Gesundheit
Burnout, die Insolvenz der Seele: Wenn die Akkus leer sind

02.02.2023 | Stand 17.09.2023, 4:05 Uhr

Wenn die Arbeit, die einem sonst schnell von der Hand ging, plötzlich unendlich lange dauert und weitere Symptome hinzukommen, sollte man hellhörig werden. −Foto: James Gilbert/Getty Images North America

Burnout – Ausgebrannt sein. Dieses Phänomen wurde erstmals im Jahre 1974 von dem amerikanischen Psychotherapeuten Herbert J. Freudenberger beschrieben. Mittlerweile identifizieren sich immer mehr Menschen damit. Burnout-Experte Frank Berndt aus Oberhausen an der Donau (Landkreis Neuburg-Schrobenhausen) spricht in unserer Gesundheitsserie über die Krankheit, die jeden treffen kann.



Immer mehr Menschen bekommen die Diagnose: Burnout. Gehört haben wir alle schon mal davon, doch was genau verbirgt sich hinter dieser Diagnose?

Ein physisch-psychischer Erschöpfungszustand, so eine Art Insolvenz der Psyche. Lassen Sie uns das mit einem Bankkonto vergleichen. Da sind meinetwegen ein paar Tausend Euro drauf. Und Sie geben jeden Tag ein paar Euro mehr aus als Sie einnehmen, dann sind Sie irgendwann auf Null, danach rutschen Sie ins Minus und irgendwann sind Sie komplett pleite. Genau das ist eigentlich ein Burnout-Syndrom: Ich habe über einen zu langen Zeitraum „emotional, mental oder körperlich über meine Verhältnisse gewirtschaftet und bin nun am Ende meiner Kraft.

Burnout kann prinzipiell jeden treffen. Doch Sie können die Hauptbetroffenen noch genauer eingrenzen…

Im Blick auf das Alter mache ich eine Beobachtung: Das sind einmal Berufseinsteiger – meist in den 20igern, Anfang 30igern. Die andere Gruppe hat schon deutlich mehr Berufsjahre hinter sich; die Betroffenen sind meist im Alter zwischen 45 und 58. Wenn wir uns die Arbeitswelt anschauen, ergibt das durchaus Sinn. Wir wissen der Lebenslauf ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Im Bild gesprochen ist es so: Die, die in den ersten Jahren kollabieren, das sind die, die ihren Lebenslauf mit einem zu hohen Tempo angehen. Und die anderen, das sind die, die haben vielleicht schon 30, 35 Kilometer in den Beinen und die merken: Oh, es ist noch ein ganzes Stück bis zu ihrem imaginären Ziel (Pensionierung beispielsweise), aber die Kräfte lassen deutlich nach. Die Zahl der Jüngeren geht aktuell leicht zurück, die Zahl der Älteren hingegen steigt.

Abgesehen vom Alter: Warum sind manche Menschen gefährdeter als andere?

Es gibt bestimmte Persönlichkeitstypen, die tendenziell dazu neigen, auszubrennen. Das sind Menschen, die gerne an oder über ihre Leistungsgrenze gehen. Ganz häufig unter den Betroffenen sind Menschen, die einen hohen Ehrgeiz haben, perfektionistisch veranlagt sind, ein Helfersyndrom haben oder nicht „nein“ sagen können. Diese Menschen wollen was erreichen. Oft haben sie zu wenig Selbstwertschätzung für sich und suchen deshalb die Wertschätzung von außen. Hinter einem Burnout steckt ganz oft Angst. Angst vor dem Versagen, Angst vor Ablehnung, Angst vor Kritik oder den Erwartungen anderer nicht zu entsprechen, etc.

Warum haben Burnout-Kandidaten und Drogenabhängige viel gemeinsam?

Gehen wir gedanklich mal auf den Straßenstrich. Dort arbeiten Prostituierte, nicht weil sie dort arbeiten wollen, sondern weil sie drogenabhängig sind. Um an ihre Droge Heroin zu kommen, verkaufen sie ihren Körper. Jetzt nehmen wir mal dieses Bild und übertragen es auf das berufliche Umfeld: Wir ersetzen mal die Droge Heroin durch Begriffe wie Anerkennung, Wertschätzung, geliebt werden, Erfolg, materielle Sicherheit und wir ersetzen mal das Prostituieren weg vom Sexuellen zu immer Ja sagen, immer erreichbar, immer verfügbar, immer alles geben. Dann haben Sie exakt einen Burnout-Kandidaten. Wenn ich jetzt einer Prostituierten moralisch sagen würde: „Du pass mal auf, so wie du lebst, das ist nicht gesund. Achte auf eine gesunde Work-Life-Balance, du solltest öfters mal Nein sagen – da stimmt die mir sogar zu, das leuchtet ihr komplett ein. Aber in dem Moment, wo sie im Entzug ist, ist sie wieder im alten Muster. Also muss ich bei der Drogenabhängigen das Drogenproblem lösen. Erst dann geht sie nicht mehr anschaffen. Und genauso muss ich bei einer Burnout-Kandidatin die Abhängigkeit lösen: Was ist es eigentlich, wo ist denn meine Angst, wofür gehe ich über meine Grenzen, wofür verkaufe ich mich?

Welche Symptome sprechen für einen Burnout?

Grundsätzlich sind die Symptome bei Betroffenen unterschiedlich: Bei dem einen sinkt die Leistungsfähigkeit immer weiter, ebenso die emotionale Belastbarkeit. Die andere war früher sehr gesellig und zieht sich jetzt immer mehr zurück, versumpft vor dem Fernseher. Manche können nicht mehr schlafen, sind häufig krank. Das Fatale: Die Symptome treten nicht schlagartig auf. Es ist nicht so, dass ich z.B. gestern noch gut geschlafen habe und seit heute durchgängig Schlafprobleme habe. Da schlafe ich mal schlecht, dann schlafe ich nur noch schlecht. Die Symptome nehmen quantitativ zu, aber auch qualitativ.

Wenn ich jetzt erkannt habe, dass ich Hilfe brauche: An wen wende ich mich?

Eine gute erste Anlaufstelle ist der Hausarzt oder die Hausärztin. Möglicherweise steckt hinter meiner Erschöpfung auch etwas ganz anderes. Der Hausarzt kann weitere Schritte einleiten, etwa eine Überweisung in die Psychotherapie. Hier müssen sich Betroffene aber leider häufig auf lange Wartezeiten einstellen.

Wie hoch sind die Chancen, dass ich gestärkt aus einem Burnout hervorgehe?

Die Chancen aus einem Burnout herauszukommen sind sehr hoch, wenn ich rechtzeitig gegensteure und Hilfe in Anspruch nehme. Es gilt dann erstmal herauszufinden, wo die inneren Antreiber sind. Das sind innere Überzeugungen, die rühren oft aus früheren Erlebnissen, der Erziehung oder aus eigenen Überlegungen. Man mag es kaum glauben, aber sie haben eine unglaubliche Macht über uns und unser Verhalten. Solange ich sie nicht kenne, bin ich ihnen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Wenn ich selbst anerkennen kann, dass ich bislang auf eine Persönlichkeitsprothese angewiesen war – sprich meinen Wert über Erfolg, Beliebtheit, Beziehung, Nähe, Konfliktfreiheit oder Sicherheit definiert habe – dann habe ich den Schlüssel der Veränderung in der Hand. Ich muss lernen, meinen Wert nicht mehr über das zu definieren, was ist leiste. Am Ende können Betroffene oft sagen: Ich bin wertvoll, weil ich ich bin.

Und zum Schluss: Was kann ich selbst tun, um es gar nicht erst, soweit kommen zu lassen?

Der wichtigste Punkt bei der Prävention ist und bleibt die Selbstwertschätzung. In den letzten 20 Jahren habe ich viele Menschen beraten: aus allen Schichten, aus allen Branchen. Aber wissen Sie wen ich noch nie hatte in der Beratung? Ich hatte noch nie einen Menschen, der sich oft selbst wertgeschätzt hat. Noch nie! Es geht also darum, wie ich mit mir selbst umgehe, wie ich über mich selbst spreche und denke. Mein Terminkalender verrät viel darüber, ob ich mich selbst wertschätze oder nicht, ebenso meine Erreichbarkeit via Telefon. Wenn ich mit mir selbst umgehe, wie mit einem guten Freund, dann senke ich das Risiko für diese Erkrankung enorm.