"Seeräuber" im Gebirge:
Bergwacht und Fliegerstaffel im Einsatz

12.09.2017 | Stand 29.07.2023, 10:44 Uhr
−Foto: n/a

Bergwachten und Bundespolizei-Fliegerstaffel üben Windenrettung aus dem Pidinger Klettersteig.

PIDING Die Bergwachten Bad Reichenhall, Freilassing und Teisendorf-Anger und die Besatzung eines Transporthubschraubers der Bundespolizei-Fliegerstaffel Oberschleißheim haben am Samstagnachmittag die Rettung von verunfallten Bergsteigern aus dem Pidinger Klettersteig auf der Nordseite des Hochstaufens geübt.

Bedingt durch das zunächst durchwachsene, regnerische Wetter mit tiefhängenden Wolken am Staufen musste der erste Teil der Übung in einer Bergwald-Lichtung am Dunkelgraben im Aufhamer Wald (Teisenberg) und am Klettersteig-Parkplatz in Urwies stattfinden. Erst als die Sonne deutlich die Oberhand gewann, konnten Übungsleiter Christian Schieder und Pilot Benny Höflinger, der auch den „Christoph 14“ in Traunstein fliegt, das Szenario weiter nach oben in den Klettersteig verlegen.

Wetterverhältnisse und schwieriges Gelände schaffen bei den meisten Bergwacht-Einsätzen ein Grundrisiko für alle Beteiligten. Damit im Ernstfall jeder Handgriff sitzt und die Sicherheit für Patienten und Einsatzkräfte gewährleistet ist, finden regelmäßig im Gelände Einsatzübungen mit den verschiedenen Hubschrauber-Betreibern statt.

Alle Teilnehmer mussten zwei Stationen absolvieren: Angenommen wurde, dass ein Bergsteiger aufgrund der regennassen und rutschigen Felsen den Halt verliert, mehrere Meter tief in sein Selbstsicherungsset stürzt und verletzt am Stahlseil in der Wand hängen bleibt. Das Szenario fand zunächst wetterbedingt auf einer Lichtung am Dunkelgraben (790 Meter) und dann später in der Einstiegswand des Klettersteigs (1.090 Meter) statt, wobei die am Windenhaken des Hubschraubers gesicherten Retter den Verunfallten im so genannten Kaper-Verfahren aus der Felswand pflücken mussten.

An einer zweiten Station mussten sie den Patienten-Abtransport per Winde im Luftrettungssack üben – zunächst am Klettersteig-Parkplatz, dann am neuen Landeplatz im Schuttkar unterhalb des Klettersteig-Einstiegs (955 Meter). „Weiter nach oben können wir heute nicht, da immer wieder Nebel einfällt und einen Sichtflug plötzlich unmöglich machen und die Übung beenden würde“, erklärt Schieder.

Die Bundespolizei-Fliegerstaffeln betreiben mit ihren 20 leichten Transporthubschraubern H155, die optisch wie ein großer, fliegender Delfin aussehen, ein für Bergeinsätze entsprechend leistungsstarkes Muster mit insgesamt 15 Sitzplätzen, einer maximalen Zuladung von rund eineinhalb Tonnen und einer Höchstgeschwindigkeit von 324 Kilometern pro Stunde. „Der Hubschrauber ist ideal für die Bergrettung. In nur einem Anflug können gleich mehrere Einsatzkräfte samt Ausrüstung zur Unfallstelle gebracht und per Winde abgesetzt werden“, erklärt Höflinger, der auch regelmäßig als Pilot des Traunsteiner Rettungshubschraubers „Christoph 14“ unterwegs ist - man kennt sich von vielen oft schwierigen Einsätzen und Übungen und arbeitet ohne Anlaufschwierigkeiten sofort vertrauensvoll zusammen.

In einem weiten Bogen schraubt sich der Delfin vor imposanter Berglandschaft elegant am Felskamm entlang direkt auf die angenommene Unfallstelle zu. Bergretter Berni Fuchs wird unter den wachsamen Augen des Winden-Operators in die Wand abgeseilt. Direkt über Bereitschaftsleiter Stefan Strecker und Jens Oswald, die gesichert in der Einstiegswand hängen, schlagen die Rotorblätter vorbei; die Szene wirkt spektakulär aber in keiner Weise gefährlich, denn der Pilot hält sicher Abstand zum Fels und der Delfin liegt ebenso felsenfest in der Luft.

„Die Jungs haben echt Routine und Einsatzerfahrung; man merkt, dass sie das öfters machen müssen“, betont Strecker, als Berni Fuchs und mit ihm der Heli für kurze Zeit ans Stahlseil des Klettersteigs gefesselt ist. Was dann passiert, sieht aus wie überdimensionales Kirschenpflücken aus der Wand: Im Pendelverkehr holt der Hubschrauber die Übenden per Rettungswinde im Schuttkar knapp unterhalb der Übungsstation ab, seilt sie zum Verunfallten ab, zupft dann beide aus der Wand und bringt sie zum Landeplatz im Schuttkar zurück. „Unsere Leute üben den Verletzten-Abtransport mit dem Luftrettungssack und das so genannte Kaper-Verfahren, bei dem der Luftretter per Winde zum Patienten abgelassen wird, der hilflos in seiner Selbstsicherung im Steig hängt.

Der Retter sichert den Verunfallten dann mit einer zweiten Schlinge zu sich an den Windenhaken; danach wird die Selbstsicherung durch Abheben entlastet und mit einer Kaperschere durchtrennt“, erklärt Schieder. Bergretter sind also eigentlich Seeräuber im Gebirge. Eine Kaper-Rettung ist für die Hubschrauberbesatzung besonders schwierig, da die Maschine für kurze Zeit über die Selbstsicherung des Verunfallten an den Berg gefesselt ist und damit nicht beliebig manövrieren kann.

„Die Handgriffe aller Beteiligten bei einem solchen Vorgang müssen deshalb perfekt sitzen!“, betont Schieder. Weiter unten zwischen den Bäumen am Landeplatz üben die Einsatzkräfte den Abtransport von liegenden Patienten im Luftrettungssack. Kurz nachdem der Windenhaken zwischen den Wipfeln verschwunden ist, erscheint wie aus dem grünen Nichts der rotblaue Luftrettungssack, der langsam am Stahlseil nach oben zur Kabine wandert. Der Aufstieg bis zur Unfallstelle hat fast eine halbe Stunde gedauert, der Weg zurück per Heli nur zwei Minuten. Für einen Verletzten im Notfall wertvolle, lebensrettende Zeit. „Wie gut, dass wir diese Technik haben, wenn wir sie brauchen!“, betont Strecker.

Berchtesgadener Land