Immer mehr Münchner beantragen eine Sozialwohnung

29.08.2021 | Stand 30.08.2021, 23:05 Uhr

Ein Wohnhaus im Münchner Stadtteil Westkreuz.- Foto: picture alliance / dpa

Der Staat fördert den sozialen Wohnungsbau mit Milliarden - doch am Mangel bezahlbarer Wohnungen für die ärmeren Schichten der Bevölkerung ändert das wenig. In München wächst die Not der für Niedrigverdiener quasi unerschwinglich gewordenen Landeshauptstadt.

Ungeachtet aller Wohnungsbauoffensiven ist kein Ende des Wohnungsmangels für Wenig- und Normalverdiener in Sicht. In München verschärft sich das Problem trotz Corona-Pandemie und gebremsten Zuzugs. Das Amt für Wohnen und Migration in der Landeshauptstadt verzeichnet seit Juli 2020 monatlich eine durchschnittliche Steigerung von rund 800 Anträgen für eine geförderte Wohnung, wie das Münchner Sozialreferat auf Anfrage mitteilte. «Bis Ende 2021 werden über 40.000 Anträge prognostiziert», sagte ein Sprecher.

Das bedeutet allerdings nicht, dass auch so viele Haushalte auf der Warteliste stehen. «Aktuell sind knapp 15.000 Haushalte registriert, das heißt berechtigt», erklärt dazu der Sprecher des Sozialreferats. Doch auch das sind gemessen am Angebot zu viele: «Je nach Größe Ihres Haushalts dauert es mehrere Monate oder auch mehrere Jahre, bis eine Wohnung vermittelt werden kann», bremst die Münchner Stadtverwaltung auf der Rathaus-Webseite etwaige Hoffnungen.

Die Differenz zwischen Anträgen und registrierten Haushalten hat zwei Gründe: Bei den Anträgen werden laut Behörde sowohl Erst- als auch Folgeanträge gezählt, außerdem werden viele Anträge abgelehnt, weil die Betreffenden die Voraussetzungen nicht erfüllen. In der Mehrheit dieser Fälle ist das Einkommen zu hoch für eine Sozialwohnung. Die Quote der abgelehnten Anträge bezifferte der Sprecher auf mehr als ein Fünftel - 22 Prozent.

München ist kein Einzelfall. Nürnberg hat ein ähnlich großes Problem, wenn man die sehr viel niedrigere Einwohnerzahl in Rechnung stellt: In Bayerns zweitgrößter Stadt warten nach Angaben der Stadtverwaltung 6500 berechtigte Haushalte auf eine Sozialwohnung. Auch in Kleinstädten sind die Wartelisten lang. Nach Zahlen des bayerischen Wohnungswirtschaftsverbands vdw aus dem Juli etwa waren bei der Stadtbau Dachau 250 Haushalte gemeldet, in Straubing 630.

Diese Zahlen spiegeln ein bundesweites Problem wider. Die Zahl der Sozialwohnungen schrumpft von Jahr zu Jahr. «Die Mittel für die soziale Wohnraumförderung müssen dringend auf bundesweit mindestens vier Milliarden Euro pro Jahr erhöht werden», sagt in Berlin Axel Gedaschko, Präsident des Dachverbands der deutschen  Wohnungsunternehmen GdW. «Davon müssen Bund und Länder jeweils zwei Milliarden Euro kofinanzieren.» Im GdW und seinen Landesverbänden sind überwiegend Wohnungsgenossenschaften und kommunale Gesellschaften zusammengeschlossen, die günstige Wohnungen anbieten.

Derzeit beim Bund eingeplant ist bis 2024 eine Milliarde pro Jahr für die Wohnraumförderung, plus einer weiteren für den Wohnungsbau gedachten Klimaschutz-Milliarde 2022, wie es im Bundesinnenministerium heißt.

1990 gab es in Deutschland noch etwa drei Millionen Sozialwohnungen, 2010 waren es 1,6 Millionen, Ende vergangenen Jahres nur noch 1,1 Millionen. Ziel der großen Koalition für die zu Ende gehende Wahlperiode war der Bau 100.000 neuer Sozialwohnungen. Das haben Union und SPD sogar übertroffen - und dennoch gab es einen Rückgang.

Von 2016 bis 2019 wurden laut Innenministerium über 103.000 geförderte Mietwohnungen gebaut. Doch gleichzeitig sind im selben Zeitraum mehr als 112.000 Sozialwohnungen aus der Bindung gefallen und werden nun auf dem freien Wohnungsmarkt vermietet. Die Zahlen für 2020 sind im diesjährigen Immobilienmarktbericht des Bundes noch nicht enthalten, doch gab es nach den vom Ministerium zitierten Länderzahlen im Saldo ein weiteres Minus von 26.339 Sozialwohnungen. Nach Schätzung des GdW wären nicht 100.000 neue Sozialwohnungen in vier Jahren notwendig, sondern 320.000.

Zuständig für den Sozialwohnungsbau sind seit 2006 die Länder, der Bund zahlt lediglich Zuschüsse. In Bayern ist der Rückgang nach Zahlen des vdw mit einem landesweiten Minus von knapp 20.000 Sozialwohnungen seit 2012 vergleichsweise moderat ausgefallen, weil die Staatsregierung die Bundesmittel mit eigenem Geld in beträchtlicher Höhe ergänzt.

Doch das tun keineswegs alle Landesregierungen. So ist in Berlin die Zahl der geförderten Mietwohnungen innerhalb eines Jahrzehnts um über 57.000 auf rund 95.000 geschrumpft - ein mehr als doppelt so hoher Rückgang wie in Bayern, obwohl der Freistaat über dreimal so viele Einwohner zählt wie die Bundeshauptstadt.