Armut
Zahl der armen Rentner nimmt in Stadt und Landkreis Regensburg dramatisch zu

06.07.2017 | Stand 13.09.2023, 4:00 Uhr

Die Zahl der Rentner, die an ihrem Lebensabend Grundsicherung vom Staat beantragen müssen, ist in den vergangenen Jahren in Stadt und Landkreis Regensburg stark angestiegen.

REGENSBURG Viel Armut hat sie gesehen in ihrer Beratertätigkeit, viele arme alte Menschen, „die ihr Leben lang arbeiteten und denen dann nichts mehr zum Leben geblieben ist“, sagt Helgit Kadlez, Regensburger CSU-Stadträtin und Vorsitzende des Sozialverbandes VdK. „Am allerschlimmsten aber war: Es wurden immer mehr!“ Heute hat die Politik das Thema zumindest aufgegriffen, doch ihr Verband, eine der größten Lobbys für sozial Schwache und Rentner, „hat schon vor fünf Jahren auf das Thema Altersarmut aufmerksam gemacht – passiert ist nichts“, sagt Kadlez.

Da hat sie nicht ganz recht, denn es ist etwas passiert: Immer mehr Rentner in der Stadt Regensburg können von ihrer Rente nicht mehr leben, und das hat zunächst wenig mit den steigenden Lebenshaltungskosten einer „Boomtown“ zu tun. Es hat schlicht etwas damit zu tun, dass immer mehr Menschen mit einem Rentenanspruch ihr Arbeitsleben beenden, der unter dem liegt, was man Existenzminimum liegt. Diese Entwicklung steht im Kontrast zu dem, wie sich die relative Armut allgemein entwickelt, das ergibt sich aus den Zahlen der Behörden. Und: Es ist nicht nur ein Phänomen der Stadt, die Zahlen steigen auch im Landkreis.

Als verlässliche Maßzahl kann man die Zahl derjenigen Rentner betrachten, die die sogenannte Grundsicherung erhalten. Letztlich handelt es sich dabei um Hartz-IV-Leistungen, bei denen der Rentner so viel vom Amt erhält, wie er zum Erreichen des Existenzminimums von derzeit 688 Euro benötigt. Ein sicherer Gratmesser, wie viele Menschen im Alter in Armut leben also.

Und die Tendenz für die Stadt Regensburg ist dabei mehr als eindeutig. Erhielten im Januar 2005 noch 892 Menschen Grundsicherung, waren es im Januar 2006 bereits 1.119, im Januar 2008 schon 1.298 und im August 2012, also letzten Monat, 1.493 Menschen, die ihre Alterseinkünfte auf das Existenzminimum von 688 Euro aufstocken mussten, weil sie sonst nicht überlebt hätten. Etwa die Hälfte dieser Menschen ist in Rente, die andere Hälfte ist behindert und erwerbsunfähig. Doch die Tendenz ist klar: Immer mehr Menschen müssen im Alter zum Amt. Ein reines Stadtphänomen? Offenbar nicht: Auch für den Landkreis Regensburg liegen uns Zahlen vor. Noch 2007 mussten 315 Rentner zum Amt, um Grundsicherung zu beantragen, im Jahr 2012 waren es bereits 346.

Dabei steht diese Entwicklung zeitweise im Kontrast zur Entwicklung einer anderen Leistung, die man auch als Grundsicherung bezeichnet: das, was man Hartz IV nennt, bei dem Langzeitarbeitslose Leistungen beziehen.

Diese Zahl nimmt mal zu, mal ab – je nach Konjunkturlage. Derzeit steigt sie wieder stärker an, nachdem sie im Boom-Zeitraum im Oktober 2011 fast auf ein Allzeittief gefallen ist. Im April 2012 lebten jedenfalls 4.844 sogenannte Bedarfsgemeinschaften in Regensburg – auf dem Höhepunkt des Krisenjahres 2006 waren es noch fast 6.000. Wie viele Menschenschicksale sich dahinter verbergen, kann man an der Fallzahl nicht ablesen – auch eine Familie kann eine „Bedarfsgemeinschaft“ sein. Ein Problem kann man an dieser Relation zwischen Hartz-IV-Empfängern und armen Rentnern schon ablesen: Erstere können von einem Aufschwung profitieren, bei den Rentnern ist dieser Zug quasi schon abgefahren.

Doch die „Bedarfsgemeinschaften“ von Hartz-IV-Beziehern mögen derzeit vom Aufschwung noch profitieren; sie sind andererseits aber auch oftmals sichere Kandidaten für die Grundsicherung später.

Erich Tesar ist Leiter des Sozialamtes der Stadt Regensburg. Er sagt: „Die Tatsache, dass immer mehr Rentner Grundsicherung beantragen hat auch etwas mit der Entwicklung der Erwerbstätigkeit zu tun“, so der Amtsleiter. Immer mehr Menschen würden nicht mehr 40 Jahre am Stück arbeiten, was sich später natürlich in den Rentenzahlungen ausdrücken würde. Laut Tesar „hat auch das Phänomen Zeitarbeit Auswirkungen darauf, wie viel die Menschen später einmal Rente erhalten“. Und zuletzt ist klar, dass die relativ hohe Zahl von fast 5.000 Bedarfsgemeinschaften in Hartz IV auch ein Indikator dafür ist, wie viele Menschen später von ihrer Rente nicht mehr Leben werden können.

Ob überhaupt alle Rentner, die unter dem Existenzminimum Rente beziehen, zum Amt gehen, ist fraglich. Die Grundsicherung für Rentner ist mit Scham belegt. „Viele beantragen das gar nicht, weil sie glauben, dass ihre Kinder dann für sie zahlen müssen oder weil sie sich schämen und noch nie in ihrem Leben etwas von einem Amt wollten“, erzählt die VdK-Vorsitzende Helgit Kadlez. Die Folge: Immer mehr Rentner nehmen im Alter einen Job an und bessern sich so die karge Rente auf.

Auch das hat Kadlez oft erlebt: „Ich muss allerdings gestehen, obwohl es schlimm ist, wenn jemand ein Leben lang arbeitet und dann wenig Rente bekommt, sind mir Menschen begegnet, für die aus der Not eine Tugend wurde“, sagt die Verbraucherschützerin zum Wochenblatt. „Ich habe Rentner erlebt, die haben sich einen Job gesucht und sind aufgeblüht, weil sie das Gefühl hatten, noch gebraucht zu werden.“ Dennoch ist für Kadlez klar: Wer ein Leben lang arbeitet, hat einen Anspruch auf einen würdevollen Lebensabend.

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