Rolli-Fahrerin Sandra Steiner über ihren Traumjob
Dieser Arbeitsplatz hat auf mich gewartet“

08.07.2017 | Stand 02.08.2023, 13:01 Uhr

Die Stimmung ist gut auf dem hiesigen Arbeitsmarkt. Im November lag die Arbeitslosenquote im Landkreis Freising bei 2,0 Prozent, die Einstellungsbereitschaft der Arbeitgeber ist hoch.

FREISING  Und trotzdem: Menschen mit Behinderung haben auch bei diesen günstigen Rahmenbedingungen vielfach Schwierigkeiten eine passende Arbeitsstelle zu finden. „Aktuell sind bei der Agentur für Arbeit Freising 163 Menschen mit Schwerbehinderung arbeitslos gemeldet. Viele von ihnen sind gut ausgebildet, verfügen über einen Berufsabschluss oder eine akademische Ausbildung“, erläutert Karin Weber, Chefin der Agentur für Arbeit Freising. „Betrieben, die Personal suchen, kann ich deshalb nur empfehlen, diesem Personenkreis im Besonderen eine Chance zu geben.“

Ihre Chance bekommen und genutzt hat Sandra Steiner. Die 26-jährige Rollstuhlfahrerin aus dem Landkreis Dachau ist seit März diesen Jahres als Sekretärin im Fachbereich „Wohnen und Fördern“ der Lebenshilfe Freising beschäftigt. Sie kümmert sich dort um die Postbearbeitung, Personalanträge, die Telefonie, bereitet Besprechungen vor und führt Protokoll. Für ihre Chefin Martina Neumeyer ist sie eine wichtige Stütze. Sandra Steiner selbst sagt dazu: „Dieser Arbeitsplatz hat auf mich gewartet“.

Frau Steiner, Sie waren erfolgreich bei der Arbeitssuche und sind mit Ihrem neuen Job sehr glücklich. Welche Erfahrungen haben Sie auf dem Weg dahin gesammelt? Steiner: „Ich bin gelernte Kauffrau für Bürokommunikation und habe insgesamt acht Jahre bei einem großen deutschen Energiekonzern in Würzburg gearbeitet. Der Liebe wegen bin ich letztes Jahr in den Landkreis Dachau umgezogen. Um hier einen Job zu bekommen, habe ich bestimmt 50 Bewerbungen geschrieben. Ich bin auch immer wieder zu Vorstel-lungsgesprächen eingeladen worden, aber letztlich scheiterte eine Arbeitsaufnahme dann oft an der fehlenden Barrierefreiheit der Firmengebäude – und teilweise auch an den Barrieren in den Köpfen der Personalentscheider. Dazu kann ich aber nur sagen: Ich kann zwar nicht laufen, aber durchaus klar denken.“

Frau Neumeyer, für Sie war das Handicap von Frau Steiner kein Hinderungsgrund sie einzustellen? Neumeyer: „Im Gegenteil, das machte sie besonders interessant. Die Aufgabe der Lebens-hilfe ist es, Menschen mit Behinderung zu unterstützen und ihre Interessen zu vertreten. Deshalb wollen wir auch gerne Vorbild bei der Einstellung von Mitarbeitern mit Behinderung sein. Außerdem waren die Bewerbungsunterlagen von Frau Steiner toll. Ihre Qualifikationen passten und am Telefon merkte ich sofort: Die ist wahnsinnig nett, wie sie sich ausdrückt, wie sie spricht, sie könnte perfekt zu uns passen. Dieser erste Eindruck bestätigte sich im Vorstellungsgespräch. Wir haben dann sofort erörtert, welche Anpassungen am Arbeitsplatz vorgenommen werden müssten, damit Frau Steiner bei uns arbeiten könnte.“

Ihr Haus ist doch barrierefrei gestaltet. Trotzdem waren Anpassungen nötig? Neumeyer: „Stimmt. Die Türen öffnen sich bei uns automatisch, die Gänge sind breit, Schwellen nicht vorhanden. Aber im Bereich der sanitären Anlagen gab es Probleme. Au-ßerdem konnte Frau Steiner unseren Drucker aus dem Rollstuhl heraus nicht bedienen. Gemeinsam mit dem technischen Berater der Agentur für Arbeit Freising machten wir eine Ortsbegehung, Lösungen wurden gefunden: Die Agentur für Arbeit Freising finanzierte ein kombiniertes Drucker-/Faxgerät, das direkt am Arbeitsplatz von Frau Steiner stehen kann, und beteiligte sich auch an den Kosten für den Umbau einer Toilette. Die Arbeitsagentur unterstützte die Einstellung von Frau Steiner außerdem durch Zuschusszahlungen zum Lohn in den ersten sechs Monaten.“

Steiner: „Ich selber habe in den ersten drei Monaten einen Zuschuss zu meinen Fahrtkosten von der Arbeitsagentur erhalten. Darüber habe ich mich sehr gefreut, schließlich pendle ich nun jeden Tag von Dachau nach Freising und zurück – übrigens als Selbstfahrerin im umgebauten Auto.“

Frau Neumeyer, was sagen Sie Arbeitgebern, die überlegen, Menschen mit Behinderung einzustellen? Neumeyer: „Es lohnt sich. Wichtig ist aber, sich von Anfang an selbst aktiv um Beratung und Unterstützung zu bemühen. Eine enge Kooperation mit der Arbeitsagentur ist hier hilf-reich. Darüber hinaus habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich Mitarbeiter mit Behinde-rung überdurchschnittlich im Unternehmen engagieren. Und: Je mehr man mit Mitarbeitern, mit Kollegen mit Behinderung zu tun hat, umso normaler wird der Umgang untereinander.“

Frau Steiner, was wünschen Sie sich von Arbeitgebern? Steiner: „Ich wünsche mir, dass sie offener werden und im Einstellungsprozess ihren Fokus nicht so stark auf die Behinderung und die damit vermeintlich einhergehenden Einschrän-kungen richten. Im Grunde ist es doch so: Viele Menschen mit Handicap beschäftigen sich seit Jahren – vielleicht von Geburt an – mit ihrer Behinderung. Da erlernt man Techniken und kennt Möglichkeiten diese auszugleichen, die können Außenstehende gar nicht erah-nen. Darüber sollte man reden.“

Erding