Andreas Breitkopf gibt nicht auf
Herzinfarkt und Wachkoma – der Kampf um die Pflege der Mutter

13.12.2019 | Stand 06.06.2024, 19:34 Uhr |

Irene Breitkopf liegt nach einem Herzinfarkt seit sieben Jahren in Regensburg im Wachkoma – ihr Sohn Andreas pflegt sie aufopfernd und freut sich über jeden noch so kleinen Fortschritt. Zudem ist der junge Mann Leiter der Regionalen Verbandsgruppe Regensburg und Umgebung des Bundesverbandes Schädel-Hirnpatienten in Not.

REGENSBURG Den 12. Februar 2012 wird Andreas Breitkopf sein ganzes Leben nie wieder vergessen. Es war ein eisiger Tag im Februar. Die Straßen waren verschneit im Wohngebiet, in das er erst kürzlich mit seiner Mutter gezogen war. Da passierte es: Irene Breitkopf erlitt mit nur 48 Jahren einen Herzinfarkt. Sofort wurde der Rettungsdienst alarmiert, doch der hatte Schwierigkeiten, schnellstmöglich zur Patientin zu gelangen. „Es war so kalt, dass die Türen zu unserem Wohnhaus eingefroren waren“, erinnert sich Breitkopf. Wertvolle Minuten gingen verloren, bis die Ersthelfer bei der Frau eintrafen, und dann weitere wertvolle Zeit, da nicht klar war, in welchem der Regensburger Krankenhäuser Kapazität frei war, um eine Herzinfarktpatientin aufzunehmen.

Im Krankenhaus angekommen stand schließlich eines fest: Irene Breitkopfs „Leben“ war gerettet worden, das Gehirn hatte aber durch den langen Sauerstoffmangel so stark gelitten, dass ihr „Bewusstsein“ quasi als verloren galt. Ein Schock für den damals Mitte 20-Jährigen und die gesamte Familie. Die starke und lebenslustige Frau würde nie wieder sprechen, lachen, laufen, tanzen, essen oder trinken können. Wachkoma war die Diagnose. So geht es hunderten, wenn nicht gar tausenden Patienten jährlich in Deutschland – die Zahlen sind selbst dem Bundesverband Schädel-Hirnpatienten in Not nicht genau bekannt. Unfälle mit Schädel-Hirn-Trauma, Hirnhautentzündungen, Schlaganfall, Tumore oder eben auch Herzinfarkte zählen zu den Umständen, die zum Wachkoma, auch apallisches Syndrom genannt, führen können – wie bei Irene Breitkopf.

Die eigentlich noch junge Frau war von einer Minute zur anderen ein Pflegefall und die Papiere für ihren Abtransport ins Pflegeheim wurden fertiggemacht, obwohl Fieber ihren Körper beutelte. „Ich hatte das Gefühl, dass die Ärzte meine Mutter ohnehin abgeschrieben hatten und ihren Tod wohl als barmherziger und vielleicht auch kostengünstiger eingestuft haben. Wer nicht mehr arbeiten kann und von Nutzen ist, der wird einfach hängen gelassen“, berichtet Breitkopf verbittert.

„Die Ärzte hatten meine Mutter abgeschrieben“

Was folgte, war eine Odyssee von Pflegeheim zu Krankenhaus und Krankenhaus zu Pflegeheim. Niemand schien sich wirklich Hoffnung auf eine Besserung des Zustands dieser Wachkomapatientin zu machen. Auch wurden die täglichen Besuche des Sohnes, der sich damals noch in der beruflichen Ausbildung befand, nicht gerne gesehen. Denn Breitkopf stellte Fragen, regte Verbesserungsvorschläge an, kritisierte Nachlässigkeiten und bat schlicht um mehr Aufmerksamkeit für seine Mutter. „Ich weiß nicht, wie oft ich darum gebeten habe, dass die Pflegerinnen und Pfleger morgens das Radio anschalten würden, damit sie von der Welt noch etwas mitbekommt“, so Breitkopf resigniert.

Der junge Mann wollte seine Mutter nicht aufgeben, wollte nicht glauben, dass da hinter dem leeren Blick und dem regungslosen Körper nichts mehr war: „Ich habe die Ärzte förmlich zwingen müssen, die Hirnströme zu messen.“ Und tatsächlich, die Geräte schlugen an. Bei Irene Breitkopf wurde noch „Bewusstsein“ festgestellt. Hoffnung keimte im Sohn auf und so entschied sich Andreas Breitkopf an einem kühlen Novembertag vor fast genau sieben Jahren, seine Mutter nach Hause zu holen. Die schwierigen Umbauten im Haus nahm der junge Mann auf sich und ließ bei der Krankenkasse nicht locker, um Hilfsmittel genehmigen zu lassen. Aus dieser Zeit weiß er: „Im Gesundheitswesen muss man mit ‚harten Bandagen‘ kämpfen. Und um jeden Euro streiten.“ Kurz vor Weihnachten war Irene Breitkopf zuhause. Zunächst kam ein Pflegedienst am Vormittag und auch am Abend – bis zur Kündigung.

Da nahm Andreas Breitkopf die Sache vollständig selbst in die Hand: Er gab seinen Beruf auf und pflegt gemeinsam mit seiner mittlerweile 78-jährigen Großmutter die Mutter. „Wir gehen an unsere Grenzen, aber das ist es uns wert. Das hat dieser wunderbare Mensch – meine Mutter – einfach verdient“, so Breitkopf. Und er kann stolz auf seinen Einsatz sein: Irene Breitkopf kann – sieben Jahre nachdem sie die Ärztewelt eigentlich aufgegeben hat – im Rollstuhl sitzen und ihren Kopf zumindest zeitweise selbstständig halten und sogar leicht drehen. Sie verfolgt das Geschehen mit den Augen und sieht ihre Gesprächspartner direkt und wach an. Sie kann über Witze und Versprecher sogar so sehr lachen, dass ihr ganzer Körper bebt und sicherlich versteht sie ihm Herzen und Geist, wenn ihr Sohn sagt: „Mama, ich hab‘ dich lieb.“

Dankbar, für jeden noch so kleinen Fortschritt

An Weihnachten wird ihr Sohn einen Christbaum aufstellen und die Wohnung ein bisschen schmücken und vielleicht rufen der Duft der Tannennadeln und das Blinken der Lichter tief in ihrem Bewusstsein noch Erinnerungen an schöne Zeiten hervor. Andreas Breitkopf erwartet zu Weihnachten sicherlich kein Wunder. Er ist Realist und weiß, dass es äußerst wenige Fälle gibt, in denen Menschen aus dem Wachkoma „geheilt“ aufstehen. Der 33-Jährige wünscht sich einfach, dass sich der Zustand seiner Mutter gesundheitlich nicht verschlechtert, beziehungsweise dass vielleicht doch noch „mehr geht“ und sie vielleicht ein paar Worte sprechen kann. „Man kann von ihren Lippen ablesen, dass sie versucht ‚Mama‘ zu rufen, wenn sie nach meiner Oma schaut“, freut sich Breitkopf, der über jeden kleinen Fortschritt dankbar ist und ihm beweist, dass es die richtige Entscheidung war, seine Mutter nach Hause zu holen.

Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind wie er, möchte er Hoffnung machen, an diesen „Funken“ irgendwo im Inneren zu glauben. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, nicht verbittert aufzugeben, besonders, wenn das eigene Leben schließlich unter dem Kummer und dem Stress leidet. Als Leiter der Regionalen Verbandsgruppe Regensburg und Umgebung des Bundesverbandes Schädel-Hirnpatienten in Not ist er Ansprechpartner für Angehörige, die sich in einer ähnlichen Situation befinden und Hilfe benötigen.

Näheres zu Forschungsansätzen, Therapiemöglichkeiten und Hilfsangeboten finden Interessierte auf der Homepage der Deutschen Wachkoma Gesellschaft im Internet unter www.schaedel-hirnpatienten.de.

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