Gerichtsverhandlung
Mit drei gebrochenen Beinen und Lungenentzündung auf die Schlachtbank

31.05.2018 | Stand 29.07.2023, 8:27 Uhr
−Foto: n/a

Eine richtige „Sauerei“ in der Schweinemast landete vor dem Traunsteiner Gericht – das Verfahren wurde eingestellt.

TRAUNSTEIN. Zwei Schweine aus demselben Mastbetrieb wurden an zwei Tagen hintereinander von einem Spediteur am Schlachthof in Landshut (der einzige in der Region, an dem noch Schweine geschlachtet werden) angeliefert. Was die Tierärzte vor Ort feststellten, landete kürzlich vor dem Amtsgericht in Traunstein: Das eine Schwein hatte einen gebrochenen Oberschenkelknochen, eine Lungen- und Brustfellentzündung und das zweite sogar zwei Oberschenkel- und einen Unterschenkelbruch. Laut Diagnose der Veterinäre am Schlachthof Verletzungen, die nicht auf dem Transport, sondern schon im Mastbetrieb passiert sind.

Es ist übrigens keine Seltenheit, dass die Tierärzte am Schlachthof solche Befunde diagnostizieren, so eine Ärztin, die vor Gericht aussagte: „Beanstandungen haben wir ziemlich oft, aber dass dies vor Gericht landet, ist selten, weil die Landwirte im Normalfall den Strafbefehl akzeptieren.“

In diesem Fall erschien der Landwirt aus dem Landkreis Traunstein mit einem Starnberger Anwalt, der sich seiner Erklärung nach schon häufig mit ähnlichen Fällen beschäftigt hat, vor Gericht. Zweimal täglich, also öfter als vom Gesetz vorgeschrieben, sei der Landwirt bei den über 1.200 Schweinen im Stall zum Füttern und zur Kontrolle gewesen, Verletzungen an seinen Tieren seien ihm nicht aufgefallen. „Die Anschuldigungen trafen mich aus heiterem Himmel“, so der 46-Jährige, „es ist mein Leben und mein Beruf, mich um die Tiere zu kümmern.“

Schmerzempfinden wie beim Menschen

Auf Nachfrage des Gerichts, wie schmerzhaft die Brüche für Schweine seien, bezweifelte eine Tierärztin als Zeugin, dass man derartige Verletzungen nicht bemerken würde: „Mit zwei gebrochenen Oberschenkeln läuft kein Schwein mehr. Schweine haben eine ähnliche Anatomie wie wir Menschen, sie können sich vorstellen, dass gebrochene Beine sehr schmerzhaft sind und die Tiere nur zur Tränke und zum Fressen robben können. Zudem weist das sehr geringe Gewicht (etwa 20 Kilo unter normalem Schlachtgewicht) des einen Schweins auf schlechtes Allgemeinbefinden hin.“ Sie war sich sicher, dass sich die Schweine während der Zeit im Mastbetrieb verletzt haben.

Um genau nachweisen zu können, wie es zu Verletzungen kommt, die in Schlachthöfen auffallen, werden Proben seit einigen Jahren in das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit nach Oberschleißheim geschickt. Pathologen sollen für die Beweissicherung feststellen, woher die Verletzungen kommen, und in welchem Zeitraum sie passiert sind. Das war auch im aktuellen Fall wichtig, denn die Ferkel könnten sich schon in der Aufzucht oder beim Transport, also schon etwa zwei Monate vor dem knapp dreimonatigen Leben im Maststall verletzt haben.

Deshalb hakte der Anwalt des Landwirts mehrfach nach und warf der aussagenden Schlachthof-Tierärztin vor, sie sei keine Pathologin und könne deshalb keine genauen Angaben machen. Diese wehrte sich: „Nach der Farbe des Blutes und dem Aussehen der Brüche kann es nur beim Mäster passiert sein.“

Die offizielle Aussage der Pathologen allerdings war vage: „Vor längerer Zeit“ seien die Brüche passiert.

Ein dehnbarer Begriff, weshalb der Vorsitzende Richter in Absprache mit der Staatsanwaltschaft unter anderem das Verfahren wegen Tiermisshandlung einstellte.

Infos vom Veterinäramt zum Thema

Laut Auskunft des Leiters des Traunsteiner Veterinäramts Dr. Jürgen Schmid wurden wegen Verstößen gegen das Tierschutzrecht im Zusammenhang mit dem Transport zur Schlachtung vom Veterinäramt Traunstein in den letzten fünf Jahren 14 Bußgeldverfahren eingeleitet und sechs Vorgänge an die Staatsanwaltschaft als Strafsache abgegeben. Vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) wurden vier Gutachten in diesem Zusammenhang angefordert.

„Grundsätzlich ist anzumerken“, so Schmid, „dass sich der gesellschaftliche Konsens zur Nutztierhaltung und dem, was Nutztieren zugemutet werden kann, in den letzten zehn Jahren stark in Richtung Tierwohl entwickelt hat.

Entsprechend wurden tierschutzrechtliche Vorschriften geändert bzw. verschärft und auch die Rechtsprechung hat sich in diese Richtung entwickelt.

Die Aufgabe des amtlichen Tierarztes am Schlachthof hat sich hier auch weiterentwickelt: während früher allein die Untersuchung in Richtung Verbraucherschutz (Aussortieren kranker Tiere) bei der Lebendbeschau im Vordergrund stand, ist heute die Tierschutzüberwachung gleichwertige Aufgabe neben dem Verbraucherschutz. Dabei überwacht der amtliche Tierarzt auch die Entladevorgänge und überprüft die Tiere auf ihre Transportfähigkeit.

Das LGL ist eine staatliche Untersuchungseinrichtung, bei der auch Sektionen mit pathologisch-anatomischer Untersuchung durchgeführt werden. Dies wird in den letzten Jahren vermehrt genutzt, um die am Schlachthof erhobenen Befunde nochmals wissenschaftlich fundiert zu untermauern.

Damit werden die Vorgänge jetzt „gerichtsfest“ gemacht, da in den Vorjahren einige Strafverfahren wegen nicht ausreichender Beweislage eingestellt wurden. Insofern hat sich in den letzten Jahren diese Vorgehensweise etabliert.“

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KOMMENTAR von Andrea Obele:

Du darfst kein Schwein sein in dieser Welt

Selten gab es in meiner Laufbahn eine Gerichtsverhandlung, bei der ich so oft Gänsehaut hatte wie bei dieser. Sei es, als die Veterinärin berichtete, wie sich die Schweine beim Warten auf die Schlachtung zusammenkuscheln oder bei der Vorstellung, wie sich die Ferkel, übrigens intelligenter als Hunde, mit gebrochenen Beinen zur Tränke gerobbt haben müssen. Aber wem nun die Schuld geben? Dem Mäster, der alleine die Verantwortung für 1.200 Tiere in seinem Stall trägt? Dort, wo sich Schlachtschweine, die in kürzester Zeit bis auf 100 Kilo gemästet werden, kurz vor dem Schlachten aufgrund ihres Gewichtes sowieso kaum mehr bewegen können? Der, wie alle Mäster (wie ich unter der Hand erfahren habe), am Ende so wenig „Lohn“ für ein Schlachtschwein bekommt, dass sich der Einsatz eines Tierarztes und ein „Aufpäppeln“ einfach nicht rentiert. Oder den Menschen, die ihr Fleisch so günstig wie möglich kaufen und so die Mäster wie die Schweine überhaupt erst in die missliche Lage bringen? Schwere Frage. Eines ist jedenfalls klar: Nur, wenn alle, die ebenso Gänsehaut bekommen wie ich, kein billig produziertes Fleisch mehr kaufen und tiefer in den Geldbeutel fassen, können wir etwas ändern. Ich werde versuchen, ganz auf Fleisch zu verzichten.

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Berchtesgadener Land