Prozent kommen, hieß es in einer Prognose Stoltenbergs aus dem vergangenen Jahr.
Die Lastenteilung wird auch beim Nato-Jubiläumsgipfel im Juli in Washington ein beherrschendes Thema sein. Eigentlich sollte davon eine klare Botschaft ausgehen, auch in Richtung Trump: Die Europäer haben verstanden.
− afp/dpa
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