Bargeld statt Kartenzahlung: Videos, in denen Geldscheine in Umschläge gesteckt werden, begeistern derzeit viele Tiktok-Nutzer. In den sozialen Medien ist #cashstuffing im Trend, im Endeffekt eine Haushaltsmethode aus Omas Zeiten. Doch Experten sind skeptisch.
Videos, in denen Geldscheine sorgfältig in durchsichtige Umschläge gesteckt werden, begeistern derzeit viele Tiktok-Nutzer in den USA. Beschriftet sind die Umschläge mit „Lebensmittel“ oder „Benzin“. Zu sehen ist eine uralte Haushaltsmethode, die in den Vereinigten Staaten angesichts hoher Inflation gerade wieder im Trend liegt.
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Judia Griner etwa hat vor zwei Jahren mit dem „Cash-Stuffing“ angefangen, als sie noch Studentin an einer Universität in Virginia war. „Ich musste mit meinem Geld irgendwie meine Studiengebühren zahlen und wollte nicht zu viele Schulden anhäufen“, sagt die 25-Jährige. Und Schulden sind schnell gemacht, wenn - wie in den USA durchaus üblich - alles per Kreditkarte bezahlt wird.
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Früher einfach „meine Karte durchgezogen und einfach gehofft, dass das Geld reicht“
Früher habe sie keinen Überblick über ihre Finanzen gehabt, erzählt Griner. „Ich habe meine Karte durchgezogen und einfach gehofft, dass das Geld reicht.“ Mittlerweile folgen ihr bei Tiktok mehr als 200.000 Menschen.
Ähnlich ging es der 31-Jährigen Jasmine Taylor. Beim Haushalten filmt sie sich seit Anfang 2021 - und hat mittlerweile mehr als 620.000 Follower auf Tiktok. Früher habe sie impulsartig eingekauft, um ihre Finanzen stand es schlecht, sagt Taylor.
@cnbcmakeit By January 2021, Jasmine Taylor knew she needed to adjust her mindset around money. She had recently lost her full-time job and was about $69,000 in debt. #Linkinbio for more on how "cash stuffing" helped her get back on track with budgeting. #cashstuffing #budgeting #cashstuffingenvelopes ♬ original sound - CNBC Make It
Gesamtes Monatsgehalt wird abgehoben und in Umschläge gesteckt
Beim Cash Stuffing wird alles bar bezahlt. Das Monatsgehalt wird abgehoben und in Umschläge gesteckt, die zu klar abgesteckten Budgets werden: etwa für laufende Kosten, Miete oder Einkäufe. Für jedes Budget gibt es außerdem Sparziele.
Griner hat so umgerechnet rund 6800 Euro gespart, wie sie sagt. Ein Problem ihrer Generation sei „Konsumismus“ und „übermäßiges Geldausgeben“. Mit der Umschlag-Methode habe sie aber gesehen, „wie ich mein Geld ausgab, wie es verschwand“. Das habe ihr geholfen, ihre „Einkäufe zu bremsen“. Videos unter dem Hashtag #cashstuffing wurden auf Tiktok inzwischen 930 Millionen Mal angesehen.
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Jeder fünfte junge Mensch in Deutschland hat Schulden
Die Trendstudie „Jugend in Deutschland“ zeigt, dass jeder fünfte junge Mensch zwischen 14 und 29 Jahren Schulden hat. Manche geben in den sozialen Medien mit ihren Schulden an, teilen Screenshots der negativen Kontostände online. Andere wollen genau das vermeiden. Holzhäuser erklärt sich den Trend zum Cash Stuffing deshalb so: „Viele haben angesichts der aktuellen Lage Zukunftsängste. Auch die hohe Inflation bereitet vielen Sorgen und nun wollen sie ihre Finanzen im Griff behalten.“
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Grundgedanke laut Experten gut, aber Methode nicht für jeden geeignet
„Es ist prima, wenn sich junge Menschen über ihre Finanzen einen Überblick verschaffen und darüber nachdenken, wie sie sich das Geld einteilen“, sagt Josephine Holzhäuser, Finanzexpertin bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz über diesen Trend. „Ob diese Methode dafür so geeignet ist, bezweifele ich allerdings.“
Denn Cash-Stuffing ist nicht immer einfach. „Wenn ich ein Produkt sehe, das ich kaufen möchte, wird im Gehirn das Belohnungssystem aktiviert. Das Kaufverlangen will befriedigt werden“, sagt Mira Fauth-Bühler, Professorin für Wirtschaftspsychologie und Neuroökonomie an der FOM Hochschule. „Sparen bedeutet hingegen vorerst Verzicht und bringt deutlich weniger Freude. Deshalb fällt es vielen Menschen so schwer, ihre Finanzen im Griff zu behalten.“
Sparen ist also immer eine Frage der Kontrolle, die junge Menschen erst trainieren müssen. „Gerade bei ihnen ist das Kontrollsystem im Gehirn noch nicht voll entwickelt, das langfristiges Planen von Ausgaben ermöglicht“, sagt die Wirtschaftspsychologin. „Das Budget einzuteilen und Bargeld auf Umschläge zu verteilen, entlastet dieses Kontrollsystem.“
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Impulskäufe sind bei Barzahlung weniger wahrscheinlich
Dabei hilft, dass Geld ausgeben wehtut. Diesen Schmerz spüren Menschen weniger bei der Kartenzahlung, mehr beim Bargeld, das aus dem Portemonnaie verschwindet. Impulskäufe sind bei Barzahlung weniger wahrscheinlich. „Wer Probleme mit dem Sparen hat, kann deshalb Cash Stuffing nutzen, um die Kontrolle zu erlernen“, so die Professorin. Langfristig müsse man aber auch den Umgang mit elektronischen Zahlmitteln beherrschen.
Auch Holzhäuser ist zurückhaltend, was den Erfolg des Cash Stuffings angeht. „Die Planung über die Umschläge ist sehr aufwendig und schwer händelbar. Ich habe die Sorge, dass manche den Überblick verlieren.“ Gerade wenn sie ihr gesamtes Geld vom Konto abheben - also auch das für die fixen Kosten. „Das Geld etwa für die Miete muss wieder rechtzeitig eingezahlt werden, sonst kommt man in Verzug und rutscht in den Dispo“, warnt sie. Wer so plant, muss nicht nur organisiert sein, sondern auch beachten, dass bei vielen Banken Bargeldeinzahlungen nicht kostenlos sind.
Gefahr von Diebstahl oder Einbruch nicht vernachlässigen
Wer sein gesamtes Monatsbudget zu Hause aufbewahrt, sollte sich außerdem über die Sicherheit Gedanken machen. Die Gefahr von Einbruch oder Diebstahl besteht immer. Hausratversicherungen leisten bei gestohlenem Bargeld aber nur bis zu einer bestimmten Höchstgrenze, die zum Beispiel bei 1500 Euro liegen kann. Unterwegs sollten auch niemals alle Umschläge mitgenommen werden, sondern nur ein Teil des Bargelds.
„Wer bislang keinerlei Überblick und Ausgabendisziplin besitzt, kann sie mit Cash Stuffing lernen. Wenn der Umschlag leer ist, kann ich nichts mehr ausgeben - das ist schon hilfreich“, sagt Holzhäuser. Sie würde diese Methode am ehesten zum Einstieg empfehlen - mit der Einschränkung, nur das Geld für die variablen Kosten in den Umschlägen aufzubewahren. Also das Budget für den täglichen Einkauf, Kleidung, Kinobesuche oder spontane Ausgaben.
Digitales Haushaltsbuch als Alternative
Langfristig empfiehlt sie, auf sicherere Wege umzustellen. Das heißt: Das Geld bleibt auf dem Konto, den Überblick kann man mit einem digitalen Haushaltsbuch per App oder einer einfachen Excel-Liste behalten. Manche Banken bieten auch an, Ausgaben zu kategorisieren.
„Für die Rücklagen sollte man außerdem ein Tagesgeldkonto einrichten“, so Holzhäuser. „Der Sparbetrag kann direkt am Monatsanfang darauf überwiesen werden. Auch das diszipliniert.“ Und ein paar Zinsen gibt es neuerdings auch wieder darauf.
− afp/dpa/che