8. Oktober 2023
Auch Bezirkstage werden in Bayern gewählt: „Fast unbekannte Wesen“

08.10.2023 | Stand 08.10.2023, 9:43 Uhr

Vier Stimmen können die Wähler in Bayern abgeben - zwei davon für den Bezirkstag.  − Foto: imago

Sie entscheiden über Milliardenbeträge und sind für viele soziale Themen im Freistaat zuständig - trotzdem wirken die sieben Bezirkstage oft im Verborgenen. Zusammen mit der Landtagswahl können die Bayern am 8. Oktober über ihre Vertreter abstimmen.



Psychiatrie, Behinderung, Pflege im Alter: Mit diesen Themen beschäftigen sich viele Menschen nur ungern - vor allem, wenn sie nicht selbst betroffen sind. Wenn es jedoch nötig ist, kommt man im Freistaat an einem Gremium nicht vorbei: dem Bezirkstag, beziehungsweise den sieben Bezirkstagen.

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Diese Regionalparlamente von Oberfranken bis Schwaben sind eine kommunalpolitische Spezialität Bayerns. In keinem anderen Bundesland gibt es sie in dieser Form - vom Volk gewählte Gremien, die Entscheidungsbefugnis über ganz wesentliche Aufgaben haben - Aufgaben, die für viele Städte allein nicht finanzierbar wären.

Bezirke sind dritte kommunale Ebene im Freistaat

„Die Bezirke sind das fast unbekannte Wesen“, sagt der Sprecher des Verbandes der bayerischen Bezirke, Ulrich Lechleitner. Die Bezirke sind nach den Gemeinden und Landkreisen die dritte kommunale Ebene im Freistaat. Trotzdem finden die Bezirkswahlen nicht gleichzeitig mit den Kommunalwahlen statt, sondern am Tag der Landtagswahl - heuer also am 8. Oktober. Die Abstimmung über die Regionalparlamente steht daher seit jeher im Schatten der großen Schwester - dabei entscheiden ihre Vertreter über Milliardenbeträge.

„Unser bekanntestes Thema ist sicher die Psychiatrie“, sagt Daniel Arnold. Der 38-Jährige sitzt seit vier Jahren für die Grünen im Bezirkstag von Mittelfranken. Mehrere bundesweit bekannte Skandale hatten ihren Ausgangspunkt im mittelfränkischen Bezirksklinikum in Ansbach - etwa der Fall Gustl Mollath und die Haderthauer-Affäre. Die sogenannte Modellbau-Affäre um die Eheleute Christine und Hubert Haderthauer sei damals auch im Bezirkstag behandelt worden, sagt Arnold. „Einzelne Bezirksräte haben dezidiert nachgefragt. Aber das Thema wurde nicht öffentlich behandelt und so konnte die ganze Affäre in Straubing nochmal passieren.“ Die Eheleute Haderthauer waren nacheinander Miteigentümer eines Unternehmens, das teure, von Straftätern in der Psychiatrie gebaute Modellautos verkaufte.

Arnold kämpft dafür, dass die Arbeit der Bezirkstage transparenter wird. „Lange Zeit war das ein eher verschwiegenes Gremium, aus dem Informationen nicht nach außen drangen“, sagt der IT-Spezialist. Dabei seien viele Themen für die Öffentlichkeit interessant. Da der Bezirkstag jedoch meist vormittags tagt, könnten Berufstätige kaum dabei sein. „Daher wäre es wichtig, dass die Leute nachlesen können, was wir getan haben“, sagt er. Zumindest die Tagesordnungspunkte seien inzwischen öffentlich, Expertengutachten dagegen weiter nicht - „wo eigentlich die wichtigen Punkte drinstehen“.

Auch Birgit Hainz wünscht sich, dass über die Arbeit der Bezirkstage häufiger berichtet wird. Wenn die Sprache auf ihre Arbeit komme, „schauen immer alle erst ganz groß“, sagt die CSU-Abgeordnete im Bezirkstag von Oberbayern. „Wir sind letztlich die leisen, stillen Politiker.“ Die 50-Jährige räumt ein, dass die Arbeit abseits des öffentlichen Fokus manchmal einfacher ist: „Vielleicht ist es auch ganz gut, dass wir mehr sachbezogen arbeiten können, weil der Druck von außen weniger ist.“ Die Ausschüsse tagen meist nicht öffentlich.

Doch der Bezirkstag bestehe „nicht nur aus Skandalen, sondern aus vielen sozialen Initiativen“, betont Arnold. „Und spätestens wenn jemand einen Pflegefall in der Familie hat, weiß er, dass es den Bezirkstag gibt“, sagt Hainz. Denn wenn Pflegeversicherung und das eigene Vermögen nicht ausreichen, gewährt der Bezirk die sogenannte Hilfe zur Pflege. „Das ist ein Posten, der wächst, weil die Menschen immer älter werden“, sagt Arnold.

In diesem Jahr standen den Bezirken 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Das Geld stammt vor allem aus den jährlichen Umlagen von den Landkreisen und kreisfreien Städten, sowie aus dem kommunalen Finanzausgleich. Allein in ihren Verwaltungen beschäftigen die Bezirke etwa 2800 Menschen. Dazu kommen 1500 Beschäftigte in kommunalen Einrichtungen und Eigenbetrieben wie etwa Schulen sowie 23.000 Beschäftigte in den psychiatrischen Krankenhäusern und Heimen.

Am stärksten wahrgenommen werden die Bezirke als Träger dieser Kliniken. Daneben kümmern sie sich um Hilfen für Menschen mit Behinderung sowie um die Integration von jungen Menschen mit Handicap in Regelschulen. Mit ihren Freilichtmuseen engagieren sie sich zudem in der Brauchtumspflege. Auch für junge Flüchtlinge, die ohne ihre Eltern nach Deutschland gekommen sind, und dann volljährig werden, sind die Bezirke zuständig. „Wenn sie in Therapie sind oder in Wohngruppen organisiert, sind das alles unsere Kosten“, sagt Hainz.

Für die sieben Bezirkstage zwischen Aschaffenburg und Passau werden 180 Mandate vergeben. In jedem Bezirk werden genauso so viele Bezirksräte gewählt wie Landtagsabgeordnete - in Oberbayern 61, in Niederbayern 18, in der Oberpfalz 16, in Oberfranken 16, in Mittelfranken 24, in Unterfranken 19 und in Schwaben 26. Die Kandidaten sind oft erfahrene Gemeinde- oder Stadträte.

Als er 30 Jahre alt wurde, schwor sich Arnold: „Entweder ich höre auf zu meckern, oder ich mache Politik“ - und ging zu den Grünen. Seinen Job bei einem Hersteller von Routern und Telefonanlagen hat er wegen seiner Bezirkstagsarbeit auf 30 Stunden in der Woche reduziert. Sein Arbeitgeber muss ihn für das Ehrenamt freistellen. Für Recherchen, Abendtermine, Vor- und Nachbereitung für die Sitzungen und Ausschüsse investiert er mindestens zehn Stunden pro Woche. Hainz kommt sogar auf etwa doppelt so viele - „noch ohne die Fahrstrecken“. Zudem werde sie mehrmals täglich von Bürgern angerufen - nicht nur aus ihrem Stimmkreis. „Man ist dann doch nicht vollkommen unbekannt“, sagt sie.

− dpa