Austria-Trainer aus Dingolfing
Michael Wimmer im Interview: Wiener Schmäh, die Sache mit Lautern und die staade Zeit

18.12.2023 | Stand 18.12.2023, 8:19 Uhr
Andreas Forster

Zurück in der Heimatstadt: Michael Wimmer an adventlich gedecktem Tisch in Dingolfing. Den Wert einer Pause vom Fußball-Getriebe weiß der Trainer der Wiener Austria zu schätzen – dennoch gehen die Gedanken schon wieder in Richtung der Rückrunden-Vorbereitung. − Foto: Forster

Seit knapp einem Jahr ist der Dingolfinger Michael Wimmer (43) nun Trainer beim österreichischen Kultclub Austria Wien. Im Gespräch mit der Passauer Neuen Presse zieht er ein Fazit nach einem durchaus turbulenten Jahr. Ferner stand er Rede und Antwort zu etwaigen Wechselgerüchten, der Entwicklung im österreichischen Fußball und lobt seinen niederbayerischen Keeper Christian Früchtl für eine starke Hinrunde.

Herr Wimmer, Sie sind nunmehr seit knapp einem Jahr Cheftrainer beim Traditionsclub Austria Wien. Haben Sie den berühmten „Wiener Schmäh“ bereits verinnerlicht?
Michael Wimmer: Naja, grundsätzlich sind Wiener und Bayern nicht ganz so verschieden (lacht). Der Schmäh ist besonders und natürlich gibt es manche Floskeln und Ausdrücke, die ich noch lernen musste. Die Stadt ist unglaublich faszinierend und schön. Wichtiger ist jedoch, dass ich mich beim Verein sehr wohlfühle.

Sportlich ist es vor der Winterpause gut bis sehr gut gelaufen. Der sechste Platz ist in Reichweite; im ÖFB-Cup steht die Austria im Viertelfinale. Trotzdem wurden auch viele Punkte verschenkt. Fällt das Fazit bis zur Winterpause eher gemischt aus?
Wimmer: Es war definitiv bis dato eine Saison mit Höhen und Tiefen. Wir hatten eine sehr gute Vorbereitung mit starken Testspielen gegen Galatasaray Istanbul oder Aris Limassol. Dadurch stieg ein wenig die Erwartungshaltung im Club, bei den Spielern und auch bei mir. Jedoch gab es zu Beginn einen herben Dämpfer gegen Sturm Graz, der jedoch mit zwei überzeugenden Siegen gegen Banja Luka im Europapokal weggewischt wurde.

Und danach folgte das überragende Spiel in Warschau …
Wimmer: Das war von der ersten Minute an ein sehr gutes Spiel, das wir verdient mit 2:1 gewinnen konnten. Im Rückspiel war die 3:5-Niederlage, gleichbedeutend mit dem Aus im Europapokal, ein richtiger Nackenschlag. In der Liga lief es auch alles andere als rund, obwohl wir bei den meisten Spielen die bessere Mannschaft waren. In den Medien wurde auch meine Person in Frage gestellt. Es war äußerst turbulent.

War das Derby gegen Rapid der Turnaround?
Wimmer: Wenn man in Zwei-Mann-Unterzahl über 50 Minuten ein 0:0 erkämpft, macht das etwas mit dir. Was die Mannschaft dort an Energie, Kampf und Leidenschaft hineingesteckt hat, war einfach unglaublich. Danach hatten wir 1,9 Punkte im Schnitt. Deswegen war das mit Sicherheit der Turnaround. Damit haben wir uns die Chancen auf den sechsten Platz auf jeden Fall gewahrt.

Nach dem Abgang von Haris Tabakovic, der in der Vorsaison mehr als 20 Treffer erzielte, gab es viel Unmut bei den Fans. Sie hingegen werden von den Fans geliebt. Wie sehr hat diese Unterstützung auch Ihnen geholfen?
Wimmer: Zunächst muss ich einmal sagen, dass uns Haris nicht nur auf dem Feld, sondern auch in der Kabine gefehlt hat. Er war ein großes Vorbild. Die Unruhe kam auf, weil die Ablöse für viele Fans zu niedrig war. Doch ohne diese festgeschriebene Ablöse (Anm. d Red: Tabakovic wechselte für 500000 Euro zu Hertha BSC Berlin) wäre er wohl auch nicht zur Austria gekommen. Mich persönlich hat die Zuneigung der Fans sehr geholfen und das macht mich auch stolz, wenn vor dem Linz-Spiel ein Banner im Stadion hängt mit dem Satz „Michi Wimmer – einer von uns“. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir fünf Punkte nach zehn Spielen. Das ist nicht selbstverständlich und freut mich. Generell sind die Fans absoluter Wahnsinn. Jedes Spiel ist für uns ein Heimspiel.

Einer der Garanten für den Aufschwung nach den Stotterstart war Keeper Christian Früchtl. Was macht ihn so besonders?
Wimmer: Christian ist ein Vollprofi durch und durch. Seine Leistungen in der Hinrunde waren überragend. Noch viel wichtiger ist jedoch seine Einstellung im Training und in der Vorbereitung auf ein Spiel. Da gibt es nur ein Motto: Er will alles gewinnen. Da ist die „Mia san Mia“-Mentalität vom FC Bayern München. Das hilft uns ungemein. Ich bin mir sicher, dass er seinen Weg im Profifußball definitiv machen wird.

Kontrovers diskutiert wurde eine Aktion aus dem Wiener Derby, als Sie Christian Früchtl anstifteten eine Verletzung vorzutäuschen. Bereuen Sie diese Aktion?
Wimmer: In erster Linie ging es mir in dieser Szene um den Verein und ich wollte alles versuchen, damit wir dieses Spiel nicht verlieren. Ich war mit Sicherheit nicht der erste Trainer, der dies gemacht hat. Allerdings hätte ich mich vielleicht ein wenig klüger anstellen sollen. Die Strafe vom ÖFB habe ich akzeptiert und mich auch dafür entschuldigt.

Anders gefragt: Hätte Ihnen hier eine Auszeit, wie in anderen Sportarten üblich, geholfen?
Wimmer: Definitiv. Es wird zwar viel im Training simuliert, aber alle Eventualitäten kann man nicht einstudieren. In dieser Situation hätte ich mit Sicherheit eine Auszeit in Betracht gezogen, um die Mannschaft neu einzustellen.

Vor zwei Wochen waren Sie einer der heißen Trainerkandidaten für die Nachfolge von Dirk Schuster beim 1. FC Kaiserslautern. War die Meldung eine Ente oder war doch etwas dran?
Wimmer: Zunächst einmal will ich betonen, dass ich Schlagzeilen aus der Presse nicht kommentieren möchte. Mit diesem Credo bin ich bis dato sehr gut gefahren. Und selbst, wenn die Gerüchte über Angebote anderer Vereine stimmen würden, bringt es mir nichts. Zunächst bin ich Trainer bei Austria Wien, im Hier und Jetzt liegt mein Fokus. Auf der anderen Seite entspricht es nicht meinem Naturell, einem Kollegen mit unüberlegten Aussagen zu schaden.

Anfragen sind durchaus da?
Wimmer: Da haben Sie nicht unrecht. Anfragen ehren mich, weil sie zeigen, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ferner ist es auch ein Kompliment an Austria Wien und die gesamte Mannschaft, weil man als Trainer nur interessant ist, wenn es sportlich gut läuft.

Ist Austria Wien für Sie weiterhin ein optimaler Standort, um sich als Trainer und Mensch weiterentwickeln zu können?
Wimmer: Absolut. Die Austria ist ein Verein mit sehr viel Charisma und Tradition. Das erste Mal bin ich fixer Cheftrainer und lerne jeden Tag neu dazu. Es ist ein anderes Land und auch eine richtige geile Liga. Hier kann wirklich jeder jeden schlagen. Das macht es auch so interessant. Jeder Verein hat seine eigene Spielidee und der österreichische Fußball wird immer attraktiver, da auch die Nationalmannschaft mittlerweile in Europa eine Nummer ist.

Welche Ziele haben Sie für die Rückrunde?
Wimmer: Wir haben nach der Winterpause noch fünf Spiele um den sechsten Tabellenplatz in der Liga zu erreichen. Das wäre natürlich hervorragend, wenn wir das schaffen würden und ich bin überzeugt, dass wir das auch können. Zudem sind wir noch im ÖFB-Cup vertreten und in einem K.O.-Spiel ist immer alles möglich. Falls wir unter die ersten sechs Teams kommen, wird natürlich ein Platz im europäischen Wettbewerb angestrebt. Und auch wenn wir es nicht schaffen kann man über Platz sieben noch ein Ticket für Europa erarbeiten.

Über Weihnachten sind Sie in Ihrer Heimatstadt Dingolfing und mit der Familie vereint. Auf was freuen Sie sich am meisten?
Wimmer: Die längere Pause tut wirklich gut, weil auch der Sommer, mit der Conference-League-Quali, doch sehr kurz war. Ich freue mich jetzt auf die Zeit mit der Familie. Es ist zum Beispiel schön, dass ich den Sohnemann nun von der Schule abholen kann.

Doch ganz ohne Fußball geht es nicht …
Wimmer: Nein, da die Vorbereitung auf die Rückrunde geplant werden muss. Auch selbst reflektiert man in der staden Zeit ein wenig. Das gehört als Trainer dazu. Trotzdem gilt jetzt erst einmal die Familie und für den Fußball findet sich immer ein wenig Zeit (lacht).