Harald Söldners Eltern verzweifelt
Ein Jahr nach dem tödlichen Schuss an der B16 – Urteil ist „ein Freibrief für Jäger“

14.08.2019 | Stand 13.09.2023, 0:19 Uhr
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Einen geliebten Menschen zu verlieren ist etwas, mit dem wir nur schlecht umgehen können. Auch wenn wir wissen, dass das Leben endlich ist, ist der Tod doch immer etwas sehr Einschneidendes. Umso mehr, wenn er völlig überraschend kommt, wenn man sich nicht darauf vorbereiten kann. So erging es am 12. August 2018 Angela und Michael Söldner aus Regensburg. An jenem Tag starb ihr Sohn Harald in einem Auto auf der Bundesstraße B16 bei Nittenau, als ihn der Schuss aus der Waffe eines Jägers traf.

REGENSBURG/NITTENAU „Himmelschreiend“, sagt Angela Söldner über das Urteil, das das Landgericht Amberg am 24. Juli dieses Jahres gefällt hat. Der 46-jährige Jagdleiter, aus dessen Waffe der tödliche Schuss abgefeuert wurde, wurde wegen fahrlässiger Tötung zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt, zudem muss er 30.000 Euro bezahlen, davon gehen je 10.000 Euro an die Mutter und den Vater des Opfers sowie weitere 10.000 Euro an den „Hospizverein für Stadt und Landkreis Schwandorf“. Das Urteil ist seit dem 1. August rechtskräftig, das hat der Pressesprecher des Landgerichtes Amberg, Uli Hübner, auf Anfrage bestätigt. Angela Söldner geht noch weiter: Unter Tränen berichtet sie, dass es Jägern „nur ums Geld und ums Vergnügen“ ginge. „Die haben unseren Sohn hingerichtet wie ein Wildschwein!“ Das Urteil sei viel zu milde, die Abschreckung für Jäger fehle gänzlich, so Angela Söldner. Ihr Mann ergänzt: „Das Urteil ist ein Freibrief für Jäger!“ In der Beweisaufnahme hatte sich ergeben, dass die Jäger 20 Schuss abgefeuert hatten, zwei Wildschweine wurden erlegt – „und unser Sohn Harald“. Die Reaktionen des Paares auf das Urteil sind verständlich, den Emotionen geschuldet, letztlich wissen beide, dass es ein tragischer Unfall war – aber eben ein Unfall, der nie hätte passieren dürfen! Aber der Schmerz ist einfach zu groß!

Das Paar erinnert sich noch gut an jenen 12. August vor einem Jahr. Es war ein Sonntag, plötzlich stand ein Streifenwagen vor der Tür, zwei uniformierte Beamte fragten, ob sie ins Haus dürften. Das verneinten Angela und Michael Söldner – und so übermittelten ihnen die Beamten die Todesnachricht. Beide, so berichten sie dem Wochenblatt, waren überfordert mit der Situation – und auch die Polizeibeamten wussten wohl nicht so recht, wie sie reagieren sollen, Michael Söldner vermisste das „Fingerspitzengefühl“ bei den Beamten. Dietmar Winterberg, Pressesprecher am Polizeipräsidium Oberpfalz in Regensburg, erklärt auf Anfrage, dass das Überbringen solcher Nachrichten Aufgabe der Schutzpolizei sei – und die kämen eben mit dem Streifenwagen und in Uniform. Meist versuche man, einen erfahrenen Kollegen zu schicken, oft komme der Dienststellenleiter selbst. In der Ausbildung seien solche Situationen natürlich Thema, aber letztlich „lernt man es erst, wenn man es zwei- oder dreimal gemacht hat“, sagt Winterberg. Er selbst habe schon einige Todesnachrichten überbringen müssen. Jede Situation sei dabei anders – von völliger Apathie bei den Betroffenen bis hin zum hysterischen Schreikrampf habe er schon alles erlebt. „Es ist immer eine Ausnahmesituation, wenn wir solch eine Nachricht überbringen müssen – für alle Beteiligten“, so Winterberg. Auch wenn das wohl das normale Vorgehen der Polizei ist, so wünschen sich Angela und Michael Söldner, dass die Polizei hier künftig bei ähnlichen Fällen sensibler mit den Angehörigen umgeht.

Das Ehepaar Söldner hätte sich nach dieser Nachricht mehr Hilfe gewünscht, Angela Söldner hat eine Therapie gemacht – „ohne Erfolg“, sagt sie. Auch der Umgang der Menschen mit ihnen nach diesem Unglück sei sehr schwer gewesen. Der ein oder andere habe die Straßenseite gewechselt, um nicht mit ihnen reden zu müssen, viele hätten nicht mehr gegrüßt, andere hätten den „armen Jäger“ bedauert, ihren Sohn aber nicht erwähnt. Immer wieder habe es Gerüchte gegeben – bis hin, dass sich der betroffenen Jäger selbst gerichtet hat. Einerseits können beide es verstehen, dass viele Menschen Angst hatten, wie sie richtig reagieren sollen. Andererseits hätte auch hier etwas mehr Unterstützung geholfen. Angela und Michael Söldner sind auch enttäuscht, zum Beispiel vom Jagdverband, hier habe sich niemand bei ihnen gemeldet. Am Dienstag, 28. August 2018, also 16 Tage nach dem Vorfall, hatte sich der Bayerische Jagdverband in einer Pressemitteilung geäußert: „Der Unfall macht uns alle tief betroffen. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen des Opfers“, sagte damals Prof. Dr. Jürgen Vocke, Präsident des Bayerischen Jagdverbandes. Selbst bei Anwendung größter Sorgfalt in der Vorbereitung und Durchführung von Jagden, komme es zu Unfällen mit tödlichem Ausgang, hieß es weiter.

Otto Storbeck von der Jagdvereinigung Nittenau berichtet auf Anfrage, er sei damals auf dem Weg in den Urlaub gewesen, als ihn die „schreckliche Nachricht“ erreicht hat. Storbeck hatte im Oktober 2018 noch gemeint, dass er sich nicht vorstellen könne, „dass hier am Ende die Verurteilung eines Jägers steht, der nichts auf der Welt weniger wollte, als einen anderen Menschen zu verletzten oder gar zu töten“. Das Urteil des Landgerichtes Amberg hat ihn nun eines Besseren belehrt. Es sei durch den Prozess nachgewiesen worden, dass alle Sicherheitsvorschriften eingehalten worden seien, am Verfahren der Drückjagd selbst habe sich deshalb nichts geändert, „aber jeder ist sensibler geworden, einige Jäger nehmen auch an Drückjagden nicht mehr teil“. So verhält es sich auch mit dem Todesschützen selbst, er ging sogar noch einen Schritt weiter und gab seine Waffen und den Jagdschein ab.

All das aber hilft Angela und Michael Söldner nicht weiter. Bis heute sind beide die Bundesstraße B16 im Bereich, in dem ihr Sohn Harald zu Tode kam, nicht mehr gefahren. Sie nehmen Umwege in Kauf, um nicht an dieser Stelle vorbei zu müssen.

Und sie sind nicht alleine mit ihrem Schicksal: Jedes Jahr kommt es zu einigen Jagdunfällen, Jagdhunde werden erschossen, Jäger verletzen sich gegenseitig, völlig unbeteiligte Menschen werden verletzt oder gar getötet.

Regensburg