Neuer Kultusminister
„Bayerische Lehrer arbeiten mehr als 40 Stunden pro Woche“

12.07.2018 | Stand 13.09.2023, 1:59 Uhr
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Der CSU-Politiker Bernd Sibler ist seit März Kultusminister – der 47-Jährige war einst selbst Lehrer. Im Interview mit dem Wochenblatt verrät Sibler, warum Lehrer mehr als 40 Stunden die Woche arbeiten – trotz der vielen Ferien. Und warum ein

REGENSBURG Wochenblatt: Herr Sibler, waren Sie ein Streber?

Bernd Sibler: Ich war ein guter Schüler. Ob ich ein Streber war, weiß ich nicht. Ich habe mich jedenfalls in der Schule sehr wohl gefühlt, das ist wohl bei den meisten Leuten so, die später Lehrer werden. Ausschlaggebend war für mich aber, dass ich gerne mit jungen Menschen arbeite. Ich kam aus der kirchlichen Jugendarbeit, das hat sich fortgesetzt.

Geht Ihnen das Lehrer-Sein manchmal ab?

(Denkt nach). Ja, manchmal schon. Junge Menschen zum Beispiel für Geschichte zu begeistern, hat mir sehr viel Spaß gemacht. Aber zum Glück bin ich als Kultusminister ja noch nah dran – eine Aufgabe, die eine große Ehre für mich bedeutet. Aber ja, ich war gerne Deutsch- und Geschichtslehrer.

Würden Sie da heute noch einen Job als Lehrer bekommen mit diesen Fächern?

Das wäre im Moment wirklich schwierig, die Situation hat sich in den Fächern Deutsch und Geschichte, aber auch Geographie und Englisch verschlechtert. Aber das hat sich lange angedeutet und war von uns so prognostiziert, man konnte sich also darauf vorbereiten.

Ist es sinnvoll, dass man gezielt auf einen Beruf hin und auf eine Schulart studieren muss? Wäre es nicht sinnvoller, dass Lehramtsstudenten je nach Bedarf eingesetzt werden können nach dem Studium?

Aber das ist doch genau der Punkt, warum wir an dem differenzierten Schulsystem in Bayern festhalten. Die unterschiedlichen Schularten haben völlig verschiedene Profile, und das drückt sich natürlich auch im Studium aus. An der Grundschule stellen sich andere Herausforderungen als in der Oberstufe des Gymnasiums, schon allein aufgrund des Altersunterschieds. Wir haben damit sehr gute Erfolge, Bayern hat stets hervorragende Ergebnisse bei den Leistungstests. Wir haben jetzt aber auch die Möglichkeit der Seiteneinstiege an Grund- und Mittelschulen für Gymnasial- und Realschullehrer geschaffen, aber dazu braucht es auf jeden Fall zusätzliche Schulungen.

Ist es nicht ungerecht, dass jemand, der in Bayern das Abitur nicht schafft, aber in Berlin, danach den selben Job bekommt wie ein Abiturient aus Bayern?

In den letzten Jahren gab es immer wieder die Kritik, wir hätten zu viele Wiederholer. Zuletzt haben wir die Wiederholer-Quote gesenkt. Sicher hat das auch damit zu tun, dass wir die mündlichen Leistungen stärker gewichten. Aber es wird niemand ernsthaft behaupten, dass die jungen Leute heute schlechter Englisch sprechen als vor 30, 40 Jahren. Wenn man die durchschnittlichen Abiturquoten vergleicht in ganz Deutschland, sind wir in der Regel auf Platz zwei bis Platz fünf. Wir sind nie auf Platz 16. Wir haben eine sehr hohe Qualität, aber auch gute Ergebnisse.

Ist nicht der Grund, dass man sich 16 verschiedene Schulsysteme in Deutschland leistet, weil die Länder sonst nicht mehr viel zu bestimmen haben?

Ich setze hier auf Qualität. Wir haben bei den internationalen Tests keine Vergleiche zu scheuen. Unsere bayerischen Schulen spielen immer vorne mit!

Also drehen wir es um: Die Bremer sollten einfach das bayerische Schulsystem einführen?

Sagen wir es so: Wenn die anderen sich an Bayern orientieren, würden sie nicht schlecht damit fahren (lacht).

Aber ist das frühe Aussortieren in der vierten Klasse tatsächlich sinnvoll?

Wir haben das Schulsystem in Bayern deutlich durchlässiger gemacht in den letzten Jahren. Mit Anstrengungs-Bereitschaft kann man auch höhere Abschlüsse erzielen, auch wenn man in einer anderen Schulart begonnen hat. Wichtig ist für uns aber: Ein Zeugnis muss auch etwas aussagen. Sonst scheitert man an der Uni oder im Beruf, wenn man zwar ein Zeugnis hat, das aber nicht hält, was es verspricht. Und das kann es nicht sein.

Aber ist die vierte Klasse nicht zu früh, um auszusortieren? Der Druck ist doch immens, mindestens sein Kind auf die Realschule zu bekommen.

Also erstens hat die Mittelschule mit ihrem neuen Profil in Bayern wieder sehr viel mehr Akzeptanz, vor allem auch, weil wir im Handwerk eine sehr hohe Nachfrage haben! Zweitens ist die Fähigkeit der Grundschüler in der vierten Klasse genauso gut einzuschätzen wie in der sechsten Klasse. Das pädagogische Argument ist für mich aber zentral: In der vierten Klasse sind die Kinder noch nicht in der Pubertät, in der sechsten sind es gerade schon viele Mädchen, aber auch manche Jungen pubertieren früh.

Ein Kollege bat mich, Sie zu fragen, wie es sein kann, dass seine Tochter an der Realschule im Landkreis Landshut einen Tag gar keine Schule hatte, weil keine Vertretungslehrer einsetzbar waren. Wie kann das sein?

Das darf nicht sein, das kann aber eigentlich auch nicht sein, dass ein ganzer Tag ausfällt. Ich werde mir den Fall vorlegen lassen. An der Sicherung des Unterrichts arbeiten wir seit Jahren, wir haben in Bayern eine sehr niedrige Quote an ausgefallenem Unterricht – rund 1,6 Prozent.

Kommen wir zu den Lehrern. Zwölf Wochen Ferien, vor den Sommerferien ist auch nicht mehr viel los – warum führt man nicht die 40-Stunden-Woche für Lehrer mit sechs Wochen Urlaub ein?

Es gibt umfangreiche Studien darüber, dass Lehrer inklusive Ferien mehr arbeiten als 40 Stunden in der Woche ...

... sind das Studien der Lehrerverbände?

Nein. Wenn man die Korrekturzeiten und das Erstellen der Zeugnisse mit einrechnet, wenn man die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts einbezieht, dann kommt man deutlich über 40 Stunden. Wenn zum Beispiel das Abitur geschrieben und korrigiert ist, werden die Gymnasiallehrer natürlich für andere Dinge eingesetzt und sitzen nicht zuhause, zum Beispiel für Vertretungsstunden.

Sie wehren sich also dagegen, dass Lehrer vormittags Recht und nachmittags frei haben?

... weil dieses Vorurteil auch nicht stimmt!

Stichwort Digitalisierung: Verpassen wir da gerade etwas an den Schulen?

Wir haben eine breite Digital-Offensive für hunderte Millionen Euro in Schulen auf den Weg gebracht, doch wir werden viel Augenmerk darauf legen, dass der pädagogische Nutzen im Vordergrund steht. Nur weil ich etwas über das Whiteboard statt der Kreidetafel mache, ist der Lerneffekt noch nicht größer.

Ein schwieriges Thema an den Schulen ist auch das Thema Extremismus und Antisemitismus. Ist das ein Problem in Bayern?

Ich habe erst vor wenigen Tagen einen jungen jüdischen Mann ausgezeichnet, der in einem Schnellrestaurant Zivilcourage gezeigt hat, als jemand den Hitlergruß machte. Jede Form des Extremismus hat an bayerischen Schulen nichts zu suchen, unsere Lehrer sind sensibilisiert und greifen ein. Egal, ob islamistische, rechtsextreme oder linksextremistische Tendenzen: So etwas hat an bayerischen Schulen nichts zu suchen.

Sie sind natürlich nicht nur Minister, sondern auch CSU-Mitglied. In ihrem Wahlkreis in Deggendorf hat die AfD bei der Bundestagswahl ein extrem gutes Ergebnis eingefahren. Hat Ihre Partei keine Antworten darauf?

Fakt ist: Der Bürger wählt eine Partei, weil er von ihren Vertretern erwartet, dass sie die Probleme lösen. Wir können diesen Rechtsruck bei den Wahlen nur dadurch verhindern, dass wir klare Lösungen anbieten. Die AfD bietet eben keine Lösungen an, sie ist nur ein Ventil. Wir müssen die AfD also inhaltlich stellen!

Vielen Dank.

Regensburg