Generalbundesanwalt
Anschlag auf Weihnachtsmarkt in Berlin – Ermittler gehen von Anis Amri als Einzeltäter aus

11.07.2017 | Stand 25.07.2023, 1:46 Uhr
−Foto: n/a

Nach bisher durchgeführten Ermittlungen stellt sich der Anschlag vom 19. Dezember 2016 auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin als Tat des Einzeltäters Anis Amri dar.

BERLIN Es haben sich bisher keine Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass weitere in Deutschland ansässige Personen in die Tatvorbereitung oder die Tatausführung eingebunden waren.

Derzeitiger Erkenntnisstand zur unmittelbaren Vortatphase: Am 31. Oktober oder 1. November 2016 nahm Anis Amri in Berlin auf der Kieler Brücke ein Video von sich auf. Darin schwört er den Treueeid auf den Anführer des sogenannten Islamischen Staates und ruft Muslime zum Jihad auf. Spätestens seit dem 10. November 2016 kommunizierte Amri mit einem im Ausland aufhältigen Mitglied des sogenannten Islamischen Staates. Zu ihm hatte Amri auch während der Tatausführung Kontakt. Ab Mitte November 2016 ändert sich das "Surfverhalten" von Amri. Ab diesem Zeitpunkt finden sich im Internetverlauf des von Amri am Tatort zurückgelassenen Mobiltelefons keine pornografischen Inhalte mehr. Bis dahin hatten solche Inhalte den Internetverlauf dominiert. Ab Anfang Dezember 2016 ruft Amri fast nur noch islamistisch-jihadistische Inhalte im Internet auf. Ende November ist Amri wiederholt zu Fuß im Bereich Hardenbergstraße Budapester Straße Breitscheidplatz unterwegs. Aller Wahrscheinlichkeit nach klärt er bereits zu dieser Zeit sein späteres Anschlagsziel auf. Ab Ende November 2016 ist Amri zudem nahezu täglich zwischen der Putlitzbrücke und dem Torfstraßensteg am Friedrich-Krause-Ufer unterwegs. Am 15. Dezember 2016 wurde Amri bei dem Versuch beobachtet, einen am Friedrich-Krause-Ufer abgestellten Lkw zu öffnen.

Derzeitiger Erkenntnisstand zum Tattag: a.Der polnische LKW-Fahrer Lukasz Urban traf am 19. Dezember 2016 gegen 6.30 Uhr mit seinem LKW in Berlin ein. Er stellte ihn am Friedrich-Krause-Ufer gegenüber der Firma Thyssen-Krupp entgegen der Fahrtrichtung ab. Grund hierfür ist, dass er seine Ladung an diesem Tag nicht mehr abliefern konnte. Anis Amri verließ gegen 14.15 Uhr seine Wohnung. Und traf sich mit zwei Zeugen auf dem Parkplatz eines Möbelmarktes in Berlin-Wedding. Von etwa 15.30 bis 16.30 Uhr hielten sich die drei in einem Imbiss gegenüber der Masjid-Al-Umah-Moschee auf. Anschließend nahmen sie die U-Bahn. An der Station Hermannstraße trennten sich die drei. Anis Amri fuhr weiter bis zur Station Gesundbrunnen. Dort nahm er die S-Bahn und erreichte gegen 18 Uhr die Station Westhafen. Vor dort ging Anis Amri zur Putlitzbrücke und weiter am Friedrich-Krause-Ufer entlang bis zum Torfstraßensteg und wieder zurück zur Putlitzbrücke. Dabei passierte er zweimal den LKW von Lukasz Urban. Videoaufzeichnungen eines Anliegers zeigen, dass Amri allein unterwegs war. Danach ging Anis Amri zur Fussilet-Moschee. Dort hielt er sich bis kurz nach 19 Uhr auf. Anschließend ging er wieder zurück zur Putlitzbrücke und von dort erneut am Friedrich-Krause-Ufer entlang. Dabei wurde Amri erneut von einer Kamera gefilmt. Auch diese Aufnahmen belegen, dass Amri allein unterwegs war. Gegen 19.30 Uhr tötet Anis Amri den polnischen Lkw-Fahrer Lukasz Urban mit einem Kopfsteckschuss. Die Schussverletzung hat zeitverzögert zu seinem Tod geführt. Ob Lukasz Urban zunächst noch handlungsfähig war, kann nach dem Obduktionsergebnis nicht bewertet werden. An seinem Leichnam befanden sich keine Verletzungen, die auf ein Kampfgeschehen schließen lassen. Der Blick von Lukasz Urban ging bei der Schussabgabe in Richtung der Waffenmündung. An seinem linken Handrücken und an der Gardine an der Fahrertür befanden sich Schmauchspuren. Der Leichnam von Lukasz Urban lag mit dem Kopf in Richtung Frontscheibe in der Fahrerkabine. Das Spurenbild und das Obduktionsergebnis legen daher nahe, dass sich Lukasz Urban zunächst auf der Liege unmittelbar hinter den Sitzen aufhielt. Als er Amri an der Fahrertür bemerkte, beugte er sich vornüber, erfasste die Gardine an der Fahrertür und wurde von Amri erschossen. Ob Anis Amri zur Tatzeit unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand, kann nicht bewertet werden. Nach dem toxikologischen Gutachten der italienischen Behörden hat Anis Amri weder kurz vor seinem Tod noch in den Tagen zuvor Betäubungsmittel oder bewusstseinsverändernde Mittel zu sich genommen. Allerdings wurden in seinen Haaren Rückstände von Kokain und THC festgellt. Danach hat Amri in der Vergangenheit mehrfach in geringeren Mengen Cannabisprodukte und häufiger in größeren Mengen Kokain konsumiert. Die Begutachtung des Tat-LKW ist abgeschlossen. Er wird zeitnah an die polnischen Strafverfolgungsbehörden übergeben. Das Gutachten des Sachverständigen liegt noch nicht vor.

Derzeitiger Erkenntnisstand zur Herkunft des am Tatort zurückgelassenen Mobiltelefons: Nach den bisherigen Ermittlungen ist davon auszugehen, dass dieses Mobiltelefon einem Schweizer Staatsangehörigen Ende September 2016 entwendet wurde. Ob Amri selbst an dem Diebstahl beteiligt war, ist derzeit unklar. b.Die Erkenntnisse zur Vortatphase und zum Tattag beruhen zu einem ganz wesentlichen Anteil auf der Auswertung dieses Mobiltelefons.

Derzeitiger Erkenntnisstand zum Fluchtweg: Kurz nach dem Anschlag wurde Anis Amri im Bereich Bahnhof Zoo von einer Videokamera aufgezeichnet. Gegen 21.30 Uhr erfasste ihn eine Videokamera in der Prinzenallee. Eine halbe Stunde später wurde Amri abermals von einer Videokamera in der Prinzenallee gefilmt. Auf diesen Bildern ist er mit einem Rucksack und anderen Schuhen zu sehen. Es ist daher davon auszugehen, dass Amri noch einmal in seine Wohnung in der Freienwalder Straße zurückgekehrt ist. Das nächste Mal wurde er erst wieder am 21. Dezember 2016 festgestellt. Ein Zeuge beobachtete ihn gegen 7 Uhr in einem Bus von Emmerich nach Kleve. Bestätigt werden die Beobachtungen des Zeugen durch Kleidungsstücke, die die italienischen Behörden original verpackt bei Amri sichergestellt haben. Dabei handelt es sich um schwarze Boxershorts, Socken, eine Jogginghose und einen Schal. Es konnte rekonstruiert werden, dass diese Kleidungsstücke am 21. Dezember 2016 gegen 9.30 Uhr bei einem Textilunternehmen in Kranenburg gekauft wurden. Nach wie vor unklar ist, wie Amri nach dem Anschlag von Berlin nach Emmerich kam.

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