Prozess wegen Vergewaltigung
Gefährliche „Sadomaso-Spiele“ vor Gericht

24.10.2019 | Stand 13.09.2023, 0:48 Uhr
Monika Kretzmer-Diepold
−Foto: n/a

Junge Frau vergewaltigt, bedroht, verletzt, eingesperrt – Opfer belastet den Angeklagten

ALTÖTTING/TRAUNSTEIN. Als „ziemlich übertrieben“ bezeichnete der mutmaßliche Vergewaltiger und Peiniger einer 23-Jährigen in Altötting den Inhalt der Anklageschrift bei Prozessauftakt am Donnerstag, 24. Oktober, vor dem Landgericht Traunstein.

Er behauptete, das Opfer habe „alles gewollt“. Ihn habe fasziniert, wie weit man gehen könne – nach dem Vorbild des Buchs „Fifty Shades of Grey“. Die Frau hingegen betonte, sie habe ihm klar zu verstehen gegeben, dass er aufhören sollte. Mehrfach habe sie „Todesangst“ gehabt. Der Prozess wird am 5. und 8. November, jeweils um 9 Uhr, fortgesetzt.

​„Ich bin unschuldig, wirklich“, stellte der gut gelaunt, selbstbewusst und arrogant wirkende Mann seinen Angaben zu den Vorwürfen von Staatsanwältin Karin Hahn voran. Ohne zu zögern räumte er vor der Zweiten Strafkammer mit Vorsitzendem Richter Erich Fuchs ein, die Frau in der Nacht auf 17. April 2019 in seiner Wohnung vergewaltigt, vielfach geschlagen, mehrmals bis zur Bewusstlosigkeit mit Händen und einem Ledergürtel gewürgt, geknebelt, mit einem Messer gestochen, mit kochend heißem Wasser und mit „Umbringen“ bedroht zu haben. Der 26-Jährige dazu: „Sie sagte, sie steht drauf, wenn man ihr weh tut.“ Er habe gewusst, dass seine Handlungen gefährlich waren: „Ich bin intelligent. Man merkt es, wenn jemand wegdriftet. Sie war mehrmals ein bisschen weg. Dann habe ich sie wieder wachgemacht. Ich habe auf sie geachtet. Sonst wäre sie jetzt tot.“

​Wenn die Frau in Todesangst schreien wollte, hielt er ihr laut Anklage den Mund zu und knebelte sie. Er nahm ihr zudem das Handy weg. Die Misshandlungen zogen sich bis in die Morgenstunden.

Am Vormittag gegen 10 Uhr begleitete der gebürtige Dachauer die Frau zu ihrer Chefin. Als er am Geschäft Polizei sah, entfernte er sich in Richtung Landratsamt. Eine Streife entdeckte ihn dort und fragte ihn nach dem Ausweis. Da erzählte er den Polizisten, was – angeblich auf Wunsch der 23-Jährigen - in der Nacht passiert war. Der 26-Jährige landete in Untersuchungshaft.

Die Vorwürfe von Staatsanwältin Karin Hahn umfassen besonders schwere Vergewaltigung, Geiselnahme, gefährliche Körperverletzung, Bedrohung und Freiheitsberaubung.

Der Sachbearbeiter der Polizeiinspektion Altötting zitierte die Geschädigte, sie sei mit allen Handlungen bis ein Uhr nachts einverstanden gewesen. Alles, was danach geschehen sei, habe sie nicht gewollt und das auch zum Ausdruck gebracht. Der Polizist berichtete, an jenem Morgen habe die Chefin in der Dienststelle angerufen, ihre Mitarbeiterin sei nicht zur Arbeit erschienen. Bei Ankunft der Streifen sei die Frau aber da gewesen. Der Sachbearbeiter fügte an, seiner Ansicht nach habe die Frau „großes Glück gehabt, dass nicht mehr passiert ist“.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne jedweden Belastungseifer schilderte die 23-Jährige das Geschehen in jener Nacht, das sich mit der Anklageschrift deckte. Der Sex sei zunächst einvernehmlich gewesen. Als sie gehen wollte, sei der 26-Jährige wütend geworden. Ihre mehrmaligen Aufforderungen, es reiche jetzt, habe der Angeklagte ignoriert. Sie habe Angst gehabt – vor noch mehr und heftigeren Schlägen. Er habe die Tür versperrt, sie nicht gehen lassen, geschlagen, getreten und weiter gemacht. Wenn sie am Boden lag und geweint habe, habe der Angeklagte „nur gelacht“. Mehrere Male sei sie „kurz ohnmächtig geworden“.

Die Zeugin trug Würgemale, Rötungen, Einblutungen im Augenbereich und Schnitte am Arm davon. Zur Behauptung des Angeklagten, sie habe das alles „gewollt“, meinte die 23-Jährige: „Ich habe gesagt, er soll aufhören. Ich habe Panik bekommen, gedacht, dass ich nicht mehr rauskomme.“

Der Angeklagte begleitete die Aussage mit Gesten und leisem Lachen – bis ihn der Vorsitzende Richter zur Ordnung mahnte.

Der psychisch labil wirkende Sonderschüler ohne Beruf und Arbeit hatte eine schwierige Jugend. Er lebte zeitweise in einer Kinderklinik und im Heim, bestritt Unterhalt und Drogenkonsum aus Kindergeld und Hartz IV. Seit acht Jahren ist er seinen Angaben zufolge „entweder auf Therapie“, führt ein Leben auf der Straße oder weilt im Knast. Mit 16 kiffte er hin und wieder, Ecstasy, Speed, Badesalze kamen hinzu. „Bei ADHS ist das wie Medizin“, meinte er. Er wünsche sich „Unterbringung in der Forensik“, um dort von Drogen wegzukommen. Mit dem „Leben draußen“ habe er Probleme: „Das ist wie eine fremde Welt. Psychiatrie, obdachlos, Drogensumpf – ich hab echt keinen Bock mehr drauf.“ Er wolle lernen, sein Leben zu ordnen. Auf Fragen des Vorsitzenden Richters gestand er ein, im Gefängnis bisher keine Hilfsangebote in Anspruch genommen zu haben.​

Altötting