Psychisch Kranker ging auf Polizisten los
Zweieinhalb Jahre Haft und Unterbringung

06.07.2017 | Stand 13.09.2023, 4:17 Uhr
Monika Kretzmer-Diepold

Am Muttertag bedrohte ein psychisch Kranker Polizisten und wurde mit zwei Schüssen niedergestreckt

ALTÖTTING/TRAUNSTEIN Ein psychisch kranker 33-jähriger Rumäne fühlte sich einsam in Deutschland, hatte Probleme mit seiner Freundin, aß am Nachmittag des 13. Mai 2012 (Muttertag) nichts, trank dafür reichlich Bier und Wodka.

In dieser Situation rief er seine Freundin an und verkündete seinen Selbstmord. Die Freundin verständigte die Polizei. Zwei Beamte der Polizeiinspektion Altötting empfing der Mann im Hausflur seiner Wohnung in Altötting mit Messern in beiden Händen.

Wegen einer Stichbewegung aus kurzer Distanz griff einer der Beamten zur Dienstwaffe und schoss zwei Mal auf den Rumänen. Der 33-Jährige kam erheblich verletzt auf die Intensivstation des Kreiskrankenhauses Altötting (wir berichteten).

Er musste sich am Dienstag, 27. November, wegen zahlreicher Delikte vor dem Landgericht Traunstein verantworten. Die Sechste Strafkammer mit Vorsitzendem Richter Dr. Jürgen Zenkel stellte einen Teil der Vorwürfe ein und verhängte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zweieinhalb Jahre Haft und Unterbringung in der Psychiatrie.

Nur zwei Zuhörer, darunter der Altöttinger Inspektionsleiter Hannes Schneider, interessierte der Prozess - obwohl der Polizeieinsatz damals Aufsehen erregt hatte.

Der 33-Jährige hatte bereits am 13. März 2012 nach einem Anruf in der Notrufzentrale - durch die Freundin wie zwei Monate später - nach einer Selbstmordandrohung Polizeibesuch. Er war betrunken und stand unter Einfluss von Tabletten. Auf dem Küchentisch lag ein langes Brotmesser. Als einer der Beamten den Zutritt zur Küche verwehrte, reagierte der 33-Jährige mit körperlichem Drängen und Beleidigungen. Dieser Teil der Anklage fiel auf Antrag von Staatsanwalt Martin Forster mit Blick auf das Gewicht der übrigen Straftaten unter den Tisch.

Der Vorfall am 13. Mai 2012 mit Schusswaffengebrauch hatte für die betreffenden Beamten keine dienst- oder strafrechtlichen Folgen, wie Inspektionschef Hannes Schneider auf Anfrage unserer Zeitung am Rande des Prozesses informierte. Das Geschehen sei sorgfältig geprüft, kein Fehlverhalten seiner Mitarbeiter festgestellt worden.

Über die Ermittlungen und die Verletzungen des Angeklagten berichtete der polizeiliche Sachbearbeiter im Zeugenstand. Zwei Schüsse seien abgegeben, zwei Projektile und zwei Hülsen, dazu noch sechs verbliebene Patronen in der achtschüssigen Polizeiwaffe gefunden worden sowie Defekte an einer Mauer. Und weiter: „Wir waren überrascht, dass der Angeklagte drei Schussverletzungen und sechs Löcher im Körper aufwies.“ Die Erklärung: Ein Projektil sei in den Unterbauch eingedrungen und oberhalb des Beckenkamms wieder ausgetreten, das andere habe den Oberschenkel des einen und durch die Bewegung des Mannes die Wade des anderen Beins durchschlagen.

Der Zeuge schilderte, der 33-Jährige habe beteuert: „Ich wollte niemand umbringen. Ich wusste nicht, was die Polizei von mir wollte.“ Dass ihm die Beamten eigentlich nur helfen wollten - das verstand er damals nicht.

Der Rumäne legte per Verteidigererklärung ein volles Geständnis ab. Die Vorwürfe seien zutreffend. Die Motivation habe in seinen privaten Problemen gelegen.

Nach einigen Tagen Kreiskrankenhaus folgte Mitte Mai 2012 die vorläufige Unterbringung des 33-Jährigen in einer psychiatrischen Klinik. Der psychiatrische Sachverständige, Dr. Stefan Gerl vom Bezirksklinikum in Gabersee, bescheinigte erheblich verminderte Schuldfähigkeit zur Tatzeit. Der Rumäne, der zeitweise auch in Spanien sowie in seinem Heimatland lebte, leide nach einem Sturz von einem Baum seit dem dritten Lebensjahr unter epileptischen Anfällen. In Deutschland habe er sich nicht wohl gefühlt, sei aber der Liebe wegen hier geblieben.

Am Tattag habe die Freundin versucht, den 33-Jährigen via Telefon zu beruhigen. Plötzlich sei die Polizei gekommen, er mit Pfefferspray besprüht worden, gab der Gutachter den Angeklagten wieder. Die Messer habe er geholt, um sich umzubringen. Der Angeklagte hatte damals knapp 1,9 Promille Alkohol im Blut. Dr. Gerl zu Folge war jedoch die Persönlichkeitsstörung des Rumänen mit instabilen, impulsiven Zügen und „Borderline-Tendenz“ vorrangig bei der Tat. Eine Wiederholungsgefahr sei außerhalb einer geschützten Einrichtung und angesichts der ungelösten Beziehungsprobleme derzeit noch zu bejahen, damit die Voraussetzungen für Unterbringung erfüllt.

Bei der Unterbringung und der Höhe der Strafe herrschte nahezu Einigkeit zwischen Staatsanwalt Martin Forster und den Verteidigern - Manuel Lüdtke aus München und Jörg Zürner aus Mühldorf - sowie der Sechsten Strafkammer im Urteil. Während der Ankläger die Tat „an der Grenze zu einem versuchten Tötungsdelikt“ bezeichnete, wies dies Verteidiger Lüdtke zurück: „Ich stelle mir immer noch die Frage, ob der Schusswaffengebrauch aus zwei Metern Entfernung angebracht war.“

Der Rumäne meinte im „letzten Wort“: „Es tut mir Leid.“

In der Urteilsbegründung unterstrich Vorsitzender Richter Dr. Zenkel: „Die Fuchtelei mit dem Messer war eine versuchte gefährliche Körperverletzung. Das ist strafbar. Das Problem sehen wir aber woanders: Sie sind krank, Sie brauchen ärztliche Hilfe.“ Außerhalb einer geschützten Einrichtung sei die Wiederholungsgefahr sehr hoch. Der 33-Jährige müsse weiterbehandelt werden: „Das wird sich über einige Zeit erstrecken.“

Das Urteil wurde sofort rechtskräftig. Der Angeklagte muss nicht ins Gefängnis, sondern kann direkt seine Therapie antreten.

Altötting