Ukraine-Krieg
Endlich echte Freunde: So war Selenskyjs Versöhnungsbesuch in Deutschland

14.05.2023 | Stand 16.09.2023, 22:08 Uhr

Wolodymyr Selenskyj (l), Präsident der Ukraine, schüttelt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach dessen Rede bei der Verleihung des Karlspreises im Krönungssaal des Rathauses die Hand. −Foto: Ina Fassbender/Pool afp/dpa

In der Ukraine galt Kanzler Scholz lange Zeit als Buhmann, was die Waffenlieferungen angeht. Das hat sich mit der Zusage von Kampfpanzern geändert. Beim Selenskyj-Besuch in Berlin verstehen sich Wolodymyr und Olaf nun auf einmal prächtig.



Wochenlang wurde gerätselt, ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj anlässlich der Karlspreis-Verleihung in Aachen nun endlich nach Deutschland kommt oder nicht. Am Samstagabend sind die letzten Zweifel ausgeräumt. Gegen 22.45 besteigt Selenskyj in Rom ein VIP-Flugzeug vom Typ A319 mit der Aufschrift „Bundesrepublik Deutschland“. Normalerweise fliegt die Luftwaffe der Bundeswehr damit den Kanzler, den Bundespräsidenten oder Minister durch die Weltgeschichte. Für Selenskyj macht sie eine seltene Ausnahme.

In Rom hat der ukrainische Präsident gerade Papst Franziskus und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni getroffen. Nun geht es weiter nach Berlin, dann nach Aachen. Die Vorbereitung des Besuchs war holprig: Eine Indiskretion der Berliner Polizei über Planungsdetails brachte ihn zwischenzeitlich in Gefahr. Jetzt steht endgültig fest, dass er unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen stattfindet: Weitgehend abgesperrtes Regierungsviertel, Scharfschützen, versiegelte Gullideckel - Sicherheitsstufe eins, die nur bei Besuchen von extrem hoch gefährdeten Staatsgästen gilt, wie zuletzt dem israelischen Präsidenten Benjamin Netanjahu.

Willkommenspaket im Wert von 2,7 Milliarden Euro



Auf dem Weg über die Alpen nach Berlin wird Selenskyj zeitweise von zwei Eurofighter-Kampfjets eskortiert. Um 00.24 Uhr landet er sicher auf dem militärischen Teil des Flughafens BER in Schönefeld bei Berlin. „Schon in Berlin. Waffen. Starkes Paket. Flugabwehr. Wiederaufbau. EU. Nato. Sicherheit“, twittert er kurz danach. Mit dem starken Paket ist ein Willkommensgruß gemeint, den die Bundesregierung dem Präsidenten bereits am Samstag vorab geschickt hat: Ein neues Waffenpaket im Wert von 2,7 Milliarden Euro mit weiteren Kampf- und Schützenpanzern, Flugabwehrsystemen, Aufklärungsdrohnen und Munition.

Ein Besuch des Präsidenten in Deutschland lohnt sich nur, wenn Deutschland was zu bieten hat, war von ukrainischer Seite immer wieder gesagt worden. Mit dem Waffenpaket ist die Bundesregierung dieser Erwartung vorauseilend gerecht geworden. „Das ist eine sehr wichtige und starke Hilfe, vielen Dank, Olaf, dafür“, sagt Selenskyj, als er am Sonntagmittag im Kanzleramt neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht. Zuvor hat er kurz bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorbeigeschaut, dann Empfang mit militärischen Ehren vor dem Kanzleramt, Gespräch mit Scholz, Pressekonferenz.

Sweatshirt und Militärhose neben Anzug und Krawatte



Selenskyj trägt Sweatshirt und Militärhose, Scholz Anzug und Krawatte. Die Stimmung ist entspannt, Scholz sagt dem „lieben Wolodymyr“ weitere Unterstützung für den Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer zu und fügt die inzwischen obligatorische Versicherung hinzu: solange dies nötig ist. Selenskyj lobt die deutsche Hilfe. „Wir werden daran arbeiten, dass wir Deutschland auf den ersten Platz bringen bei der Unterstützung“, sagt er sogar mit einem Augenzwinkern. Kein Wort mehr von Zurückhaltung und Zögerlichkeit des Kanzlers bei der militärischen Hilfe.

In den ersten Monaten nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine war das noch ganz anders. Unvergessen ist die Videobotschaft Selenskyjs im Bundestag wenige Wochen nach Kriegsbeginn, als der Präsident den Kanzler um mehr militärische Unterstützung anflehte. „Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, reißen Sie diese Mauer nieder. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die Deutschland verdient.“

Scholz war für Selenskyj lange der Buhmann - bis zur Panzer-Wende



Noch im Februar dieses Jahres beschwerte sich Selenskyj in einem „Spiegel“-Interview über den Kanzler, obwohl Deutschland zu diesem Zeitpunkt bei der militärischen Hilfe schon zusammen mit Großbritannien auf Platz zwei lag: „Ich muss Druck machen, der Ukraine zu helfen, und ihn ständig überzeugen, dass diese Hilfe nicht für uns ist, sondern für die Europäer“, sagte der ukrainische Präsident.

Wenige Tage später änderte die Zusage deutscher Leopard-2-Kampfpanzer aber so einiges. Deutschland schmiedete eine internationale Panzer-Allianz zur Unterstützung der Ukraine und brachte sogar die USA dazu, ihre Abrams zu versprechen. Das neue milliardenschwere Waffenpaket tut nun sein Übriges dazu, dass Scholz für die Ukraine längst nicht mehr der Buhmann ist. Der Deutschland-Besuch des Präsidenten markiert eine Wende im deutsch-ukrainischen Verhältnis. Und Scholz ist nicht mehr der Herr Bundeskanzler für Selenskyj, sondern der Olaf.

Differenzen bei Kampfjets



So ganz auf einer Wellenlänge sind die beiden aber dann doch noch nicht. Selenskyj bittet Deutschland auf der Pressekonferenz, eine Koalition mit anderen Partnern zur Lieferung moderner Kampfjets westlicher Bauart zu bilden. Die Ukraine wünscht sie sich für die bevorstehende Offensive zur Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete und darüber hinaus.

Scholz macht deutlich, dass er derzeit keine Waffen neuer Qualität bereitstellen will. Er verwies auf die deutsche Unterstützung der Ukraine bei der Luftverteidigung. „Das ist das, worauf wir uns als Deutsche jetzt konzentrieren.“

Die Antwort dürfte Selenskyj nicht gefallen. Aber Druck will er an diesem Sonntag nicht auf Scholz ausüben. Auf die Frage einer ukrainischen Journalistin, ob die deutsche Militärhilfe denn ausreiche, scherzt er: „Noch einige Besuche, und dann ist es ausreichend.“

„Die Ukraine ist Teil unserer europäischen Familie“



Am Nachmittag fliegen Scholz und Selenskyj gemeinsam nach Aachen - zum eigentlichen Anlass des Besuchs. Der internationale Karlspreis für Verdienste um die Einheit Europas wurde schon im Dezember Selenskyj und dem ukrainischen Volk zugesprochen. Im Krönungssaal des Aachener Rathauses werden die beiden mit stehendem Applaus empfangen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist gekommen, auch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki.

In seiner Laudatio legt Scholz den Schwerpunkt auf etwas, das der Ukraine neben der militärischen Unterstützung auch noch besonders wichtig ist: die europäische Perspektive. Das Land will noch in diesem Jahr Verhandlungen mit Europäischen Union über einen Beitritt aufnehmen. „Die Ukraine ist Teil unserer europäischen Familie“, sagt er. Die Karlspreis-Verleihung markiere „den Auftakt für ein neues Zusammenwachsen Europas“. Auf Ukrainisch sagt er dann noch: „Die Ukraine ist hier und die Ukraine ist Europa.“ Und: „Slawa Ukrajini!“ - „Ruhm der Ukraine“.

− dpa