Infoabend in Neuötting
Flüchtlingsunterkunft an der Lohgerber Straße – wo drückt der Schuh?

10.07.2017 | Stand 13.09.2023, 2:58 Uhr
−Foto: n/a

Wie läuft´s, wo gibt´s Probleme in der Notunterkunft – das sollte beim Infoabend diskutiert werden

NEUÖTTING Der Stadtsaal war am Montagabend gut besucht und das Interesse am Thema der Podiumsdiskussion bei den Bürgern groß: Ehrenamtliche Helfer, Polizeioberrat Hannes Schneider, Bürgermeister Peter Haugeneder sowie Regina Parzinger vom Landratsamt als Zuständige für die Notunterkunft an der Lohgerber Straße wollten Rede und Antwort stehen, wie sich die Situation dort darstellt. Moderiert von Ulrike Garschhammer wurde den Anwesenden ausführlich geschildert, wie sich das Leben in der Unterkunft gestaltet: 250 Personen sind im ehemaligen Dragenopharm-Firmengebäude untergebracht.

Nach einer Registrierung durch Mitarbeiter des Landratsamtes sowie einem Team des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) wurden vom Gesundheitsamt Erstuntersuchungen inklusive Bluttests gemacht, um eventuelle Erkrankungen festzustellen. „Erst nach dem Gesundheitscheck haben die Asylbewerber die Refugee Card erhalten“, so Regina Parzinger. Sie verwies darauf, dass die Refugee Card in 14 Geschäften unproblematisch akzeptiert wird und von den Flüchtlingen „mit wenig Widerstand angenommen wird“. Jochen Klinkhart engagiert sich beim Deutschunterricht für die Flüchtlinge: „In den ersten Tagen ging es vor allem ums Ankommen“, berichtet der Lehrer von der Neuöttinger Pestalozzi-Schule. Als „Gastgeschenk“ habe er von den Flüchtlingen Respekt für die Helfer und für das Land eingefordert.

Bürgermeister: Eine gut geführte Unterkunft

Bürgermeister Peter Haugeneder stellte fest, dass es vor dem Einzug der Flüchtlinge in die Halle wesentlich mehr Anfragen gegeben habe als jetzt. „Das spricht dafür, dass wir hier eine gut geführte Unterkunft haben, wo man viel Verständnis für die Bedürfnisse der Menschen hat. Ich habe keinerlei direkte Beschwerden gehört.“

Polizeirat Schneider berichtete, dass bezüglich der Flüchtlingsunterkunft an der Lohgerberstraße bislang lediglich fünf Straftaten aufgenommen wurden: „Bei einer Belegung von 250 Menschen auf engstem Raum sind Auseinandersetzungen möglich. Eine Schädigung eines Neuöttingers hat es nicht gegeben.“ Unklar und noch nicht aufgeklärt sei die Situation eines Vorfalls am Kaufland (Belästigung einer 17-Jährigen), einen schwierigen Fahndungsansatz gebe es zum Vorfall an einer Altöttinger Apotheke (Po-Grapscher) und ob beim Vorfall in der Altöttinger Bahnunterführung (Attacke mit Pfefferspray abgewehrt) ein Asylbewerber beteiligt war, sei nicht feststellbar.

Die meisten der in Neuötting untergebrachten Flüchtlinge stammen laut Regina Parzinger aus Afghanistan (100), Syrien (68) und Nigeria (56). Kleinere Gruppen kommen aus Eritrea, Kongo, Mali, Somalia, Uganda u.a. Ländern. 65 Bewohner der Unterkunft sind minderjährig – vom Babyalter bis zum Teenager: „Um nicht noch mehr Ärger zu schüren, haben wir Frauen, Familien und Männer in eigenen Bereichen untergebracht“, berichtete Regina Parzinger.

Das Prozedere für die Flüchtlinge schilderte Parzinger so: „In der Kleiderkammer München erhalten sie eine Erstausstattung. Nach dem O.K. des Gesundheitsamtes wird von der Regierung die Zuweisungsentscheidung ausgesprochen. 90 Prozent der Flüchtlinge werden in Bayern verteilt, der Rest hat einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt.“

Ab 15. Februar kommt neue Belegung

In den nächsten drei Wochen wird die Unterkunft in Neuötting geleert und auf Vordermann gebracht, bis ab 15. Februar wieder 250 Personen – auf drei Tage verteilt – aufgenommen werden, so Parzinger. Der Sicherheitsdienst an der Unterkunft wurde aufgestockt: Am Tag sind sieben und in der Nacht sechs Personen im Einsatz. Die Verpflegung der Flüchtlinge übernimmt die BRK-Sozialwerkstatt. Diesbezüglich erfuhren die Anwesenden von Freiwilligen bei der Essensausgabe, dass „es bei den Leuten angesichts von Knödeln verzweifelte Gesichter gegeben habe“, weil sie das nicht kennen. Als Nachtisch seien Bananen und Melonen beliebt – und man versuche, die Gewohnheiten zu berücksichtigen, ohne die Leute zu verwöhnen.

„Frauen können auch nachts auf die Straße“

Auf Nachfrage von Ulrike Garschhammer, welche Erfahrungen die freiwilligen Helferinnen mit den Flüchtlingsmännern gemacht haben, bestätigten diese einhellig: Die Männer seien sehr zuvorkommend, man brauche keine Angst haben. Zur Frage der Mutter einer 17-Jährigen, ob sie ihre Tochter noch auf die Straße lassen dürfe, unterstrich Polizeioberrat Schneider: „Eine Frau kann in Alt- und Neuötting auch nachts auf die Straße gehen. Die Sicherheitslage hat sich nicht geändert.“ Er mahnte dazu, Einträge in den sozialen Foren mit Vorsicht zu betrachten. Saniye Can, Neuöttings Integrationsreferentin, erklärte: „Frauen sind im Islam nicht unterdrückt. Wer so lebt, wie es der Koran vorschreibt, der ist ein guter Mensch.“

Moderatorin Ulrike Garschhammer fügte an, dass laut ihren Erfahrungen in der Arbeit für den Frauennotruf die meisten Sexualdelikte im Familien- und Bekanntenkreis begangen werden: „Fremdtäter, so unsere Erfahrungen, machen maximal rund zehn Prozent aus.“ Erste Wortmeldungen aus dem Publikum bezogen sich zunächst auf einen offenen Umgang mit den Flüchtlingen. So regte Egon Schleich an, Kinder zum Spielen in die Unterkunft kommen zu lassen, damit sie „sich an die anderen Gesichter gewöhnen“. „Und wenn die Leute mit dem Rad in falscher Richtung in der Einbahnstraße unterwegs sind, dann sprecht sie an und erklärt, wie es bei uns läuft. Das kann jeder machen!“

Kein Alkohol mehr auf Refugee Card

Einen wichtigen Aspekt in der Problematik um Flüchtinge sprach ein Anwohner der Flüchtlingsunterkunft an: Er schilderte einen Vorfall auf einem Spielplatz, den seine Kinder erlebt haben: Sieben Asylbewerber hätten in einer Holzhütte Baccardi getrunken und den Kindern Beutel mit Pillen gezeigt. Sein Versuch, den Vorfall bei der PI Altötting zu melden, sei bereits im Eingangsbereich abgewiegelt worden, beschwerte er sich. Dieser Angelegenheit werde er nachgehen, stellte Hannes Schneider klar. Für Applaus sorgte diesbezüglich die Ankündigung von Regina Parzinger, dass mit der neuen Belegung der Halle auf die Refugee Card künftig kein Alkohol mehr verkauft werden dürfte: „Wir haben da einen Handlungsbedarf gesehen. Auch wenn wir natürlich nicht ganz verhindern können, dass die Flüchtlinge sich Alkohl beschaffen, hoffen wir, dieses Problem zu reduzieren.“

Ein großes Lob für den raschen Einsatz seiner Beamten erhielt der Polizeioberrat hingegen vom Ehemann einer der bedrängten Frauen. Heftige Kritik übte dieser jedoch an entsprechenden Facebook-Einträgen von Birgit Harlander: „Das war unter aller Sau! Sie sollten neutral sein.“ Harlander zeigte Verständnis, dass er aufgewühlt sei, aber: „Ich wollte dem etwas entgegensetzen, dass alles überdramatisiert wird und die Flüchtlinge als eine Gefahr für die Gesellschaft dargestellt werden. Ich habe mittlerweile in acht Monaten 800 Leute kennengelernt und nur gute Erfahrungen gesammelt.“

Beifall erhielt eine alleinerziehende dreifache Mutter, die einen Flüchtling in ihr Haus aufgenommen hat: „Auch ich hatte zunächst etwas Angst. Aber wir haben mittlerweile viel von einander gelernt.“

Angst – das war ein wichtiges Wort im Statement einer weiteren Neuöttingerin: „Ich habe keine Angst, auch nachts hier unterwegs zu sein. Aber die Ängste in der Bevölkerung, die muss man ernst nehmen und nicht auf Friede, Freude, Eierkuchen machen. Nur wenn man die Ängste der Leute wahrnimmt, kann man sie abbauen“, mahnte sie.

Wer darauf wartete, dass sich jemand zu den auf Facebook verbreiteten Meldungen zu Wort meldet – wie den geschilderten Zuständen am Kaufland, wo sich Gruppen von Flüchtlingen betrinken und KundInnen sich verunsichert fühlen sollen – der wurde enttäuscht. Leider nutzten viele Facebook-User nicht die Gelegenheit, ihre Sorgen und Ängste offen auszusprechen.

Altötting