Umstrittene Anleitung für Pädagogen
Die Kita als politischer Kampfraum - wenn Zöpfe tragende Mädchen als „völkisch“ gelten

30.11.2018 | Stand 13.09.2023, 1:52 Uhr
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Schule und Kindertagesstätten werden zunehmend zum politischen Kampfraum. Erst kürzlich sorgte die rechtspopulistische AfD für Entsetzen, weil sie eine Art Pranger für Lehrer eingerichtet hatte. Die Netz-Gemeinschaft reagierte zunächst mit Hohn und Spott, doch das Thema ist ernst: Wie politisch darf eine Kindertagesstätte sein? Und sind Zöpfe tragende Mächen „völkisch“?

REGENSBURG In Regensburg beispielsweise wurden an der Berufsoberschule schulische Veranstaltungen mit dem Flüchtlingsrat abgehalten. Schüler berichteten uns, dass mit Verweisen gedroht wurde, wenn man sich weigerte, an den Veranstaltungen teilzunehmen. Der Flüchtlingsrat gilt vielen als Rettungsanker für Asylbewerber, die abgeschoben werden sollen. Kritiker aber halten ihn für extremistisch, auch weil es Anleitungen gibt, wie man einer rechtsstaatlich angeordneten Abschiebung entgehen kann.

Jetzt ist eine erbitterte Debatte über eine Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung entbrannt. Die Stiftung arbeitet seit Jahren gegen rechtsextreme Tendenzen. Immer wieder gerät sie aber auch selbst in den Fokus eher konservativer bis rechtsnationaler Kreise, die ihr Linksextremismus vorwerfen.

Jetzt hat die Stiftung eine Broschüre heraus gegeben, die Pädagogen in Kindertagesstätten dazu anhält, Kinder zu identifizieren, die in einem „völkischen“ oder „rechtsnationalistischen“ Elternhaus aufwachsen. Weil Bundesfamilienministerin Franziska Giffey dazu ein Grußwort schrieb, ist die Broschüre jetzt zum Politikum geworden. Giffey schreibt: „Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren zusehends polarisiert. Wir haben viel Unterstützung für geflüchtete Menschen erlebt. Wir erleben aber auch ein neues Ausmaß an menschen-verachtendem Verhalten und einen deutlichen Anstieg rechtspopulistischer Bewegungen. Diese Entwicklung macht auch vor den Kindertagesstätten nicht Halt. Kinder schnappen rassistische Bemerkungen oder antisemitische Einstellungen auf und geben sie weiter. Oder Eltern kommen damit auf die Erzieherinnen und Erzieher zu. Was tun? Wie reagieren, wie vorbeugen? Auch wenn die Kinder noch klein sind: Die neuen Herausforderungen für die Fachkräfte sind groß.“

Auch der Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung macht keinen Hehl daraus, dass er die Kita nicht als einen politisch neutralen Raum sieht: „Wenn es um grundsätzliche Fragen unserer Demokratie geht, kann eine falsch verstandene Neutralität, wie sie häufig eingefordert wird, keine Lösung sein. Gerade erst haben viele Kitas die Integration von geflüchteten Kindern und häufig auch von deren Eltern mit großem Engagement erfolgreich gemeistert“, schreibt Timo Reinfrank in der Broschüre.

Rechtspopulistisch ist laut Verfasser der Studie indes alles, was einerseits die Integration von Asylbewerbern und Ausländern generell in Frage stellt, andererseits aber auch die Sexualpädagogik und die Genderdebatte kritisch hinterfragt. Wörtlich heißt es dazu: „Darüber hinaus gibt es nun mit der Ausbreitung von Rechtspopulismus, mit rassistischen Debatten um Flucht und Asyl sowie weit verbreiteten Feindlichkeiten gegenüber geflüchteten Menschen neue, drängende Herausforderungen für das Arbeitsfeld Kita. Zusätzlich ragen neue Themen, wie die Angst vor einer Indoktrination bzw. „Frühsexualisierung unserer Kinder„, also die Ablehnung von Sexualpädagogik und Bildung zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, oder eine befürchtete „Islamisierung des Abendlandes„ in das Arbeitsfeld Kita hinein.“

Die Broschüre indes schildert durchaus denkwürdige Fälle: So wurde bekannt, dass die Freundin eines NSU-Mittäters als Erzieherin arbeitete. In Lüneburg wurde 2016 ein Fall bekannt, in dem eine Kta-Leitung einen Syrer nicht beschäftigen wollte, weil es „zum Teil heftige Vorbehalte von Eltern“ gegen den Mann gab, auf die man reagierte. Doch die Broschüre mobilisiert auch offen gegen die AfD, einer Partei, die im Bundestag vertreten ist - und zwar als stärkste Oppositions-Fraktion.

Ein weiteres Beispiel ist heikler: Hier geht es um die Genderfragen und Sexualität. Als Beispiel wird wieder der Protest der AfD gegen die Broschüre „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“ angeführt. Die Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung stellt klar: „Kindern Geschlechtergerechtigkeit und die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und Lebensweisen zu vermitteln, ist Teil des Erziehungsauftrags. Das Erlernen einer demokratischen Haltung, z.B. vermittelt durch Methoden der Vielfaltspädagogik, ist zentral, um Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder sexuellen Orientierung zu verhindern und um inter- und transgeschlechtliche Kinder zu empowern. Zudem ist für viele Kinder das Aufwachsen in Regenbogenfamilien gelebte Realität und sollte damit auch gelebte Normalität in der Kita sein.“

In der Broschüre heißt es dazu wörtlich über Kinder, die in „völkischen“ Elternhäusern aufwachsen: „Gleichzeitig gibt es keine sogenannten Disziplinprobleme, diese Kinder scheinen besonders ‚gut zu spuren‘. Außerdem sind traditionelle Geschlechterrollen in den Erziehungsstilen erkennbar: Das Mädchen trägt Kleider und Zöpfe, es wird zu Hause zu Haus- und Handarbeiten angeleitet, der Junge wird stark körperlich gefordert und gedrillt. Beide kommen häufig am Morgen in die Einrichtung, nachdem sie bereits einen 1,5-km-Lauf absolviert haben.“

Ob Zöpfe bei Mädchen tatsächlich eine völkische Gesinnung der Eltern erkennen lassen, dürfte durchaus umstritten sein. Auch Mütter, die ein Problem damit haben, wenn ihrem Sohn die Fingernägel von anderen Kindern lackiert wurden, sollen einbestellt werden: „Die Wortwahl der Mutter gibt Grund zu der Annahme, dass diese sich im Kontext (neu-)rechter oder fundamentalistischer Ideologien verortet oder bewegt. Daher wäre es gut, darauf vorbereitet zu sein, dass das Gespräch durchaus kontrovers verlaufen kann. Wichtig ist es, das Kindeswohl und das damit verbundene Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit als Ziel des Gespräches im Blick zu behalten.“

Kritik kommt jetzt vor allem aus der Union, denn CDU-Politiker sagen, die Broschüre sei eine Anleitung zur Elternspionage.

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