Bloß eine Watsch´n?
Mutter landet wegen Ohrfeigen vor Gericht

11.07.2017 | Stand 13.09.2023, 0:41 Uhr
−Foto: n/a

Weil er ins Bett sollte, ist der Fünfjährige völlig ausgetickt. Die Mutter verlor die Nerven und schlug zu

ALTÖTTING „Ich hätte nie gedacht, dass ich mit so was in die Zeitung komme“, wundert sich die junge Mutter vor Beginn der Verhandlung am Amtsgericht Altötting über die Anwesenheit von Pressevertretern. Wundern werden sich wohl auch viele Leser, dass man wegen „ein paar Watsch´n“ vor Gericht landen kann. Aber Richter Markus Andrä ließ von Beginn an keinen Zweifel daran: „Sein Kind zu schlagen ist ein absolutes No-Go“, begründete er, weshalb es zu dem Strafbefehl gegen die junge Mutter gekommen war. Sie hatte am Abend des 7. Juli vergangenen Jahres ihrem damals fünfjährigen Sohn mehrmals mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Der Junge erlitt dadurch nicht nur Schmerzen, sondern auch eine Rötung der Wange. Wegen des besonderen öffentlichen Interesses hatte die Staatsanwaltschaft zu dem von Nachbarn angezeigten Vorfall einen Strafbefehl wegen vorsätzlicher Körperverletzung erlassen.

Da die junge Frau dagegen Einspruch eingelegt hatte, musste sie nun vor dem Amtsgericht erscheinen. Ganz allein, ohne Anwalt, nahm sie auf der Anklagebank Platz und räumte unumwunden ein: „Es ist, wie es ist. Ich würde es gern ungeschehen machen.“ Vor allem aber wünsche sie sich, dass man ihr die Strafe erlasse, da sie ohnehin schon Schulden habe und befürchte, es noch schwerer zu haben, ihr Leben in geordnete Bahnen zu lenken. Wie es dazu kam, dass sie sich an jenem Sommerabend zu den Ohrfeigen hatte hinreißen lassen, schilderte die zierliche Frau so: „Ich wollte meinen Sohn ins Bett bringen. Da ist er völlig ausgeflippt und hat gesagt ,Mama, ich wünschte, Du stirbst!‘ Da habe ich zugeschlagen. Ich weiß, das war Scheiße, aber ich bin auch nur ein Mensch.“

Überfordert und allein mit „anstrengenden Kindern“

Wie die Frau erzählte, war sie schon lange mit ihren beiden Kindern überfordert, die sie als „sehr anstrengend“ bezeichnete. So war ihr Sohn ein Schreikind: „Ich habe schon beim Jugendamt um Hilfe gebeten, habe Angebote von der Erziehungsberatung und dem Haus der Familie in Anspruch genommen. Aber ich war in den letzten sieben Jahren immer alleine für meine Kinder zuständig. Ich habe mich immer mehr zurückgezogen und nur noch versucht zu funktionieren.“ Mittlerweile aber sei sie psychisch wieder stabiler und habe ihr Leben – auch dank einer neuen Beziehung – wieder auf die Reihe gekriegt. Unter Tränen sagte sie: „Ich habe viel geschafft. Ich habe mir Hilfe gesucht und ein Netzwerk aufgebaut.“ Auf Nachfrage des Richters erklärte sie, dass sie aufgrund einer Kurzschlussreaktion, als sie ihre Kinder aus einem Aufenthalt in der Psychosomatik spontan abgeholt hat, das Sorgerecht für ihre Kinder verloren habe. Beide leben derzeit bei einer Pflegefamilie. Allerdings erwarte sie in Kürze ein Gutachten, das entscheidend für die Rückkehr der Kinder nach Hause sei: „Die begleiteten Umgänge mit den beiden laufen gut. Ich liebe meine Kinder und die zwei wollen auch endlich wieder heim.“

Die junge Mutter, die selbst eine schwierige Kindheit durchlebt und massive Gewalterfahrungen gemacht hat, versicherte: „So etwas wird mir nicht mehr passieren. Ich habe es begriffen und auf die harte Tour gelernt.“ Richter Markus Andrä verwies darauf, dass ihre eigene, von einer dicken Akte des Jugendamtes bezeugte Geschichte bewegend sei, aber nichts an der Sache ändere: „Was Sie erleiden mussten, ist keine Rechtfertigung, mit den eigenen Kindern so umzugehen.“ Für Kinder habe man Verantwortung und insofern gäbe es keinen Unterschied zu anderen Alleinerziehenden. Ausführlich erklärte Andrä der Beschuldigten, dass ein Tagessatz von 15 Euro dem Standardsatz für Hartz4 entspreche und bei 90 Tagessätzen kein Eintrag ins Bundeszentralregister erfolge: „Der Strafbefehl für gleich gelagerte Fälle fällt üblicherweise höher aus und es sieht nicht danach aus, dass Sie billiger wegkommen, wenn Sie das Urteil anfechten.“ Der Richter empfahl der Frau, das „Friedensangebot“ der Staatsanwaltschaft anzunehmen, was diese auch tat. Sie zog ihren Einspruch zurück und bekam von der Staatsanwältin noch einen Rat mit auf den Weg: „Nehmen Sie das als Denkzettel, denn wenn wieder so etwas passiert, dann scheppert´s total!“

Sehr kontrovers wurde auf Wochenblatt Facebook die Frage diskutiert, ob eine „Watsch´n“ akzeptabel ist oder ein absolutes No-Go. Die Ohrfeige ist in unserer Gesellschaft offenkundig kein Relikt veralteter Erziehungsmethoden, wie die nebenstehenden Ansichten verdeutlichen. Und ob die öffentlich zur Schau gestellte Entrüstung sich in jedem Fall auch im trauten Heim so dokumentiert, darf zumindest bezweifelt werden. Zu der Facebook-Diskussion bezieht die junge Mutter wie folgt Stellung: „Ich war schockiert über die Kommentare. ,A Watsch´n hod no koam gschod, aber kleine Kinder schlägt man nicht!‘ Gewalt ist immer schlecht, egal ob groß oder klein. Und dass es schadet, merkt man erst, wenn man als Eltern selbst in einer Situation steckt, die einen überfordert.“

Altötting