Schießerei
Schießerei in Unterföhring: Ich wusste nicht, ob er uns abknallt

12.07.2017 | Stand 21.07.2023, 9:16 Uhr
−Foto: n/a

Ein geistig verwirrter Mann schießt einer Polizistin am Bahnsteig in den Kopf. Wochenblatt-Mitarbeiterin Alwine März sitzt in der S-Bahn und bangt um ihr Leben.

UNTERFÖHRING Am 13. Juni schoss ein geistig verwirrter Mann an der S-Bahn-Station in Unterföhring einer Polizistin in den Kopf und ballerte dann wahllos auf Passanten, bis das Magazin leer war. Dabei traf er zwei Fahrgäste, die gerade aus der S-Bahn gestiegen waren. In dieser S-Bahn saß die Wochenblatt-Mitarbeiterin Alwine März. Sie erinnert sich an die schrecklichsten Momente ihres Lebens: Vor Kurzem hat sich mein Leben komplett verändert: Mit 26 Jahren beendete ich mein Studium, nahm eine Stelle in Unterföhring an und zog aus der Provinz in die Großstadt München. Ich habe mich riesig auf diesen neuen Lebensabschnitt gefreut und fühlte mich wie in einer Seifenblase voller Träume und Zukunftsgedanken. Doch diese Seifenblase zerplatzte am 13. Juni 2017 gegen 8.40 Uhr.

Wie jeden Morgen nahm ich auch an diesem Tag am Münchener Hauptbahnhof die S8 Richtung Flughafen. Mir gegenüber saß ein asiatisches Paar mittleren Alters, voll beladen mit Koffern. Neben mir ein Mann Mitte 30. Ich hatte einen Fenstersitz, die Sonne schien mir ins Gesicht und ich setzte mir, wie immer, meine Kopfhörer auf, um während der 25-minütigen Fahrt zu entspannen. Ich ahnte nichts von dem Horror, den ich erleben sollte. Gerade als die S-Bahn in Unterföhring anhielt und ich aussteigen wollte, hörte ich zwei Schüsse und sah, wie die Menschen auf dem Bahnsteig zu laufen begannen.

Ich war komplett in Schockstarre, als plötzlich jemand schrie: „Ihr müsst euch alle ducken.“ Ich ließ mich also zu Boden sinken und versuchte mich unter den Sitzen zu verstecken. Dort saß ich zusammengekauert da und versuchte Arme und Beine so weit es ging an meinen Körper zu pressen. Vorsichtig blickte ich durch das Fenstern in Richtung Bahnsteig. Ich wollte wissen, was da passiert.

Ich kauerte, betete und dachte an meine Familie

Schon seltsam, wie schnell man in eine so gefährliche Situation kommen kann. Ich wundere mich noch immer über meine Reaktion: Ich war ruhig, musste nicht weinen, nicht schreien. Auch die anderen Fahrgäste blieben erstaunlich ruhig. Ich kauerte und betete. Dabei dachte ich an meine Familie und Freunde, wie traurig sie sein würden, wenn ich hier niedergeschossen werde. Meine zwei Neffen und Nichten würde ich nicht mehr aufwachsen sehen.

Das Schlimmste an der Situation war, dass ich da am Boden liegend nicht wusste, ob der Täter in die S-Bahn stürmt und uns alle einfach abknallt. Keiner wusste, ob die Türen verschlossen sind oder nicht. Keiner verstand, wieso der Schaffner nicht einfach weiterfuhr. War der Täter etwa schon in der Bahn? Gibt es Tote? Überlebe ich diesen Tag?

Ich war verwirrt und fühlte mich wie in Trance. Ich wollte nicht sterben und schon gar nicht auf so eine Art und Weise. Mein Leben hat doch jetzt erst so richtig begonnen. Es kann mir doch nicht einfach so grausam genommen werden. Die Frau neben mir fing an zu weinen und klammerte sich an ihren Ehemann, versuchte seinen Kopf mit ihren Händen zu schützen.

Nach Minuten der Ungewissheit, wagten sich einige aus ihren Verstecken und warfen einen vorsichtigen Blick nach draußen. Jemand schrie: „Die Polizei ist bereits da. Ihr braucht keine Angst mehr zu haben.“ Die Türen öffneten sich und die ersten Handys wurden gezückt. Schließlich muss ja alles dokumentiert werden ...

Ich blieb am Boden. Wer weiß, ob der Täter nicht genau darauf gewartet hat und dann gezielt auf uns schießt? Ich musste an den Vorfall im Olympia Einkaufszentrum denken. Auch dort sind die Menschen losgerannt und wurden von den Schüssen des Schützen getroffen. Irgendwann ermutigten mich dann aber die anderen, aufzustehen. Ich sah am Bahnsteig einen älteren Mann mit einem verwundeten Bein auf dem Boden liegen. Einige Leute versuchten ihm zu helfen. Vom Täter keine Spur mehr.

Ich ging in der S-Bahn auf und ab. Immer mehr Leute begannen zu weinen. Ich war unentschlossen, was ich tun sollte. Plötzlich strömte eine ganze Menschenschar aus der S-Bahn und ich flüchtete mit der Menge.

Auf dem Weg zum Büro rief ich schluchzend meine Mutter an, die natürlich selbst schockiert war. Ich blickte mich immer wieder um. Die Angst, der Täter könnte sich in irgendeinem Gebüsch verstecken, war weiterhin da. Ich hörte Polizeisirenen und Hubschrauberknattern, sah verängstigte Menschen ... und lief einfach nur noch und kam glücklicherweise unversehrt im Büro an.

Kollegen nahmen mich in den Arm

Meine ganzen Emotionen brachen aus mir heraus, als mich die besorgten Kollegen in den Arm nahmen. Ich zitterte noch immer am ganzen Körper und konnte nicht fassen, was ich da gerade miterleben musste.

Mittlerweile sind ein paar Tage vergangen. Der Täter ist gefasst, die Polizistin schwebt weiterhin in Lebensgefahr. Ich denke oft an sie. Ich bin überzeugt, sie hat mit dem Schuss auf den Täter noch Schlimmeres verhindert. Wer weiß, was er mit der restlichen Munition gemacht hätte, wenn er nicht verletzt worden wäre?

Wenn ich jetzt in die S-Bahn steige, suche ich mir schon vorher ein mögliches Versteck. Ich trage keine Kopfhörer mehr und beobachte ganz bewusst, was um mich herum passiert. Huschen Leute schnell an mir vorbei, zucke ich zusammen ... aber ich weiß, das wird sich mit der Zeit legen. Denn einschüchtern lassen möchte ich mich von solch grausamen Menschen nicht! Ich lebe weiter mein Leben und blicke voller Zuversicht in die Zukunft!