Tod im Flutkanal: Haftstrafen für zwei Freunde des Opfers

19.08.2021 | Stand 21.08.2021, 16:29 Uhr

Die Angeklagten stehen mit ihren Anwälten vor Prozessbeginn im Gerichtssaal.- Foto: Ute Wessels/dpa/archivbild

Ein junger Mann fällt stark betrunken in einen Kanal und ertrinkt. Seine Freunde greifen nicht ein. Stattdessen hält eine junge Frau mit der Handykamera drauf. War die Gier nach Videos zu groß?

Mit zwei mehrjährigen Haftstrafen und hochemotionalen Szenen im Gerichtssaal ist in Weiden in der Oberpfalz der Prozess um den Tod eines jungen Mannes zu Ende gegangen. Auf der Anklagebank saßen drei Bekannte des 22-Jährigen, der im September 2020 stark betrunken in einen Kanal gestürzt und ertrunken war. Zwei von ihnen verurteilte der Vorsitzende Richter Gerhard Heindl am Freitag vor dem Landgericht wegen Aussetzens mit Todesfolge. Ein 24-Jähriger, der beste Freund des Opfers, soll für fünfeinhalb Jahre in Haft; eine 22-Jährige für viereinhalb Jahre. Der dritte Angeklagte bekam wegen unterlassener Hilfeleistung eine sechsmonatige Bewährungsstrafe.

Anders als die Verteidiger in ihren Plädoyers sahen die Richter nicht nur eine moralische, sondern durchaus eine strafrechtliche Schuld bei den Angeklagten. Detailliert schilderte Heindl den Ablauf jenes Abends, der in einer Shisha-Bar seinen Anfang nahm. Die jungen Leute tranken Wodka. Irgendwann, so belege es eine Videoaufnahme, habe der 24-Jährige zu dem 22-Jährigen gesagt: «Wir gehen ... ich bin hacke ...du bist es auch.»

Nach Ansicht der Strafkammer brachten die Freunde den 22-Jährigen, der sich nur noch schwer koordinieren konnte, aus der Bar in Richtung Parkhaus. Mehrfach hätten sie ihn führen und von der Straße wegziehen müssen, weil er so betrunken war - mehr als zwei Promille und Drogenkonsum wurden später festgestellt. Der 24-Jährige und die 22-Jährige waren auch, aber weniger alkoholisiert. Der dritte Angeklagte war der Autofahrer.

Am Parkhaus verschwand der 22-Jährige, die Freunde suchten ihn und hörten vom nahe gelegenen Kanal her Geräusche. Der junge Mann lag nass und wimmernd am Ufer. Die Frau hielt mit der Handykamera drauf.

Auf einem Video ist ihr Lachen zu hören. Vom Ufer aus spricht der 22-Jährige sie an und sagt: «Mir geht's so schlecht.» Bei einem zweiten Filmchen zoomt sie den Betrunkenen heran, als er versucht, sich aufzurichten und ins Wasser fällt. Seine schlechte Verfassung ist ihm anzusehen. Und nach Überzeugung der Richter war es unmöglich, die Gefahr nicht zu erkennen.

Die junge Frau und der 24-Jährige - der beste Freund des Opfers - hätten nichts unternommen, obwohl es ganz einfach gewesen wäre, den 22-Jährigen am Ufer festzuhalten und Hilfe zu rufen. Die Frau habe ein Video erstellen wollen, das man gut posten könne, so der Richter. «Denn das ist ja wichtig heutzutage.» Ihren eigenen Angaben nach diskutierten die beiden noch, was sie tun sollen. Der 24-Jährige habe dann gesagt, der Freund simuliere nur und sitze am Ufer und wolle gar nicht mit. Dreimal habe die junge Frau den 24-Jährigen gefragt, ob der sich sicher sei - dann habe sich das Trio auf den Weg gemacht.

In spöttischen, spät am Abend verschickten Handynachrichten heißt es unter anderem: «Der ertrinkt gerade». Am Morgen versuchten die Freunde den 22-Jährigen zu erreichen: «Lebst Du noch?» und «Mach' keinen Scheiß», tippten sie. Da war er tatsächlich ertrunken.

Während der Richter den Abend rekapitulierte, schluchzten die Eltern des Opfers immer wieder auf oder schüttelten den Kopf. Vor sich auf dem Tisch hatten sie einen Fotorahmen mit einem Bild ihres einzigen Sohnes aufgestellt. Mit festem Blick guckten sie die Angeklagten an, die ihrerseits den Blickkontakt vermieden. «Das ist doch krank», rief der Vater. Zum Schluss der Verhandlung gingen die Eltern den Staatsanwalt verbal an und beschimpften die Angeklagten. Auch bei deren Angehörigen flossen Tränen.

Eine Verurteilung wegen Aussetzung mit Todesfolge sei gerechtfertigt, erläuterte der Richter, weil die Freunde, indem sie den 22-Jährigen aus der Bar führten, dessen Situation verschlechtert hätten. Die Nähe des Parkhauses zum Kanal habe eine erhöhte Gefahr bedeutet, zudem seien dort weniger Menschen gewesen, die hätten helfen können. Und weil es aus Sicht der Richter ein Leichtes gewesen wäre, den Tod des 22-Jährigen zu verhindern, gingen sie nicht von einer «einfachen», sondern von einer «leichtfertigen» unterlassenen Hilfeleistung aus - und somit bei der Tat nicht von einem minderschweren Fall.

Der 24-Jährige wurde strenger bestraft als die junge Frau, weil er der beste Freund des Opfers gewesen war und deswegen eine erhöhtes Interesse daran gehabt haben musste, dem 22-Jährigen zu helfen. Der dritte Angeklagte sei nicht direkt am Ufer dabei gewesen, hätte aber auch Hilfe holen können, befanden die Richter. Die Verteidiger der beiden zu Haftstrafen verurteilten kündigten Revision an.

In ihren letzten Worten hatten die Angeklagten das Geschehen bedauert. Er denke jeden Tag an seinen Freund, sagte der 24-Jährige. Die Frau beteuerte, es tue ihr von Herzen leid, was dem Freund passiert sei. Bis heute könne sie das Ganze nicht fassen. «Wir waren einfach nur vier junge Leute, die Freitagabend ausgehen und was trinken wollten.»