20-Jährige belastete Angeklagte im Traunsteiner Prozess
Schneewittchen” und die Hells Angels

04.07.2017 | Stand 27.07.2023, 9:25 Uhr

Im Traunsteiner Hells Angels-Prozess belastete ein 20-jähriges Hobby-Model die Angeklagten im Prozeß um einen Raubüberfall in Reit im Winkl.

REIT IM WINKL Mit einem „Sonnensystem“ verglich die 20-jährige Praktikantin aus der Ex-DDR die Beziehungen der mutmaßlichen Tatbeteiligten an einem gemeinschaftlichen versuchten schweren Raub mit gefährlicher Körperverletzung an einem 54-jährigen rumänischen Ingenieur in Reit im Winkl. Drei Angeklagte aus dem Raum Koblenz müssen sich derzeit vor der Sechsten Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzendem Richter Werner Gruben verantworten. Im Zentrum des Systems stand nach Worten der Zeugin ein 61-jähriger Zahnarzt aus Kaisersesch, der von dem Rumänen einen riesigen Geldbetrag aus einem Aktiendeal zurückhaben wollte. Zum System gehörte demnach auch ein 43-jähriger Model-Agent, mit dem die 20-Jährige jahrelang liiert war. Zu dessen „Leuten“ wiederum zählten mehrere Hobbydetektive und einige „Schläger“. Einer von letzteren soll der dritte Angeklagte, ein 45-jähriger Karosseriebauer, gewesen sein. Die 20-Jährige, ein bildhübsches Hobby-Model mit hüftlangen dunklen Haaren vom Typ „Schneewittchen”, hatte in früheren Vernehmungen sowie am fünften Prozesstag die Angeklagten und weitere Personen, gegen die noch Ermittlungen laufen, erheblich belastet. Die Anklageschrift der Staatsanwälte stützt sich weitgehend auf diese Zeugin. Sie hatte ihren damaligen Freund und Agenten auf zahlreichen Reisen und Besprechungen begleitet. Die junge Frau mit Abitur bekam vieles mit, lernte einige der vorgeblichen Tatbeteiligten persönlich kennen. Sie hatte ausgesagt, der Zahnarzt habe „die Fäden in der Hand gehalten“, sei „im Mittelpunkt“ gestanden. Diese Feststellung bekräftigte sie am Dienstag nochmals, als sie der Verteidiger des 61-Jährigen, Dr. Bernd Wagner aus Hamburg, quasi ins Kreuzverhör nahm. Zweieinhalb Stunden stand die Hauptbelastungszeugin dem Anwalt Rede und Antwort, bewies dabei gutes Erinnerungsvermögen an viele Details. Einmal brach sie in Tränen aus: als Dr. Wagner pikante Fotos des vorbestraften Model-Agenten von jungen Mädchen anschnitt. Er habe auch sie fotografiert, schluchzte die Zeugin. Nach einer Erholungspause schilderte die 20-Jährige weiter in äußerst gewählten Worten die Ereignisse im Vorfeld und nach der angeklagten Tat. Konkret sollen zwei Schläger aus der Hell-Angels-Rockerszene, darunter der 45-jährige Karosseriebauer, den in den Wochen zuvor von mehreren Personen ausgespähten 54-jährigen Rumänen am 21. August 2009 im Hof einer Pension in Reit im Winkl überfallen, geschlagen und durch Reizgas in die Augen verletzt haben. Laut Anklage sollen sie es auf dessen PKW Porsche Cayenne mit erst 10.000 Kilometern auf dem Tacho und auf Bargeld abgesehen haben. Die Täter flüchteten allerdings ohne Beute von dem Parkplatz der Pension, die dem Rumänen gehört und von dessen Tochter betrieben wird. Drahtzieher soll der 61-jährige Zahnarzt gewesen sein, der sich aus einem von dem 54-Jährigen im Jahr 2000 eingefädelten Geschäft mit Aktien eines rumänischen Unternehmens um Millionen betrogen gefühlt haben soll, Der Zahnarzt soll den Model-Agenten angeheuert haben – mit dem Versprechen auf zehn Prozent des gewaltsam eingetriebenen Betrags. Die 20-Jährige umriss, auch auf Fragen weiterer Verteidiger, eine seltsame Atmosphäre zwischen dem 61-Jährigen und dem 43-Jährigen – mit gegenseitigem Misstrauen zwischen den alten Bekannten, mit ständiger Geldnot des Model-Agenten, mit beiderseitiger Angst vor der Polizei, mit konspirativen Treffen, mit der Geschichte um die vorgeblichen kriminellen Machenschaften des Rumänen, die über wichtige deutsche Medien an die große Glocke gehängt werden sollte – um den Rumänen zur Zahlung an den Zahnarzt zu zwingen.

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