Chefarzt
Wenn das Sterben keine Option ist

10.07.2017 | Stand 13.09.2023, 1:49 Uhr
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Im Rahmen der Reihe InKOGnito im Museum Ostdeutsche Galerie sprachen wir mit Prof. Jan Braess, Ärztlicher Direktor der Barmherzigen Brüder Regensburg.

REGENSBURG Sprechen über Kunst: Das Wochenblatt präsentiert die Reihe „InKOGnito“ in der Ostdeutschen Galerie. Im vorerst letzten Vortrag von Menschen, die aus den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft kommen und in der Ostdeutschen über Kunst sprechen, ist Chefarzt Jan Braess am Donnerstag, 10. November, zum Thema „Neue Sachlichkeit“ im Museum. Den Ärztlichen Direktor der Barmherzigen Brüder, ein Onkologe und Hämatologe, trafen wir vorab zum Interview.

Wochenblatt: Wie kamen Sie denn zur Neuen Sachlichkeit?

Braess: Es gab hier eine sehr schöne Ausstellung, „Messerscharf und detailverliebt“. So bin ich mit Agnes Tieze, der Leiterin der Ostdeutschen Galerie, ins Gespräch gekommen.

Als Naturwissenschaftler fühlt man sich wahrscheinlich mit der Neuen Sachlichkeit vertrauter als mit anderen Stilrichtungen.

Natürlich bringt die Neue Sachlichkeit auch bei eher nüchternen Wissenschaftlern etwas zum Klingen.

Hat Kunst etwas Heilendes?

Kunst wird oft therapeutisch eingesetzt. Erstens kann Kunst einem kranken Menschen in einer nüchternen Umwelt eine neue Perspektive geben. Wir haben bei den Barmherzigen Brüdern beispielsweise keinen Monat ohne eine Ausstellung. Zweitens ist für manche Menschen Kunst etwas, das Krankheitsbewältigung erleichtert. In der Onkologie setzen wir bei der Krebsbehandlung beispielsweise oft die Maltherapie ein. Allerdings wird die Maltherapie nicht so häufig eingesetzt wie die Musiktherapie.

Ist das wirklich relevant im Alltag der Medizin?

Wenn wir die harten Fakten heranziehen, können wir nicht belegen, dass die Beschäftigung mit Kunst oder Musik lebensverlängernd ist. Aber es gibt durchaus andere Aspekte, beispielsweise die frühe palliativ-medizinische Betreuung, von der wir klar wissen, dass dies unmittelbar zu einer besseren Lebensqualität führt. Auch die Schreibtherapie ist übrigens eine Möglichkeit.

Befördert Kunst auch die Lebensqualität des Arztes, der in der Regel ja wenig Zeit für Muse hat?

Vielleicht war das in den früheren Ärzte-Generationen noch verbreiteter. In dem Maße, wie die Spezialisierungen ausgefeilter werden und der Spezialist und der Techniker gefragt sind, verändert das auch die Herangehensweise an die Kunst. Übrigens hat man hier viele Schnittpunkte dieser Entwicklung mit der Neuen Sachlichkeit: Der Arzt als Techniker, der thematisiert wird.

Die Zeit der Neuen Sachlichkeit ist ja auch in der Wissenschaft spannend. Penicillin wird entdeckt, Insulin, eine Impfung gegen Tuberkulose. Glauben Sie, dass sich die Entwicklung der Wissenschaft hier in der Kunst widerspiegelt?

Medizin wird Naturwissenschaft sein, oder sie wird nicht sein. Der Arzt vor 1800 oder 1850 war letztlich eine Witzfigur, die in unterschiedlichsten Kontexten auch so dargestellt wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Diagnostik genauer. Der reale Nutzen des Handwerkers aber, des Chirurgen, der war unbestritten. Die konservative internistische Medizin hatte kaum eine Bedeutung. Das änderte sich in gewaltigen Schritten durch die Implementierung der Antibiotika-Therapie.

Sie sehen in Ihrem Beruf sicher auch sehr viel Leid. Es gibt dichtende Ärzte wie Gottfried Benn, der dieses Leid auch thematisierte.

Gottfried Benn bringt eine Perspektive auf Leid, wenn er Mann und Frau in der Krebsbaracke beschreibt, die sehr realistisch ist. Aber man darf nicht vergessen, dass das nur eine Art der Perspektive darauf ist. Man könnte auch darstellen, wie geheilt wird.

Die Schaffensphase der Neuen Sachlichkeit, als auch in der Medizin endet im Dritten Reich. Kunst geht in Richtung Blut und Boden, auch Ärzte haben sich schuldig gemacht im Dritten Reich. Ist das aufgearbeitet?

Es ist tatsächlich etwas, das in den großen Fachgesellschaften erst in den letzten fünf Jahren aufgegriffen wird. Ich kann das nur aus meinem Bereich der Blut- und Krebserkrankungen sagen. Hans Hirschfeld war in der Zeit vor dem Dritten Reich der Mann schlechthin. Man muss sich vorstellen: Etwa ein Drittel aller Ärzte waren jüdischen Ursprungs. Hirschfeld wurde zweimal vernichtet: Einmal in Buchenwald, zum zweiten Mal aber, als seine sogenannten arischen Schüler seine Bücher weiterführten und sich seine Verdienste zu Eigen gemacht haben. Offenbar müssen die Leute erst verstorben sein, damit das Unrecht aufgearbeitet wird. Übrigens arbeiten die Fachgesellschaften auch das Unrecht der Medizin in der DDR nicht auf. Da redet niemand, Unterlagen sind nicht zugänglich.

In dem Fall ist es eine historische Grenze, aber kommen Sie auch als Mediziner an Grenzen?

Natürlich, bei uns in der Onkologie sind Grenzen manchmal sehr schnell erreicht. Aber ich versuche, den Mitarbeitern und Ärzten an die Hand zu geben, dass man heilt, wo es geht, aber immer hilft. Auch bei Tumorerkrankungen bei Menschen, bei denen man keine Therapie mehr betreiben sollte, schauen wir, warum es ihnen aus bestimmten Gründen schlechter geht als noch vor ein paar Tagen. Und hier können wir ihnen natürlich helfen.

Kunst hat sich früher mit der eigenen Endlichkeit auseinandergesetzt, heute hat man das Gefühl, alles soll möglich sein. Sehen Sie das auch in der Medizin?

Wenn ich ehrlich bin, ist das in Regensburg ein geringeres Problem als in München. In Großhadern sammeln sich Ärzte, Patienten und Angehörige, bei denen Sterben keine Option ist. Ich nenne das US-Denke. Die Limits sind weiter da. An den Rändern wird immer gearbeitet, natürlich. Aber diese Denke macht es für die Patienten, für die Angehörigen, oft auch für die Ärzte sehr schwer. Das habe ich hier anders empfunden, vielleicht auch, weil es ein konfessionelles Krankenhaus ist.

Vielen Dank. 

Regensburg