Was jetzt wirtschaftlich zu beachten ist
„Bei Unsicherheiten hilft ein Gutachten weiter“

06.04.2020 | Stand 13.09.2023, 0:34 Uhr
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Der Gesetzgeber hat die Insolvenzantragspflicht von juristischen Personen ausgesetzt. Damit ist eine Maßnahme in Kraft getreten, die Betriebe vor den Auswirkungen der Corona-Krise schützen soll. Allerdings gilt die Aussetzung der Antragspflicht freilich nicht pauschal.

Landshut. Was Geschäftsführer, Vorstände und private Firmenverantwortlichen sowie Vereine und Privathaushalte jetzt tun können – und unbedingt beachten sollten: Darüber sprach das Wochenblatt am Donnerstag, den 2. April, mit dem Landshuter Rechtsanwalt Ralf Roth, der seit langem Fachanwalt für Insolvenzrecht ist.

Herr Roth, welche Maßnahmen hat der Gesetzgeber beschlossen um die befürchtete Flut an Insolvenzanträgen, ausgelöst durch die Corona-Krise, zu verhindern?

„Der Gesetzgeber möchte vermeiden, dass Unterstützungsleistungen für betroffene Betriebe zu spät kommen und den Unternehmen, die durch die Corona-Pandemie erst in Schwierigkeiten geraten sind, mehr Zeit für Sanierungsmaßnahmen und Gläubigerverhandlungen gewähren. Besonders juristische Personen (u.a. GmbH, AG) haben ein enges Zeitfenster: Die normale gesetzliche Regelung sieht vor, dass deren Vertreter ohne schuldhaftes Zögern, spätestens jedoch drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Eröffnungsantrag zu stellen haben. Wird diese enge Frist nicht beachtet, drohen ihnen zivil- und strafrechtliche Konsequenzen.

An diesen Punkten setzt der Gesetzgeber nun an. Das neue Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 27. März gilt rückwirkend ab dem 01. März bis vorläufig zum 30. September 2020. Es könnte aber theoretisch sogar durch Rechtsverordnung bis zum 31. März 2021 verlängert werden.“

Anmerkung: Den neuen Gesetzestext („Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“) findet man zum Download kostenlos im Internet, zum Beispiel unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/FH_AbmilderungFolgenCovid-19.html

Was genau besagen die neuen Regelungen?

„Durch die neue Ausnahmeregelung wird die dreiwöchige Insolvenzantragspflicht vorübergehend bis zum erwähnten 30. September ausgesetzt. Allerdings gilt das nur für diejenigen Fälle, deren Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung tatsächlich auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruhen. Außerdem muss die Aussicht bestehen, dass der Betrieb sich wieder erholt.

Im Zuge dessen haften Geschäftsführer beziehungsweise der Vorstand während der Aussetzung der Insolvenzantragspflichten nur noch eingeschränkt für Zahlungen, die sie nach Eintritt der Insolvenzreife des Unternehmens tätigen. Zudem wird es ausnahmsweise nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung angesehen, wenn den von der Corona-Krise betroffenen Unternehmen während der Aussetzung neue Kredite gewährt werden. Die sonst bestehenden Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters sind im Falle eines sich doch noch abspielenden Insolvenzverfahrend beschränkt worden: Während der Aussetzung erfolgende Leistungen an Vertragspartner sind nur eingeschränkt anfechtbar.“

Wie wirken sich diese Maßnahmen auf betroffene Unternehmen aus? Und können die Maßnahmen auch paritätischen Wohlfahrtseinrichtungen helfen?

„Wenn Zahlungsschwierigkeiten aufgrund der Corona-Pandemie entstehen, dann verschaffen diese Maßnahmen den betroffenen Unternehmen und Vereinen ein Polster. Sie haben mehr Zeit, zum Beispiel um staatliche Beihilfen zu beantragen, ihre Strukturen zu reorganisieren, Kurzarbeit einzuleiten und kostensenkende Maßnahmen zu ergreifen. Durch Einbeziehung des § 42 II BGB ist auch die Insolvenzantragspflicht für Vereine ausgesetzt. Soziale Dienste, die in dieser Rechtsform organisiert sind, wird somit geholfen. Außerdem fallen die sozialen Dienste nach längerer Diskussion wohl auch unter den vom Gesetzgeber beschlossenen Schutzschirm.“

Welche Auswirkungen haben die Neuregelungen auf Gläubiger?

„Die Möglichkeit von Gläubigern, Insolvenzverfahren zu erzwingen, werden für drei Monate, bis zum 28. Juni, eingeschränkt. Gläubiger, etwa Sozialversicherungsträger und Finanzämter, können einen Insolvenzantrag nur stellen, wenn bereits vor dem 01. März dieses Jahrs ein Eröffnungsgrund vorlag.“

Worin sehen Sie die größten Probleme, die durch die Änderungen entstehen werden?

„Ich sehe die größten Probleme in Verunsicherung und Überforderung.

Geschäftsführer müssen beurteilen, ob die Zahlungsschwierigkeiten aufgrund von Corona entstanden sind und wie die Zukunftsprognosen für den Betrieb stehen. Wir wissen ja gar nicht, wie lange die Krise faktisch dauert – und es soll beurteilt werden, wie der Betrieb nach der Krise dastehen wird. Die Situation ändert sich aktuell laufend. Selbst für Experten ist das nicht leicht. Viele Geschäftsführer sind von der Aufgabe überfordert. Ausreichende Kenntnisse sind zum Teil nicht vorhanden. Um Geschäftsführer einer GmbH zu werden, benötigt niemand eine spezielle Ausbildung.

Das Gesetz stellt eine Vermutung auf: War der Schuldner am Stichtag des 31. Dezembers 2019 nicht zahlungsunfähig, dann wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine Zahlungsunfähigkeit zu überwinden.

Bei Zweifeln sollte man sich ein Gutachten einholen, zum Beispiel eines Wirtschaftsprüfers oder eines Rechtsanwaltes. Auf ein solches Gutachten kann bei zweifelhafter Sachlage auch nach einer eventuell falschen Entscheidung noch verwiesen werden.

Normativ ist bislang wie gesagt der 30. September als Ende der Ausnahmeregelung markiert. Zu diesem Zeitpunkt also sollte es – nach bisherigem Stand – wohl einem Schuldner wieder besser gehen.“

Was müssen betroffene Unternehmen in dieser schwierigen Phase, in der nun die Insolvenzantragspflichten eingeschränkt sind, tun, um die Zeit sinnvoll zu nutzen? Welche zeitlichen Fristen müssen Unternehmen beachten, wenn sie innerhalb des Aufschubs bemerken, dass kein Land zu retten ist?

„Jetzt ist definitiv die Zeit, alles zu versuchen. Es sollten sämtliche staatlichen Unterstützungen beantragt werden. Allerdings sollte man beachten, dass die Beihilfen ausreichen müssen, um die Kosten zu decken: Ansonsten ist man spätestens nach der Krise wieder in Schwierigkeit. Es gibt hier bei uns Bayrische- und Bundeshilfen, sowie Kredite. Außerdem sollten notwendige Kostensenkungen, Sanierungs- und Umstrukturierungsbemühungen unternommen werden, auch wo nötig von Kurzarbeit Gebrauch machen und Finanzierungsmöglichkeiten prüfen. Mit Gläubigern sollte man tragfähige Vereinbarungen erzielen. Wenn alles nichts genutzt hat, dann ist ein Eröffnungsantrag von juristischen Personen spätestens drei Wochen nach dem Ende der Ausnahmeregelung zu stellen.“

Was ist nach Beendigung der Krise und im Auslauf der Regelungen zu erwarten? Findet gerade so etwas, wie eine „Entzerrung“ statt, also könnte man sagen, dass man versucht, das wirtschaftliche Problem vom medizinischen Druck zeitlich zu trennen, um nicht alles auf einmal zu haben?

„Ja, das könnte man gewissermaßen so ausdrücken.

Alle Betriebe, die jetzt in Schwierigkeiten geraten sind und die Chance des Aufschubs nicht nutzen konnten, werden ihre Anträge dann nach dem Auslaufen der Ausnahmeregelung stellen. Für viele wird es sehr davon abhängen, wie schnell sich die Wirtschaft im Gesamten erholt. Wenn ein Betrieb nicht an seiner Kostenstruktur gearbeitet hat und die Wirtschaft sich nur langsam erholt, dürfte es für viele eng werden.

Dennoch bieten diese Ausnahmeregelungen für sehr viele Betriebe eine gute Chance, die Corona-Pandemie zu überstehen. Vergleichbare Maßnahmen hat es übrigens auch schon bei Flutkatastrophen gegeben. Wenn auch vielleicht nicht so flächendeckend, so hat sich damals doch gezeigt, dass vielen Betrieben mit solchen Maßnahmen geholfen werden konnte.“

Wie wird sich die Krise auf die privaten Haushalte und deren finanzielle Situation auswirken?

„Es ist zu befürchten, dass finanzielle Engpässe entstehen werden. Nach der Krise wird es daher voraussichtlich auch zu vermehrten Anträgen an Privatinsolvenzen kommen.

Außerdem halte ich eine Änderung des § 287 a II InsO für angebracht. Hiernach ist ein Antrag auf Restschuldbefreiung unzulässig, wenn dem Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag bereits Restschuldbefreiung erteilt wurde. Ein Schuldner, der nach sechs schwierigen Jahren erst vor kurzem in den Genuss der Restschuldbefreiung gelangt ist, könnte nun durch die Corona-Pandemie erneut in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen, zum Beispiel durch Arbeitsplatzverlust oder Kurzarbeit. Derjenige müsste dann zehn Jahre warten, bis er erneut die Chance auf eine Befreiung der Restschuld aus Corona-Zeiten erlangen kann.

Ich gehe nicht davon aus, dass hier der Gesetzgeber nachbessert.

Für alle kann ich nur hoffen, dass die Krise schnell vorbei ist und die Maßnahmen zur Rettung ausgereicht haben.“

Herr Roth, vielen Dank für das Interview!

Landshut