Kirchendebatte
Darf man Sex haben, ohne Kinder zu zeugen? Und welche Rolle spielt dabei Kardinal Müller?

08.07.2017 | Stand 13.09.2023, 2:31 Uhr
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Die Katholische Kirche steht vor einem grundlegenden Wandel: Begegnet man bald Homosexuellen und wiederverheirateten Geschiedenen, aber auch ehelosen Paaren mit Offenheit? Es gibt aber Widerstände – eigentümlich ist die Rolle des früheren Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller.

REGENSBURG_25ROM Was stimmt denn nun? „Wahrheit, Wahrheit“, rief angeblich Raymond Leo Kardinal Burke, der Chef des obersten vatikanischen Gerichts aus, als er den Ort der außerordentlichen Bischofssynode im Vatikan verließ. Zuvor hatte sich Burke, ebenso wie der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, bitter über einen Zwischenbericht zur Synode beschwert. Den hatte der Papst-Vertraute Peter Kardinal Ernö geschrieben – und darin Revolutionäres verkündet. Zumindest aus der Perspektive der Kirchenmänner.

Von einer positiven Realität der Zivilehen war die Rede, davon, dass auch Homosexuelle wertvolle Gaben hätten, die sie auch in das kirchliche Leben einbringen könnten. Und auch wer außerhalb der aus katholischen Sicht einzig akzeptablen Lebensweise, der sakramentalen Ehe (mit Ausnahme von Enthaltsamkeit und Zölibat natürlich), mit einem Partner zusammen lebe, der solle in seiner „konkreten Existenz“ angenommen werden.

Fakt ist: Die konservativen Kirchenfürsten laufen Sturm gegen das Papier, zumal es nicht nur ihnen, sondern auch gleich noch den Journalisten am Heiligen Stuhl vorgestellt wurde. Erstmals seit dem Pontifikat von Johannes Paul II. sind die Erzkonservativen im Klerus ins Hintertreffen geraten. Wo früher liberale Stimmen marginalisiert, ja vor vollendete Tatsachen gestellt wurden, sind es diesmal die Reaktionäre unter den Bischöfen und Kardinälen, die um jeden Preis den Eindruck erwecken wollen, dass die Kirche auch Schwule und Geschiedene akzeptieren werde.

Müllers Beiträge: Sachlich? Oder schart er Konservative hinter sich?

Kaum einzuschätzen ist bei all dem die Rolle des früheren Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller – auch die vor Ort akkreditierten Journalisten kommen zu äußerst unterschiedlichen Ergebnissen. Müller hatte, das Wochenblatt berichtete bereits im Juni 2014 darüber, jeder Öffnung gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen und homosexuellen Paaren formal eine Absage erteilt – er ist Hüter des Glaubens, als Präfekt der Glaubenskongregation formal der drittmächtigste Mann im Vatikan nach Papst und Kardinalstaatssekretär. Gleichzeitig aber relativierte Müller in einem langen Interview mit dem Spartensender BR Alpha, dass man auch sehen müsse, dass Kinder etwa in einer zweiten Ehe auch einen Anspruch darauf haben, nicht ausgeschlossen zu werden – und auch ihre Eltern, die laut Kirchenrecht in Sünde leben, könne man nicht einfach so verurteilen.

Wenige Tage vor der Synode wurde dann bekannt, dass Müller zusammen mit vier weiteren konservativen Kirchenfürsten ein Buch heraus gegeben hat, in dem er und seine Mitbrüder klar stellten, dass selbst der Papst an der Lehre der Kirche in Sachen Ehe und Familie nicht rütteln könne – Kardinal Welter Kasper, der mit einem Referat auf Aufforderung Franziskus’ beim Konsistorium zur Kreiierung neuer Kardinäle, auch Müllers, die Debatte überhaupt erst angestoßen hatte, sprach von einer offenen Attacke auf den Papst. Ein bislang unerhörter Vorgang im Vatikan.

Jetzt soll, so berichtet die Süddeutsche Zeitung, Müllers Rolle keine Besondere sein. Das ist bemerkenswert. Die SZ schildert, dass Müller einer von 200 Synodalen sei:

Auf der anderen Seite steht Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation, der vor der Synode mit vier anderen Kardinälen in einem Sammelband noch mal erklärt hat, dass, bei allem Verständnis für die verschiedenen Lebenslagen der Menschen, das kirchliche Ehe- und Familienverständnis nicht verhandelbar sei. Das Buch hat vor dem Treffen in Rom einigen Wirbel ausgelöst, doch in den Beratungen, so berichten übereinstimmend Teilnehmer, habe es keine Rolle gespielt. Müllers Rolle ist eigentümlich: Pro forma ist er der dritte Mann nach Papst und Kardinalstaatssekretär. De facto ist er nun einer von 200 Diskutanten; seine Redebeiträge sollen konstruktiv und sachlich sein.

Dem diametral entgegen steht die Rolle, die der Spiegel dem Kardinal zuschreibt. Wörtlich schreibt der Spiegel online:

Anführer des Protests ist der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Chef der mächtigen Glaubenskongregation. Der Zwischenbericht des ungarischen Kardinals Peter Erdö sei "unwürdig, schändlich, vollkommen falsch", erregte sich der oberste Glaubenshüter der katholischen Kirche. Von den darin in Aussicht gestellten Änderungen der kirchlichen Regeln bezüglich der Wiederheirat von Geschiedenen, der Paare ohne Trauschein oder gar gleichgeschlechtlicher Paare könne gar keine Rede sein. Alle Stimmen, die sich dagegen ausgesprochen hätten, habe Erdö einfach unterschlagen.

Nun, egal, was nun stimmt – die Kirche wird ohnehin die Türe hin zur Lebensrealität vieler Menschen, gerade in den westlichen Ländern, nur einen Spalt weit öffnen. Vorstellbar ist allerdings ein Modell, das Abstufungen der Morallehre vorsehen könnte. Da wäre also das Ideal einer treuen Ehe, die in sexueller Hinsicht nur vollzogen wird, wenn man Kinder zeugen möchte. Eine Abstufung wäre dann wohl, auch außerhalb dieser Absicht miteinander ins Bett zu gehen. Das wäre aus katholischer Sicht nicht richtig, aber man könnte ja quasi davon reden, dass man sich diesem Ideal zumindest dadurch nähert, dass man nur mit seinem Partner schläft. Allein dieses Beispiel zeigt schon, dass es in der Debatte keineswegs nur um Homosexuelle oder Geschiedene geht, die sich meistens ohnehin schon weit von der Kirche entfernt haben. Bemerkenswert ist allerdings, dass dieses Modell eben auch Platz für homosexuelle Paare oder Paare in zweiter Ehe vorsieht: Denn auch in einer solchen Partnerschaft könne man ja treu und monogam, fürsorglich und liebevoll sein. Ähnliches hatte der Vatikan auch schon beim Zweiten Vatikanum angewandt. Damals ging es darum, dass man nicht länger predigen wollte, dass man in die Hölle kommt, wenn man kein Katholik ist. Seither kann man auch als Buddhist in den Himmel kommen – auch wenn es nicht die ideale Grundvoraussetzung ist.

Ist auch die Vielweiberei bald erlaubt?

Diese Beispiele aber zeigen, wie hart die Realität auch die Kirchenfürsten, die oft in einem Elfenbeinturm oder in der eigentümlichen Kunstwelt des Vatikans leben, trifft. Auch wenn diese Debatten für normale Gläubige oder gar kirchenferne Menschen kurios klingen – wenn man sieht, was noch alles debattiert wird, erkennt man schnell, dass man die eigenen kulturellen Vorstellungen bei den Erwartungen an die Synode zum Kriterium macht. Denn es gibt auch Bischöfe, etwa aus Afrika, die in Ländern leben, in denen Polygamie, also die Vielehe, erlaubt ist. Sie wollen darüber diskutieren, ob auch das zugelassen werden soll. Nun, gerne wird auch gegenüber Homosexuellen immer wieder Paulus zitiert, er lehnte die "Sodomie" natürlich ab (was auch immer im antiken Kontext damit gemeint war). Doch der Apostel hat auch den Satz geschrieben: Wenn ein Bischof schon verheiratet sei, dann soll er wenigstens nur eine Frau haben. Ob es auch hier künftig graduelle Abstriche geben kann? Unwahrscheinlich …

Regensburg