Sondierungen
Das sagen SPDler aus der Region – vernichtendes Fazit für die GroKo

18.01.2018 | Stand 13.09.2023, 6:33 Uhr
−Foto: Foto: Moosburger/ce/SPD/privat

Das Wochenblatt hat Sozialdemokraten aus Stadt und Land befragt – das Ergebnis ist niederschmetternd, zumindest für die Kanzlerin Angela Merkel. Wir haben keinen Roten gefunden, der die Neuauflage der GroKo will.

REGENSBURG GroKo – was irgendwie klingt wie eine ansteckende Krankheit, soll also die Lösung für das politische Vakuum nach der Bundestagswahl am 24. September 2017 sein. Vergangenen Freitag traten nun die Chefs der drei verhandelnden Parteien, Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und SPD-Chef Martin Schulz, vor die Presse. Sie präsentierten ein Papier, das 28 Seiten hat – zum Vergleich: Das Jamaika-Papier hatte bereits 65 Seiten –, und das nur als Grundlage für Koalitionsverhandlungen dienen soll. Doch jetzt hat die SPD, die mit 20,5 Prozent das schlechteste Ergebnis aller Zeiten einfuhr, das Heft in der Hand. Am kommenden Wochenende soll auf einem Sonderparteitag der SPD in Bonn darüber abgestimmt werden, ob man mit Merkels Union überhaupt verhandelt. Doch dann kommt der wirkliche Lackmustest: Eine Mitgliederbefragung in der SPD könnte am Ende alles zum Scheitern bringen – mit ungewissem Ausgang.

Doch wie sehen Sozialdemokraten in der Region das, was nun am Tisch liegt? Wir haben sechs SPDler stellvertretend gefragt - und das Ergebnis ist eindeutig. Kein einziger der Befragten sprach sich für die GroKo aus. Für die Regensburger Stadträtin Katja Vogel etwa sind die Ergebnisse der Sondierungsgespräche „enttäuschend: keine Bürgerversicherung, schwache Formulierungen zum Klimaschutz, dafür eine (fließende) Obergrenze, um nur einige Punkte zu nennen.“ Dass man Kompromisse eingehen müsse, sei klar. „Aber ich sehe da überhaupt keine sozialdemokratische Handschrift“, so Vogel.

Auch der Wenzenbacher Bürgermeister Sebastian Koch lehnt eine GroKo ab. „Die SPD muss sich inhaltlich neu aufstellen. Dabei reicht es nicht, kleinere Optimierungen innerhalb des Systems vorzunehmen“, so Koch. Es gehe um die Glaubwürdigkeit der SPD. „Das Herumgeeiere in den letzten Wochen war diesbezüglich eher kontraproduktiv.“ Zwar wolle Koch keine Neuwahlen, doch er sagt auch: „Die von Merkel etablierte Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners stärkt die Ränder, schwächt die Demokratie und lähmt Deutschland. „ Aber er könne nur gegen die GroKo stimmen. In dieses Horn stößt auch SPD-Stadtrat Thomas Burger. „Mit den vorliegenden Ergebnissen der Sondierungsgespräche wurde die Chance vertan, eine klare Botschaft zu formulieren und Aufbruchstimmung zu vermitteln.“ Und genau dies stärke die radikalen Ränder. SPD-Kreischef Rainer Hummel sehe zwar kleine Erfolge, wie beispielsweise die Rückkehr zur Parität bei den Sozialabgaben. „ Im Großen und Ganz aber bedeuten die Sondierungsergebnisse ein weiter so, einer kurzsichtigen, zukunftsabgewandten Politik ohne einen wirklichen Aufbruch“, befindet der SPD-Kreischef. Und auch sein Stadtrats-Kollege Ernst Zierer sieht das so: „Verantwortung zu übernehmen ist wichtig, doch nicht zu jedem Preis. Das Ergebnis der Sondierung ist meiner Meinung nach eine böse Schlappe für die SPD“, so Zierer. Und SPD-Stadtrat Tobias Hammerl findet, das sei auch Betrug an den SPD-Wählern: „Mir war von Anfang an klar, dass die SPD nur wenige ihrer Kernforderungen durchsetzen würde können, aber dass sich weder die Steuerreform, die Bürgerversicherung noch die kostenlosen Kitas oder das Arbeitslosengeld Q im Sondierungsergebnis finden, hat mich doch sehr überrascht“, so Hammerl. „Wird damit nicht das Votum von 10 Millionen SPD-Wählerinnen und Wähler einfach ignoriert?“

Fazit: Das Ergebnis, das nun am Tisch liegt, findet bei Sozialdemokraten der Region keinerlei Zustimmung.

Hier sind die Statements der SPD-Politiker, die wir zu einer Neuauflage der Großen Koalition gefragt haben, im Wortlaut.

Die Regensburger Stadträtin Katja Vogel schreibt: „Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche sind enttäuschend: keine Bürgerversicherung, schwache Formulierungen zum Klimaschutz, dafür eine (fließende) Obergrenze, um nur einige Punkte zu nennen. Dass man Kompromisse eingehen muss, ist klar – aber ich sehe da überhaupt keine sozialdemokratische Handschrift. Ich halte Neuwahlen zwar für einen Fehler, aber mit dem was jetzt auf dem Tisch liegt, kann ich mich nicht anfreunden. Selbst wenn der Parteitag sich für den Eintritt in Koalitionsverhandlungen entscheiden sollte, glaube ich nicht, dass die SPD-Basis einer Großen Koalition unter diesen Voraussetzungen zustimmen wird.“

Der Wenzenbacher Bürgermeister und SPD-Unterbezirkschef Sebastian Koch schreibt: „Die SPD muss sich inhaltlich neu aufstellen. Dabei reicht es nicht, kleinere Optimierungen innerhalb des Systems vorzunehmen. Wir müssen viel grundsätzlicher und progressiver werden und vor allem müssen wir an unserer Glaubwürdigkeit arbeiten. Das „Herumgeeiere“ in den letzten Wochen war diesbezüglich aber eher kontraproduktiv. Die Lage, in die sich die SPD manövriert hat, ist fatal. Am Wahlabend erklärte unser Vorsitzender, die SPD werde als Hüterin der Demokratie, in die Opposition gehen und die Oppositionsführerrolle nicht den Rechtsextremen von der AfD überlassen. Letztendlich war das auch ein recht unbeholfener Versuch, Bündnis90, FDP und Union in die Jamaika-Koalition zu drängen. Nachdem dies nicht funktioniert hat, sprach sich die Mehrheit der Delegierten beim Bundesparteitag vom 7. bis 9. Dezember 2017 für ergebnisoffene Sondierungsgespräche aus. Die „Ergebnisoffenheit“ war dabei allerdings reine Augenwischerei. Für mich stand ab diesem Zeitpunkt fest, dass Martin Schulz und die Führungskräfte im Willy-Brandt-Haus umfallen und eine neue Koalition mit der Union anstreben werden. Wirklich überrascht bin ich allerdings vom äußerst ernüchternden Ausgang der Sondierungsrunden. Dem SPD-Verhandlungsteam muss in vielen Themenbereichen ein gehöriges Maß an Erfolglosigkeit attestiert werden. Es ist jedenfalls kein Erfolg, die gesetzliche Rente bis zum Jahr 2025 auf heutigem Niveau gesetzlich abzusichern. Vielmehr müssten Maßnahmen zur Anhebung des Rentenniveaus ergriffen werden. Dazu zählt nach meinem Dafürhalten auch ein Ausstieg aus der Teilprivatisierung der Altersversorgung. Die Wiederherstellung der Parität bei der Krankenversicherung ist kein nennenswerter Clou, sondern längst überfällig. Das Sondierungspapier weist steuerpolitische Kleingeistigkeit und asylpolitische Zugeständnisse an eine mehr als populistische CSU auf. Das kann und will ich nicht mittragen. Die von Merkel etablierte Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners stärkt die Ränder, schwächt die Demokratie und lähmt Deutschland. Ich möchte keine Neuwahlen, weil man Wahlen nicht nach Belieben wiederholen sollte, aber so kann ich beim Mitgliederentscheid nur gegen die GroKo stimmen.“

Der Regensburger SPD-Stadtrat Ernst Zierer schreibt: „Verantwortung zu übernehmen ist wichtig, doch nicht zu jedem Preis. Das Ergebnis der Sondierung ist meiner Meinung nach eine böse Schlappe für die SPD. Kein Wahlversprechen konnte erreicht werden und bei sehr vielen, für mich wichtigen Themen mussten massive Abstiche gemacht werden. Ich persönlich denke beziehungsweise hoffe, dass die Basis wohl überlegt mit diesem Papier umzugehen weiß. Mit mir keine Groko. Eine Entscheidung dafür würde einen noch größeren Vertrauensverlust bei den noch SPD Wählern hervorrufen.“

Der Chef der Landkreis-SPD, Kreisrat Rainer Hummel, schreibt: „Die Sondierungsgespräche haben sicherlich einige Erfolge gebracht, wie z.B. die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenkassenbeiträge. Im Großen und Ganz aber bedeuten die Sondierungsergebnisse ein weiter so, einer kurzsichtigen, zukunftsabgewandten Politik ohne einen wirklichen Aufbruch. Vor allem im Bereich des sozialen Ausgleiches und der Digitalisierung wird viel zu kurz gesprungen. Und der Bereich der Migration atmet sogar den Geist des Rechtspopulismus.

Daher kann ich einen Eintritt in Koalitionsgespräche nicht befürworten und empfehle allen Delegierten auf dem Bundesparteitag am nächsten Sonntag gegen die Aufnahme von Koalitionsgesprächen zu stimmen.“

Der Regensburger SPD-Stadtrat Thomas Burger schreibt: „Mit den vorliegenden Ergebnissen der Sondierungsgespräche wurde die Chance vertan, eine klare Botschaft zu formulieren und Aufbruchstimmung zu vermitteln. Das Papier weist nicht nur keine klare sozialdemokratische Handschrift auf, sondern im Grunde gar keine. Es ist vielmehr eine Ansammlung von verschiedenen Punkten, denen deutlich anzumerken ist, dass es primär um das Finden von Formulierungen ging, aus denen jeder Verhandlungspartner das herauslesen kann, was er will.

Es fällt zudem - wie schon beim Scheitern der Jamaika-Gespräche - wieder auf, dass Angela Merkel keine Führungsfigur ist. Aber auch Martin Schulz hat es vermieden, als Führungsfigur aufzutreten. Dies ist ein weiteres Manko, welches das Aufkommen von frischem Wind und Aufbruchstimmung verhindert.

Sollte es nicht gelingen, das Ruder im Rahmen der Koalitionsverhandlungen deutlich herumzureißen, würde eine GroKo die politische Stimmung in unserem Land negativ beeinflussen und extreme Ränder stärken. Dann gäbe es nicht nur eine naturgemäß übermächtige, sondern auch glanzlose GroKo ohne Opposition auf Augenhöhe und ohne den so wichtigen sowie für die Bevölkerung wahrnehmbaren Wettstreit der politischen Konzepte.“

Der Regensburger Stadtrat Tobias Hammerl schreibt: „“Deutschland im Jahr 2018: statt die großen Themen des 21. Jahrhunderts wie Landflucht und Urbanisierung, die digitale Revolution, Arbeit 4.0, Migration, Umwelt und Klima, die Verwerfungen der Globalisierung, den demographischen Wandel oder die Mobilitätswende mutig und visionär anzupacken, haben Union und SPD aus meiner Sicht ein „Weiter so mit angezogener Handbremse“ ausgehandelt. Dies ist umso trauriger, als Deutschland aufgrund der guten konjunkturellen Lage derzeit in der Lage wäre, auch große, langfristig wirkende Investitionen in die Zukunft des Landes - etwa im Bereich Infrastruktur oder Bildung - zu stemmen.

Die Rahmenbedingungen der Verhandlungen waren denkbar schlecht. Auf der einen Seite standen eine gelähmte CDU mit einer müden Kanzlerin an der Spitze, die keinerlei politischen Gestaltungswillen mehr hat, und eine CSU, welche die Angst vor den Rechtspopulisten fest im Griff hat. Auf der anderen stand eine SPD, die das schwächste Wahlergebnis seit dem Krieg eingefahren hat und die aufgrund des Scheiterns von Jamaica notgedrungen in die Bresche springen musste.

Angesichts dessen ist es eine gewisse Leistung, dass überhaupt ein Ergebnis erzielt wurde. Und auch wenn das Papier durchaus einige sinnvolle und gute Punkte enthält, so ist zum Beispiel die paritätische Finanzierung der Krankenkasse doch kein großer Erfolg, sondern nur die Wiederherstellung des jahrzehntelang geltenden Normalzustandes. In der Gesamtschau ist das Ergebnis der Sondierung sehr dünn. Es bedeutet für mich als Bürger weiterhin eine Politik auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner und damit weitere vier Jahre des Stillstands für Deutschland.

Noch enttäuschender ist das Ergebnis aus Sicht des Sozialdemokraten. Mir war von Anfang an klar, dass die SPD nur wenige ihrer Kernforderungen durchsetzen würde können, aber dass sich weder die Steuerreform, die Bürgerversicherung noch die kostenlosen Kitas oder das Arbeitslosengeld Q im Sondierungsergebnis finden, hat mich doch sehr überrascht. Wird damit nicht das Votum von 10 Millionen SPD-Wählerinnen und Wähler einfach ignoriert?

Unterm Strich ist das nun vorliegenden Verhandlungsergebnis für mich keine tragfähige Basis für eine Neuauflage der Großen Koalition. Sollten hier nicht noch massive Verbesserungen im Rahmen der förmlichen Koalitionsverhandlungen erzielt werden - denen die Union aber bereits eine Absage erteilt hat - so werde ich in der Mitgliederbefragung in jedem Fall gegen die Regierungsbeteiligung der SPD stimmen.“

Regensburg