Natur
Wilde Bewohner: Wie Füchse und Co. Nordseeinseln erobern

18.08.2022 | Stand 29.08.2022, 17:51 Uhr

Kaninchen auf Norderney - An manchen Stellen auf Norderney sind Dünen durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Die Verursacher muss man oft nicht lange suchen. - Foto: Volker Bartels/dpa

Ob Füchse, Igel oder Damwild: Wilde Tiere finden ihren Weg auf Nordseeinseln. Oft mit menschlicher Hilfe. Dabei sind sie gar nicht oft willkommen.

An manchen Stellen auf Norderney sind Dünen durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Die Verursacher muss man oft nicht lange suchen. Mal sonnen sich die Wildkaninchen vor ihren unterirdischen Bauen, mal hoppeln sie über die Insel.

Die Tiere mit dem flauschigen Fell gibt es bereits seit 1620 auf Norderney. Damals wurden sie für die Jagd auf das einst karge Eiland ausgesetzt. Heute hat Norderney die höchste Kaninchendichte aller Ostfriesischen Inseln, sagt Gundolf Reichert von der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer in Wilhelmshaven. «Die Norderneyer Kaninchen sind besonders fleißig», sagt der Experte mit Blick auf die tausenden Höhlen, die die Tiere auf der Insel gebuddelt haben.

Auch auf anderen Nordseeinseln fühlen sich die Wildkaninchen, ziemlich wohl - etwa auf Sylt. «Hier ist das Nahrungsangebot ausreichend und wechselhaft», sagt Wiebke Bleicken vom Sylter Hegering. Die unterirdischen oft meterlangen Baue legen die Tiere demnach gern in den sandigen und lockeren Böden an.

Deichsicherheit gefährdet

Küstenschützer sehen die Wildkaninchen auf den Nordseeinseln nicht besonders gern. «Kaninchen höhlen mit Ihren Bauten und Gangsystemen den Deich aus und dringen dabei in den Sandkern ein», erklärt Fabian Lücht vom Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein. Die Deichsicherheit werde durch die Gangsysteme gefährdet, wenn Wasser bei Sturmfluten dort hinein dränge.

Im schlimmsten Fall könne es zum Versagen des Deiches durch einen Grundbruch kommen. Die Landesschutzdeiche an den Küsten Schleswig-Holsteins sind daher an Jäger verpachtet, welche gezielt Kaninchen bejagen. Das LKN selbst beschäftigt keine Jäger, sondern verfüllt lediglich die Löcher im Deich mit Klei.

Ohne Jagd gebe es keinen ausreichenden Küstenschutz, sagt auch Peter Lienau, Kreisjägermeister im Landkreis Aurich, zu dem die Insel Norderney gehört. «Die Kaninchen durchbuddeln so ziemlich alles.»

Bernhard Onnen, Hegeringsleiter auf Norderney, schätzt dass es zwischen 5000 und 8000 Kaninchen auf der Insel gibt. Die Bestände schwankten von Jahr zu Jahr, viele verendeten auch an Seuchen. «Aber die Tiere tragen auch zur Artenvielfalt bei», sagt Onnen. Deshalb müsse es darum gehen, ein gutes Gleichgewicht zu finden.

«Gefahr für die Bodenbrüter»

Tatsächlich bereiten die vielen Kaninchen auch einigen Brutvögeln gerade auf Norderney das Terrain, bestätigt Nationalpark-Experte Reichert. Die Insel hat etwa die höchste Dichte bedrohter, brütender Steinschmätzer in Mitteleuropa. Das hat vor allem mit den leeren Kaninchenbauten zu tun, denn dort brüten die Steinschmätzer gern. Zudem halten die Kaninchen die Dünenlandschaft kurz. Brutvögel, die bodennah nach Insekten suchen, gelangen so einfacher an ihre Beute.

Sorge bereiten Nationalparkverwaltung und Jägerschaft aber noch ganz andere Arten, die auch mit menschlicher Hilfe auf die Inseln kommen: Füchse etwa oder Igel. «Die sind eine Gefahr für die Bodenbrüter», sagt Hegeringsleiter Onnen.

Die Gelege von Brutvögeln seien für Füchse einfacher zu räubern, als sich ein Kaninchen zu schnappen. Füchse könnten, ähnlich wie Damwild, vom Festland auf die meisten Ostfriesischen Inseln wandern, sagt Gundolf Reichert vom Nationalpark. Davon zeugten Sichtungen und Spuren im Watt.

Brutausfälle durch Fuchs-Einwanderer

Auf Hallig Oland in Schleswig-Holstein erleichtert ein vor einigen Jahren erhöhter und verbreiteter Lorendamm den Zugang zum Eiland. In der Folge brüteten 2018 Löffler gar nicht mehr auf Oland - obwohl die Rahmenbedingungen dort eigentlich optimal sind. Einige Jahre zuvor hatte es noch eine Kolonie mit 60 Brutpaaren gegeben.

Der Brutausfall sei sehr leicht allein auf den Fuchs zurückzuführen, sagte damals eine Biologin, die den Einfluss der Raubsäuger auf die Vogelwelt erforscht hatte. Um den Einfluss des Fuchses auf der Hallig so weit wie möglich zurückzudrängen, wird in der Brutzeit von April bis August laut Nationalparkverwaltung unter anderem ein Hochsitz am Lorendamm besetzt, um Füchse, die durchs Watt wollen, zu vergrämen.

Auf den Ostfriesischen Inseln zählen auch Igel zu den ungebetenen Bewohnern. Dabei habe etwa auf Juist einst der bekannte Ornithologe Otto Leege selbst Igel ausgesetzt, um die Artenvielfalt zu vergrößern, berichtet Reichert. «Er hat aber schon sehr früh bemerkt, dass das keine gute Idee war.» Denn auch Igel machen sich gern über Vogeleier her. Auf Wangerooge musste so vor einigen Jahren wegen Igeln der Nachwuchs einer Zwergseeschwalben-Kolonie dran glauben.

Politikum Damwild

«Immer wenn der Mensch Sachen mit auf die Inseln bringt, die natürlicherweise dort gar nicht vorkommen, kann das ein Problem geben», sagt Reichert. Auf einigen Ostfriesischen Inseln werden die geschützten Stacheltiere daher mithilfe von Wärmebildkameras und Spürhunden gesucht, eingesammelt und ans Festland gebracht. Auf Borkum und Langeoog seien so in den vergangenen zehn Jahren rund 400 Igel abgesammelt worden - längst nicht alle.

Auf der Insel Borkum beschäftig die Jägerschaft bereits seit Jahren Damwild. 2013 wurden die Tiere auf Initiative des niedersächsischen Umweltministeriums auf die Insel gebracht. Experten versprachen sich davon einen Beitrag zum Landschaftschutz. Der gewünschte Effekt stellte sich laut Nationalparkverwaltung aber nicht ein. Das Damwild wurde für den Versuch in einem Gehege gehalten - bis plötzlich das Gatter aufstand. Seitdem laufen die Tiere über die Insel.

Das Damwild ist auf Borkum seit Jahren ein Politikum zwischen der Nationalparkverwaltung und den Borkumer Jägerinnen und Jägern. Da ein Einfangen nicht mehr gelang, soll das Damwild nun nach einem Vergleich vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg abgeschossen werden.

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