Politik
Koalitionsvertrag steht: Programm für die Zukunft Regensburgs

08.07.2017 | Stand 13.09.2023, 1:30 Uhr
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Der Koalitionsvertrag für Regensburg steht – Oberbürgermeister Joachim Wolbergs will mit einer für Bayern einzigartigen Regenbogen-Koalition die Zukunft bis 2020 ebnen. Zwei neue Referenten, einen für Bildung, will die Koalition installieren. Überraschend ist der Schwerpunkt auf Wirtschaftspolitik.

REGENSBURG Der Koalitionsvertrag für die kommenden sechs Jahre steht – am Montagabend, 5. Mai, stimmten die zukünftigen Koalitionäre über das ab. Auch der zukünftige Aufbau der Stadtführung hat Wolbergs festgelegt: Gleich zwei neue Referate will er schaffen, zum einen soll mit einem Verwaltungsreferenten ein gewählter Stadtrat jene Position ersetzen, die unter Hans Schaidinger durch einen Hauptamtsleiter ausgefüllt wurde.

Regensburg bekommt einen Schulreferenten

Der zweite Referent, mit dem Wolbergs überrascht, ist der des Bildungs- und Freizeitreferenten. Ob sich dahinter auch die Absicht verbirgt, den alten Streit zwischen dem VHS-Chef Herrmann Hage und dem Kulturreferenten Klemens Unger zu entschärfen, ist unklar – klar ist Wolbergs Bekenntnis zu einer nachhaltigen Bildungspolitik. Wolbergs gelingt damit ein genialer Schachzug: Er nimmt das Schulressort vom Amt des zweiten Bürgermeisters und schafft ein eigenes Referat dafür.

Zweite SPD-Bürgermeister(in) erhält Soziales

Dort, wo die SPD einen Bürgermeisterposten innehaben wird, ist zukünftig das Soziale angesiedelt. Das ist ein kluger taktischer Schachzug, denn das Soziale ist Wolbergs Referat als dritter Bürgermeister gewesen. Diesen Posten, den aller Voraussicht nach Jürgen Huber von den Grünen besetzen wird, hat Wolbergs das Umweltamt zugeschlagen. Gleichzeitig belässt er aber den Winterdienst im Direktorium des dritten Bürgermeisters. Fachlich wird dieses Direktorium auch für die Energieagentur zuständig sein.

Überraschend im Koalitionsvertrag, der dem Wochenblatt vorliegt, ist vor allem der Schwerpunkt auf die Wirtschaftspolitik. Bereits im Wahlkampf hatten die Konservativen immer wieder betont, Wolbergs könne nur Soziales und Kulturpolitik, doch er würde die wirtschaftliche Prosperität der Domstadt gefährden. Wolbergs Taktik scheint zu sein, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen.

Ausbau der A3, Neubau Sinzinger Autobahnbrücke, Sallerner Regenbrücke weiter verfolgen

So beinhaltet der Koalitionsvertrag das von Wolbergs bereits angekündigte Kultur- und Kreativwirtschafts-Cluster. Co-Working wird dabei ebenso unterstützt wie eine Skaterhalle für den „spot regensburg e.V.“ und mehr Raum für die Kreativen gewährleisten. Wörtlich heißt es dazu im Koalitionsvertrag: „Wir installieren ein professionelles Management für Menschen im Bereich von Kultur- und Kreativwirtschaft.“ Auch ein Haus der kleinen Forscher hatte Wolbergs angekündigt, um „in unmittelbarer Nähe zum Innovationszentrum“ ab Januar 2016 eine Brücke zwischen Wissenschaft und Nachwuchs zu schaffen. Doch das sind offenbar nur die „Soft Skills“, die Wolbergs abdecken will mit seiner Agenda. Wirtschaftspolitik ist für ihn auch Verkehrspolitik. Und es ist doch überraschend, dass die Grünen auch diese Projekte mittragen: So soll geprüft werden, ob es an der Pfaffensteiner Brücke an der A93 eine Parallelbrücke geben kann. Auch die Sallerner Regenbrücke steht im Koalitionsvertrag, das war klar. Doch Wolbergs macht deutlich, dass die Planungen zwar fortgesetzt werden sollen, allerdings soll das zu erwartende Klageverfahren abgewartet werden. Auch ein sechsspuriger Ausbau der A3 soll forciert werden, man sorgt sich aber auch um die Landkreis-Bürger, denn von „entsprechenden Lärmschutzmaßnahmen“ ist die Rede. Auch der Neubau der Sinzinger Autobahnbrücke hat für die Stadt-Koalitionäre Priorität.

Tunnel oder Ersatztrasse? Der Bürger soll's entscheiden

Der umstrittenen Ersatztrasse für den ÖPNV widmet der Koalitionsvertrag nur wenige Zeilen. Kein Wunder, Wolbergs möchte abwarten, ob die Unesco angesichts des Welterbestatus’ überhaupt zustimmen würde. Für den Fall der Zustimmung der Unesco werde „die Planung für die Alternativen Brücke (Westtrasse) oder Tunnellösung in einem Ratsbegehren zur Abstimmung gestellt.“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Überraschend wird auch die bislang von der SPD abgelehnte Stadtbahn in den Koalitionsvertrag geschrieben: Eine Nord-Süd-Trasse soll geprüft werden. Das ist wohl auch als Zugeständnis an die Grünen zu verstehen. Doch vor allem beim ÖPNV will die Regenbogen-Koalition völlig neue Wege gehen. Wolbergs will zwar den Altstadtbus nicht antasten, doch „spätestens 2016“ sollen die Busse „durch kleinere, altstadtgerechte Fahrzeuge“ wie etwa Elektrobusse ersetzt werden. Schon ab 2015 soll ein Nachtbus kommen, über eine dauerhafte Einführung solle nach dem Modellversuch diskutiert werden. Der ÖPNV wird insgesamt auf den Prüfstand gestellt, von einer „grundlegenden Neukonzeption“ ist im Koalitionsvertrag die Rede.

Überraschend: Gewerbeentwicklungs-Gesellschaft

Überraschend ist im Koalitionsvertrag auch die Gründung einer Gewerbeentwicklungs-Gesellschaft. Dazu heißt es wörtlich im Koalitionsvertrag: „Die Gründung einer Gewerbebaugesellschaft wird geprüft. Die Hauptaufgabe der Gesellschaft liegt im Bereich des strategischen Immobilien- und Flächenmanagements zur Unterstützung der Ansiedlungspolitik der Stadt Re- gensburg. In Fällen, in denen der Markt keine ausreichenden Mechanismen anbietet, soll die GmbH Lösungen erarbeiten. Die Gesellschaft soll auch größere Flächen im Auftrag der Stadt entwickeln. Die GmbH soll gegebenenfalls als Tochter der RBD gegründet werden.“ Auch ein „Welcome-Center für Fachkräfte“ plant die Regenbogen-Koalition, um international Arbeitskräfte zu akquirieren. Wohnungssuche, Behördengänge und so weiter sollen auf diese Weise für Zuwanderer vereinfacht werden.

Endlich frischer Wind in Regensburgs Altstadt

Ein frischer Wind soll auch in der Regensburger Altstadt wehen. Die Koalitionäre nehmen dabei kein Blatt vor den Mund und vieles klingt so wie die Kritik aus einer Untersuchung, die das Wochenblatt kürzlich öffentlich machte: „Arnulfsplatz, Wahlenstraße, Glockengasse und Maximilianstraße sind Bereiche der Altstadt, die sich derzeit deutlich unter Wert präsentieren“, heißt es dazu etwa. Der Arnulfsplatz wird dazu endlich saniert, ein echter Schandfleck bislang in Regensburg. Und weiter: „Ferner wollen wir den einzigartigen Charakter der Wahlenstraße sowie die Glockengasse durch eine altstadtgerechte und barrierefreie Umgestaltung des Straßenraums betonen. Entsprechende Umgestaltungspläne werden im Dialog mit den Anliegern erstellt. 
Aufenthaltsqualität und Erscheinungsbild der Maximilianstraße wollen wir optimieren.“

Ruhezonen und mehr Grün in der Regensburger Altstadt steht ebenso auf der Agenda der Regenbogen-Koalition. Und auch ein Marktkonzept soll es geben sowie ein Blick auf die Einzelhandelsflächen in der Altstadt – angesichts explodierender Mieten immer wieder ein Thema in Regensburg.

Naturgemäß, Wolbergs hatte es versprochen, wird das Thema Wohnen ganz oben auf der Agenda stehen. Hierzu heißt es: „Wir beabsichtigen die Einrichtung eines Arbeitskreises mit Vertretern der Stadt, der auf dem Regensburger Wohnungsmarkt aktiven Unternehmen, Genossenschaften und Vereinigungen sowie der eigenen Wohnungsbau-gesellschaft mit dem Ziel, adäquate Maßnahmen für mehr bezahlbaren Wohnraum zu entwickeln.“ Auch die Nutzung der Prinz-Leopold-Kaserne hinter der Landshuter Stra0e sollen genutzt werden – aber nicht, um sie an Investoren zu verramschen, sondern um nachhaltige Wohnformen zu etablieren: „Die Flächen sind für Wohnungsbau, verträgliche gewerbliche Nutzungen und notwendige kommunale Infrastrukturen vorgesehen“, heißt es im Koalitionsvertrag. „Neben den klassischen Wohnformen wie geförderter Mietwohnungsbau, Regensburger Modell und Eigentumswohnungen, vornehmlich zum Selbstbezug, sollen auch genossenschaftliches Bauen und alternative Wohnformen wie Generationenwohnen und inklusive Wohnmodelle möglich sein“, heißt es weiter.

Auch die Stadthalle wird erwähnt. Das RKK am Ernst-Reuter-Platz soll verwirklicht werden. Doch nicht um jeden Preis.

Stadtpass soll kommen

Sport, Soziales, Bildung und Kultur sind in dem Koalitionsvertrag natürlich ebenso ausführlich beschrieben, allerdings bleibt ohnehin zu erwarten, dass eine Stadtregierung unter Wolbergs diese Punkte groß schreiben wird. Eine neue Stadtteilbücherei auf dem Areal der Nibelungenkaserne ist beispielsweise enthalten, der Ausbau der Ganztagsbetreuung soll fortgesetzt werden, auch ein Stadtpass soll kommen. Die Leuchtturm-Projekte Regensburger Sportvereine wie der Regensburg Marathon sollen gefördert werden und eine Nutzung des RTs im Winter durch die bereits heuer durch den Wegfall des Westbades vorgenommene flexible Überdachung steht auch im Koalitionsvertrag. Ein Sportinternat soll unterstützt werden, das es einmal gab und das der Freistaat damals fallen hat lassen.

All dies sind ambitionierte Projekte, eine klare Fahrtrichtung für das Schiff Regensburg unter dem neuen Kapitän Joachim Wolbergs. Doch der neue Ton, den es im Stadtrat geben soll, den klopfen die Koalitionäre vor allem am Ende des Abkommens fest. Beispielsweise tauscht die SPD Posten in Ausschüssen mit der Piratin Tina Lorenz. Und auch die CSU bekommt einen stellvertretenden Posten, nämlich im Rechnungprüfungsausschuss. Die Grünen geben ihren Posten in der Verbandsversammlung der Sparlasse an die FDP ab, der Aufsichtsrat der Stadtwerke besetzt den Posten des zweiten Stellvertreters mit einem Freien Wähler. Das sind nur ein paar der Personalbesetzungen, die im Koalitionsvertrag geregelt sind. Was wie Postengeschacher wirkt, ist aber etwas ganz anderes: Wolbergs versucht so, alle Parteien mit einzubinden. Sogar die CSU, die ja in der Opposition sein wird. Der Koalitionsausschuss, der Entscheidungen vorbereitet, ist breit aufgestellt: Sieben Leute werden am Tisch sitzen, die drei Bürgermeister, die Fraktionschefs von SPD, FDP und Freien Wählern und auch Tina Lorenz wird mit dabei sein – wer hätte gedacht, dass eine Piratin am Grünen Tisch sitzen wird.

Der Gratmesser an die Regenbogen-Koalition

Der Koalitionsvertrag, den Joachim Wolbergs seiner Partei, aber auch den Grünen, den Freien Wählern, der FDP und den Piraten vorlegt, ist ambitioniert. Es ist das Papier, an dem sich die ungewöhnliche Regenbogen-Koalition am Ende messen lassen muss. An Aufbruchstimmung in der Stadt indes mangelt es nicht.

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