17,7 Millionen betroffen
Jeder fünfte in Deutschland von Armut bedroht – aber ab wann gilt man als arm?

11.04.2024 | Stand 12.04.2024, 17:00 Uhr

Knapp 14,3 Prozent der Bevölkerung waren demnach 2023 armutsgefährdet. Ein Mensch gilt als armutsgefährdet, wenn er über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. Im vergangenen Jahr lag die Schwelle für einen Alleinlebenden bei 1310 Euro netto (nach Steuern und Sozialabgaben) im Monat. Bei zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren lag er bei 2751 Euro netto im Monat. − Symbolbild: dpa

Rund ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland ist weiterhin von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. 17,7 Millionen Betroffene gab es im vergangenen Jahr, teilte das Statistische Bundesamt am Mittwoch mit. Doch ab wann gilt man eigentlich als arm?



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17,7 Millionen Betroffene gab es im vergangenen Jahr, teilte das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mit. Der Anteil an der Bevölkerung betrug 21,2 Prozent. Gegenüber dem Vorjahr blieben die Zahlen nahezu unverändert. 2022 waren 17,5 Millionen Menschen oder 21,1 Prozent der Bevölkerung betroffen.

Als von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht gilt, wer ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze hat, dessen Haushalt von erheblichen materiellen und sozialen Entbehrungen betroffen ist oder wer in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung lebt.

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Schwelle liegt für Single bei 1310 Euro netto, bei Paar mit zwei Kindern bei 2751 Euro



Knapp 14,3 Prozent der Bevölkerung waren demnach 2023 armutsgefährdet. Ein Mensch gilt als armutsgefährdet, wenn er über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. Im vergangenen Jahr lag die Schwelle für einen Alleinlebenden bei 1310 Euro netto (nach Steuern und Sozialabgaben) im Monat. Bei zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren lag der Grenzwert bei 2751 Euro netto im Monat.

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6,9 Prozent von „erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen“



6,9 Prozent der Bevölkerung waren von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen. Konkret bedeutet das, dass die Lebensbedingungen der Betroffenen wegen des fehlenden Geldes deutlich eingeschränkt waren. Sie waren beispielsweise nicht in der Lage, ihre Rechnungen für Miete, Hypotheken oder Versorgungsleistungen zu bezahlen, eine einwöchige Urlaubsreise zu finanzieren, abgewohnte Möbel zu ersetzen oder einmal im Monat im Freundeskreis oder mit der Familie etwas essen oder trinken zu gehen.

9,8 Prozent der Bevölkerung unter 65 Jahren lebten in einem Haushalt mit sehr niedriger Erwerbsbeteiligung. Das heißt, die Haushaltsmitglieder waren insgesamt sehr wenig oder nicht in den Arbeitsmarkt eingebunden. Diese Situation liegt vor, wenn die Erwerbsbeteiligung der erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder im Alter von 18 bis 64 Jahren im Vorjahr der Erhebung insgesamt weniger als 20 Prozent betrug. Dies war zum Beispiel der Fall, wenn in einem Haushalt mit zwei Personen in dieser Altersgruppe eine Person überhaupt nicht arbeitete und die andere insgesamt nur in vier von zwölf Monaten erwerbstätig war.



Für die EU lagen für 2023 nur wenige Daten aus anderen Ländern zum Vergleich vor. Von den bislang vorliegenden Ergebnissen war der Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohter Menschen in Tschechien mit zwölf Prozent am niedrigsten. Vorläufiger Spitzenreiter war Bulgarien mit 30 Prozent. 2022 lag Deutschland mit einem Anteil von 21,1 Prozent knapp unter dem EU-Schnitt von 21,6 Prozent.

An der Art der Berechnung der Armutsgefährdung beziehungsweise Armut gibt es aber immer wieder Kritik, weil sie sich nur prozentual auf das Einkommen bezieht. Würden – überspitzt formuliert – alle Deutschen im kommenden Jahr eine Million Euro mehr im Jahr verdienen, bliebe der Armutsanteil genauso hoch. Im Gegenzug galt in der DDR nach dieser Berechnungsmethode kaum jemand als arm, weil die Gehälter so nahe beieinander lagen.

− afp