Neufahrner Reinigungskraft zu knapp fünf Jahren verurteilt
Landsleute ausgeraubt: Im Gerichtssaal verhaftet

11.07.2017 | Stand 21.07.2023, 0:14 Uhr
−Foto: n/a

Das war ein Paukenschlag: Die 1. Strafkammer beim Landgericht Landshut verurteilte den 47-jährigen Ömer I. aus Neufahrn wegen zwei Fällen des schweren Raubes jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten. Noch im Gerichtssaal klickten dann die Handschellen.

NEUFAHRN / LANDSHUT Wie mehrfach berichtet, hatte die Anklage dem 47-jährigen Türken, der zuletzt als Reinigungskraft arbeitslos geworden war, vorgeworfen, bereits im Dezember 2012 seinen Landsmann und Lkw-Fahrer Yusuf E. auf einem Firmengelände in Garching angesprochen, ihn auf einen Kaffee in eine nahe Tankstelle eingeladen zu haben und ihm mit dem Getränk ein Medikament mit dem Wirkstoff Oxazepam verabreicht zu haben. Zurück an seinem Lkw habe der Fahrer das Bewusstsein verloren, die Reinigungskraft das genutzt, um ihn um 700 Euro und ein Handy zu erleichtern.

Besonders schlimm an diesem Fall: Der Lkw-Fahrer wachte in den frühen Morgenstunden auf, setzte sich - offenbar immer noch völlig verwirrt und ohne ersichtlichen Grund - ans Steuer seines Brummis, baute kurz darauf auf der B 11 einen schweren Unfall, bei dem Sachschaden in Höhe von rund 50.000 Euro entstand.

Der zweite Fall spielte sich am 30. August 2014 auf dem Parkplatz des BMW-Geländes in Eching ab: Da sprach der 47-Jährige Landsmann Cemaletin K. (59) an, nahm ihn in ein Spielcasino mit und mischte ihm dort wieder Oxazepam in den Kaffee, um ihm dann später etwa 400 Euro Bargeld und zwei Handys zu stehlen.

Zum Prozessauftakt hatte sich die arbeitslose Reinigungskraft zu den Anklagevorwürfen nicht geäußert. Im Rahmen der Beweisaufnahme wurde aber bestätigt, dass dem 59-Jährigen neben anderen Medikamenten auch hochdosiertes Oxazepam verschrieben worden war. Außerdem hatte er bei Vernehmungen durch die Erdinger Kripo durchaus eingeräumt, Kontakt zu den Lkw-Fahrern gesucht zu haben, „weil er kaum Deutsch spreche, aber soziale Kontakte haben wollte.” Dem psychiatrischen Gutachter gegenüber hatte er dann auch noch bestätigt, dass er Cemaletin K. zwei Tabletten „geschenkt” habe, weil der über Schlafstörungen geklagt habe.

Nach vier Verhandlungstagen sah Staatsanwalt Christian Rottmeier die Anklagevorwürfe zweifelsfrei bestätigt, die Indizienkette sei erdrückend. Es sei kein Zufall, dass Ömer I. bei den beiden Fällen, die sich an unterschiedlichen Orten ereigneten, in Verdacht geraten sei: Einerseits habe er selbst bei seiner Begutachtung und einer polizeilichen Vernehmung eingeräumt, Kontakte zu den Lkw-Fahrern gesucht und sie zu Kaffee eingeladen zu haben, andererseits sei er seinen Landsleuten immer wieder aufgefallen, nicht zuletzt wegen seines auffälligen blauen Opels mit Flüssiggasanlage.

Er habe auch ein Motiv gehabt, so der Anklagevertreter: 10.000 Euro Schulden. Strafmildernd falle lediglich die lange Verfahrensdauer und der überschaubare Diebstahlsschaden ins Gewicht, straferschwerend müsse sich allerdings das hohe Maß an krimineller Energie, das der 59-Jährige an den Tag gelegt habe, auswirken. Der Antrag lautete dann auf eine Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren sowie den Erlass eines Haftbefehls, da Fluchtgefahr bestehe.

Verteidigerin Füsun Yavuz argumentierte dagegen, dass die Angaben ihres Mandanten, die er bei der Polizei gemacht habe ebenso nicht verwertbar seien wie die Erkenntnisse aus der Durchsuchung seiner Wohnung. Die Kripobeamten hätten sich jeweils nicht an die gesetzlichen Vorgaben gehalten, vielmehr die „Unkenntnis” von Ömer I. über seine Rechte ausgenutzt.

Im Fall von Cemaletin K. sei nicht auszuschließen, dass er freiwillig eine der ihm geschenkten Tabletten genommen habe und dann bewusstlos geworden sei. Da hätte dann auch ein Unbekannter die Möglichkeit gehabt, das Geld und die Handys zu stehlen. Ihrem Mandanten könne man in diesem Fall höchstens eine gefährliche Körperverletzung anlasten, für die eine Bewährungsstrafe zu verhängen sei. Im Fall von Yusuf R., der nicht geladen werden konnte, habe es nur rudimentäre Ermittlungen mit vagen Ergebnissen gegeben, so dass eine Verurteilung nicht in Frage komme.

Vorsitzender Richter Markus Kring räumte in der Urteilsbegründung zwar ein, dass die „Zeugendecke” in diesem klassischen Indizienprozess dünn gewesen sei, aber in der Gesamtschau aller Indizien nur der 47-Jährige als Täter infrage komme. Bei der polizeilichen Vernehmung sei Ömer I. durchaus ordnungsgemäß belehrt worden. Dabei habe er zwar die Kontakte zu beiden Opfern bestätigt, aber die Diebstahlsvorwürfe bestritten. Allerdings habe er keine plausible Erklärung für die Kontaktaufnahmen liefern können, statt dessen habe es ein plausibles Motiv gegeben, nämlich seine Schulden.

Für den von der Verteidigung ins Spiel gebrachten „unbekannten Dritten” gebe es nicht den Hauch eines Anhaltspunktes. Für ein und denselben Täter spreche das jeweils verwendete Oxazepam und das an den Tatorten gesichtete auffällige Fahrzeug. Der überschaubare Schaden und die lange Verfahrensdauer wirkten sich zwar strafmildernd aus, andererseits habe es sich um ein verwerfliches Vorgehen gehandelt: Der 47-Jährige habe sich das Vertrauen seiner Landsleute erschlichen, ihre Einsamkeit in der Fremde ausgenutzt, um sie dann auszurauben.

Der Kammer erließ auch, wie vom Staatsanwalt beantragt, Haftbefehl wegen Fluchtgefahr: Ömer I. sei nur bedingt integriert, seine Frau besitze ein Haus in der Türkei und das Strafmaß stelle einen erheblichen Fluchtanreiz dar.

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