Anthony aus Nigeria hat einen Traum
Mit dem Rennrad in ein besseres Leben

11.07.2017 | Stand 13.09.2023, 6:21 Uhr
−Foto: n/a

Mit seinem Bike erkundet Anthony die Region, in der er mit seiner Familie gern leben möchte

BURGHAUSEN Wie aus dem Ei gepellt schwingt er sich auf sein rotes Rennrad: Das schwarz-weiße Radler-Outfit sitzt perfekt und der leuchtend rote Sturzhelm glänzt: Wenn Anthony Egberanmwen fast täglich zig Kilometer durch den Landkreis radelt, dann träumt er seinen ganz großen Traum: Der 22-Jährige möchte Rennradprofi werden. Noch nie in seinem Leben war der Nigerianer diesem Traum so nahe: „Seit meiner Kindheit habe ich Freude an Bewegung, wobei mir Fahrradfahren immer das allerliebste war.“ 2014 beschloss der junge Mann, seine Heimat Nigeria zu verlassen, um sich in Europa ein besseres Leben aufzubauen.

Radsportbegeisterung begann in Italien

Seine erste Zwischenstation in Europa war Italien – und in diesem radsportbegeisterten Land war´s um ihn geschehen: „Als ich die Rennfahrer auf ihren tollen Bikes sah, wusste ich: Das ist es. Das will ich auch“, erinnert sich Anthony, der in seiner Heimat als Maler gearbeitet hat. Er sparte sich ein Rennrad zusammen und begann zu trainieren: „Bei meinen Trainingsfahrten hat mich ein Mann angesprochen, der meinte, ich hätte gute Anlagen, doch bevor er mich mit Radsportvereinen in Kontakt bringen konnte, lief meine Aufenthaltsgenehmigung ab und ich musste Italien verlassen.“

Mit seinem größten Schatz, seinem Rennrad, bestieg Anthony 2015 einen Zug Richtung Deutschland. Doch bereits in Rosenheim endete seine Reise: „Ich wurde von den Beamten aus dem Zug geholt und bekam keine Möglichkeit, mein Rad mitzunehmen. Man gab mir eine Bescheinigung, mit der ich mein Bike abholen könnte.“ Der Nigerianer kam in eine Asylbewerberunterkunft in München, aber alle Bemühungen, sein Rad zurückzubekommen, waren vergeblich.

Das Schicksal meinte es dennoch gut mit dem jungen Asylbewerber: Er lernte im Lager seine Frau Tina kennen, die beiden wurden Eltern eines bezaubernden Zwillingspaares – und die Vier kamen im Juli 2016 in die neu gebaute Unterkunft für Asylbewerber im Burghauser Gewerbegebiet Lindach. Der Leiter der Unterkunft, Thomas Viebig, kann sich noch gut an die Ankunft der Familie erinnern: „Sie waren unsere ersten Bewohner und wir haben sie sofort ins Herz geschlossen.“ Er weiß auch noch: „Was sich quasi vor unserer Haustür befindet, ließ Anthonys Augen strahlen: das Funsport- und Bikecenter. Da musste ich gleich in den ersten Tagen mit ihm hingehen“, erzählt er schmunzelnd.

So manchen bayerischen Berg bezwungen

Sein Schützling hat ihn in den vergangenen Monaten mit seiner Zielstrebigkeit beeindruckt: „Anthony ist ein liebevoller Familienvater, er ist offen und freundlich und er geht sparsam mit seinem Geld um“, stellt Thomas Viebig fest. So konnte der radsportbegeisterte Nigerianer schließlich als Kunde ins benachbarte Funsport- und Bikecenter gehen, und sich Rennrad und Ausstattung kaufen. Seitdem radelt er fast täglich los, um zu trainieren. „Ich habe schon so manchen bayerischen Berg mit dem Bike bezwungen“, ist der drahtige Mann stolz. Nur wenn es draußen zu kalt ist, bevorzugt er das Training in dem kleinen Wohnbereich der Familie, wo das Rennrad sicher verwahrt und zum Indoor-Training in einem Gestell arretiert wird.

Bei seinen Trainingsfahrten hat Anthony aber auch Augen für die Landschaft und die Orte: „Hier ist ein sehr guter, sehr schöner Platz zum Leben und auch die Leute sind so freundlich. In Italien habe ich mich oft allein und verloren gefühlt, aber hier hat man uns herzlich aufgenommen und die Leute kümmern sich um uns“, ist Anthony glücklich. Um seinen Traum von einem guten Leben erfüllen zu können, lernt er Deutsch und hofft, eine Anstellung als Maler zu finden, wobei ihm klar ist, dass er dafür wohl noch einmal eine Lehre absolvieren muss.

Radsport-Profi würde er zwar immer noch gern werden, aber er weiß: „Dafür bräuchte ich Sponsoren, denn ein professionelles Training, die optimale Ernährung und die teure Ausstattung kann ich mir nicht leisten.“ Aber Anthony hat Anschluss gefunden im Radsportverein Pfeil Neuötting: „Im Winter haben wir in der Halle Indoor-Training gemacht und der Verein bemüht sich derzeit um eine Lizenz, damit ich an Wettkämpfen teilnehmen kann“, freut sich Anthony.

Unterstützung vom Radverein Pfeil Neuötting

Die Lizenz, so bestätigt der Vereinsvorsitzende Dr. Frank Hesselbarth, sollte in den nächsten Tagen eintreffen: „Dann kann Anthony in der C-Klasse der Amateure an den Start gehen.“ Die Möglichkeiten des Neuöttinger Radsportvereins, Anthony auf seinem sportlichen Werdegang zu unterstützen, sind allerdings begrenzt: „Wir haben ihm kostenlos seine Mitgliedschaft überlassen und übernehmen auch die Kosten für seine Lizenz. Aber anders als früher legen wir im Verein heute einen Schwerpunkt auf die Jugendarbeit im Mountainbiking. Ansonsten sind unsere Mitglieder eher ältere Semester, was für Anthony bei unseren Ausfahrten natürlich eine Unterforderung ist. Dass er Talent hat, kann ich ihm nicht absprechen. Man sieht schon, dass er wie ein geübter Rennfahrer auf dem Rad sitzt.“

„Selbst wenn Anthony den Aufstieg in die Amateurklasse A schafft und auch dort noch Spitzenplatzierungen erreicht, dürfte der Sprung in ein Profiteam schwierig werden. Und auch in einem kleinen drittklassigen Profiteam kann man meist nur gerade genug zum Leben verdienen“, bleibt Dr. Hesselbarth realistisch. Und er merkt an: „Heute zählt halt vor allem der Fußball. Es gibt zwar Amateurvereine in der weiteren Region, z.B. in Landshut, Waldkraiburg oder Pfarrkirchen, aber auch in diesen Amateurteams müssen die Fahrer ihre Kosten zu einem Großteil selbst tragen.“ Dass allerdings wird Anthony nicht davon abhalten, sich auf sein Bike zu schwingen und in die Pedale zu treten ...

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