Firmen fehlt Klarheit
Risiken durch ungeregelten Brexit steigen – IHK fordert Planungssicherheit

01.12.2020 | Stand 24.07.2023, 21:09 Uhr
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Mit zunehmender Unsicherheit und Ungeduld betrachtet die bayerische Wirtschaft das Ende der Übergangsfrist zwischen der EU und Großbritannien zum Ende des Jahres.

Regensburg. Eine aktuelle Umfrage des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages (BIHK) zeigt, dass aufgrund der unklaren Lage bisher fast die Hälfte (46 Prozent) der befragten bayerischen Unternehmen vergeblich versucht hat, sich auf die Zeit nach dem vollständigen Brexit vorzubereiten.

„Welche Regeln ab dem 1. Januar 2021 für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien gelten, ist derzeit mangels Verhandlungsfortschritten komplett offen. Die Übergangsphase seit dem offiziellen Brexit am 1. Februar 2020 ist bisher ergebnislos verstrichen“, betont Dr. Jürgen Helmes, Hauptgeschäftsführer der IHK Regensburg für Oberpfalz/Kelheim, und fordert eine pragmatische und zügige Einigung über Grundlagen eines Freihandelsabkommens. „Die regionale Wirtschaft braucht freie Bahn für den Waren- und Dienstleistungsverkehr in beide Richtungen.“ Eine möglichst enge Anbindung Großbritanniens an die EU ohne Zölle oder andere Handelshemmnisse sei von großer Bedeutung.

Großzügige Übergangsregelungen nötig

Die größten Risiken sehen laut Umfrage rund 80 Prozent der Unternehmen bei den ausstehenden Regeln zu Warenverkehr, Grenzkontrollen und Zollbürokratie. Ohne Handelsabkommen würden für den Warenverkehr mit Großbritannien Regeln wie mit einem Drittstaat außerhalb der EU gelten, darunter viele zollrechtliche Vorschriften und auch Zölle, die im EU-Binnenmarkt generell abgeschafft sind. Ein weiteres Problem für die Firmen ist die fehlende langfristige Rechtssicherheit für ihre weiteren Geschäfte in Großbritannien. Nach Ausscheiden aus dem EU-Regelwerk kann sich der Rechtsrahmen im Königreich, etwa beim Datenschutz und Steuerrecht, laufend ändern. Diese Unsicherheit sieht die Hälfte der befragten bayerischen Unternehmen als Risiko an. Großzügige Übergangsregelungen seien notwendig. Ähnlich sei die Situation bei Standards und Normen, sagt Dominique Mommers, IHK-Abteilungsleiterin International: „Ohne Übergangsregelungen in diesem Bereich können etwa Medizingerätehersteller aus der EU den britischen Markt ohne dort langwierig zu erreichende Produktzulassungen nicht mehr beliefern.“ Dieser technische Marktzugang sei für rund ein Viertel der befragten Unternehmen existenziell für ihr Großbritannien-Geschäft.

Enge Geschäftsbeziehungen

Im Wirtschaftsraum Oberpfalz-Kelheim pflegen mehr als 270 Unternehmen enge Geschäftsbeziehungen mit Großbritannien. Fast 40 Unternehmen sind mit eigenen Auslandsrepräsentanzen vor Ort aktiv. Mehr als 30 Firmen betreiben im Vereinigten Königreich eine eigene Niederlassung. Besonders eng mit Großbritannien verflochtene Branchen haben ihren Schwerpunkt in der Herstellung von elektronischen Bauelementen und Metallerzeugnissen sowie im Maschinenbau.

Die Wirtschaft im Freistaat unterhält nach Angaben der bayerischen IHKs rund 460 Niederlassungen in Großbritannien. Diese beschäftigen rund 70.000 Mitarbeiter, die einen jährlichen Umsatz von 42 Milliarden Euro erwirtschaften. Britische Unternehmen haben in Bayern 273 Niederlassungen und beschäftigen rund 45.000 Mitarbeiter. Sie erzielen hier Umsätze in Höhe von rund 29 Milliarden Euro.

Exporte auf die Insel sinken

War Großbritannien vor dem Brexit im Jahr 2015 noch Bayerns zweitwichtigster Exportmarkt, liegt es im aktuellsten Jahresranking 2019 nur noch auf Platz sechs mit einem Exportvolumen von 12,5 Milliarden Euro. 2019 gingen damit 6,6 Prozent aller bayerischen Exporte auf die Insel. Von Januar bis September 2020 sanken die bayerischen Ausfuhren nach Großbritannien im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum noch einmal um 22,8 Prozent – deutlich mehr als das Corona-bedingte Gesamtminus von 14,8 Prozent in Bayerns Exportbilanz.

Die IHK Regensburg für Oberpfalz/Kelheim empfiehlt ihren Mitgliedsunternehmen, die Zeit bis Ende des Jahres für weitere Vorkehrungen zu nutzen und stellt dafür umfangreiches Online-Informationsmaterial sowie Beratungsangebote zur Verfügung. „Denn selbst bei einem positiven Abschluss der Verhandlungen können ab Januar 2021 zollrechtliche Vorschriften für den Warenverkehr zum Zuge kommen, mit denen viele bislang nur im EU-Binnenmarkt tätige Unternehmen keinerlei Erfahrungen haben“, so Mommers

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